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INTERVIEW/460: Rojava - parteipolitisch nur am Rande ...    Norbert Hackbusch im Gespräch (SB)


Gespräch am 12. Oktober 2019 in Hamburg


Norbert Hackbusch ist Fachsprecher der Fraktion Die Linke in der Hamburgischen Bürgerschaft für Haushalt, Kultur, Hafen und öffentliche Unternehmen. Er hat Geographie, Volkswirtschaftslehre und Pädagogik studiert, ist seit über 20 Jahren als Dokumentationsjournalist tätig und Mitglied der Gewerkschaft ver.di. Seit seiner Jugend politisch engagiert, schloß er sich 1984 der Grün-Alternativen Liste (GAL) an, die er im Mai 1999 aus Protest gegen die deutsche Beteiligung am Kosovokrieg verließ. 2004 wandte er sich der neu gegründeten WASG zu. Hackbusch war Mitglied der Bürgerschaft von Oktober 1993 bis Mai 1999 (GAL), Juni 1999 bis Oktober 2001 (Regenbogen für eine neue Linke) und ist dies wieder seit März 2008 für die Fraktion Die Linke.

Bei der Demonstration gegen den türkischen Angriff auf Rojava, die am 12. Oktober in Hamburg stattfand, hielt Norbert Hackbusch einen Redebeitrag auf der Zwischenkundgebung. [1] Nach Abschluß der Demonstration beantwortete er dem Schattenblick einige Fragen.


Wortbeitrag mit Mikrofon auf der Zwischenkundgebung - Foto: © 2019 by Schattenblick

Norbert Hackbusch
Foto: © 2019 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Herr Hackbusch, Sie sind gerade von einer Reise in den Irak zurückgekehrt. Welche Aufgabe haben Sie dort wahrgenommen?

Norbert Hackbusch: Wir hatten schon seit Monaten eine Delegation von Ärzten, aber auch Politikern geplant, die zusammen in den Irak reisen und dort verschiedene Flüchtlingslager besuchen wollten. Das haben wir jedoch nur zum Teil geschafft, weil wir beispielsweise nach Sindschar nicht durchgekommen sind, da uns verschiedene Milizpunkte unter Verweis auf die aktuell angespannte Situation einfach nicht durchgelassen haben.

SB: Wie würden Sie die gegenwärtige Lage im Irak beschreiben?

NH: Wir haben dort das Problem von unheimlich vielen Flüchtlingen, und man spürt, daß die wirtschaftliche Situation dadurch noch angespannter ist. Vor zehn Jahren gab es im Irak einen relativ starken wirtschaftlichen Aufschwung, der inzwischen jedoch etwas in die Krise geraten ist. Und man merkt natürlich, daß viele Menschen vor dem, was gegenwärtig passiert, Angst haben. Das ist einer der entscheidenden Punkte. Wir haben vorgestern an einer Demonstration teilgenommen, die sehr vehement war und bei der sich auch deutlich abzeichnete, daß es eine Einheit fast aller kurdischen Vereine gab. Natürlich nimmt die kurdische Partei von Barsani immer noch eine andere Rolle ein, aber selbst da haben wir den Eindruck, als distanziere er sich gegenwärtig etwas von Istanbul, nachdem er vorher enger mit der Türkei zusammengearbeitet hat. Von daher kann man auf eine neue kurdische Einheit hoffen.

SB: Könnte es angesichts der Bedrohung für alle Kurdinnen und Kurden in der gesamten Region durch den Angriffskrieg des Erdogan-Regimes vielleicht doch noch dazu kommen, daß die Spaltung beendet und ein Zusammenschluß herbeigeführt wird?

NH: Hoffen wir, daß es so kommt. Aber wir sind natürlich die letzten, die das angemessen beurteilen können, das muß man auch einmal festhalten. Es gibt jedoch einige Anzeichen, die das nahelegen. Man muß ja auch klar hervorheben, daß die aktuelle Entwicklung wirklich hochbedrohlich ist. Es wird ein weiteres Gebiet von den türkischen Streitkräften angegriffen, wodurch neue Flüchtlingswellen ausgelöst werden, und das ist natürlich ein dramatisches Problem für alle.

SB: Die Bundesregierung hat die kurdischen Peschmerga im Irak mit der Lieferung von Waffen und mit Ausbildung unterstützt. Wird diese Zusammenarbeit Ihres Erachtens fortgesetzt?

NH: Ich habe den Eindruck ja. Es ist uns nicht gelungen, mit dem deutschen Konsulat vor Ort zu sprechen. Wir hatten zunächst auch eine andere Planung und als wir es im nachhinein versuchten, haben sie es verweigert, mit uns ein normales Gespräch zu führen. Von außen betrachtet habe ich den Eindruck, daß das Konsulat nach dem Motto verfährt, man habe ja so viele Termine mit deutschen Firmen. Sie kümmern sich nicht um das, wofür sie eigentlich auch zuständig sind, nämlich die soziale Situation vor Ort und vor allen Dingen die Lage der Flüchtlinge. Das machen nicht die staatlichen Institutionen, sondern ausschließlich private Organisationen.

SB: Wie sind die Medien in Hamburg, die ja die öffentliche Wahrnehmung in hohem Maße prägen, in der kurdischen Frage aufgestellt? Kann man hoffen, daß es in dieser Hinsicht zukünftig größere Unterstützung geben wird?

NH: Ich freue mich über die große Demonstration, muß aber zugleich sagen, daß ich etwas entsetzt darüber bin, daß es keine wichtigen liberalen Stimmen gibt, die sich gegenwärtig um dieses Problematik kümmern, obgleich es eigentlich ein entscheidendes Thema für uns alle ist. Nehmen wir beispielsweise die Brigitte-Chefredaktion, die sich stets viele Gedanken um die Situation der Frauenrechte in Afghanistan gemacht hat. Jetzt wird das Vorzeigeland für Frauenrechte im Mittleren Osten angegriffen, doch ich höre von denen nichts. Sie sind nicht empört, sie gehen nicht auf der Straße, sie treten nicht in die Öffentlichkeit, um dort einen Streit zu führen. Das macht mir große Sorgen, weil es bedeutet, daß ihre Liberalität nur dann zum Zuge kommt, wenn es mit den herrschenden Interessen in der Bundesrepublik zusammenpaßt. Und das ist natürlich letztendlich für eine Demokratie dramatisch.

SB: Erdogan hat die Bundesregierung und die EU in der Flüchtlingsfrage unter Druck gesetzt. Gibt es möglicherweise eine klammheimliche Übereinkunft mit Erdogan, daß seine Stoßrichtung, nämlich die Vertreibung der Kurdinnen und Kurden und die Ansiedlung der syrischen Flüchtlinge, auch von den Europäern als ein vermeintlicher Lösungsplan gesehen wird?

NH: Ich habe den Eindruck, daß es zwar nicht als Lösungsplan gesehen wird, aber die Angst vor denjenigen Flüchtlingen vorherrscht, die gegenwärtig kommen könnten. Dabei wird übersehen, daß gerade eine noch viel größere Flüchtlingswelle initiiert wird. Das muß man sich mal vor Augen halten. Hinzu kommt als zweiter wesentlicher Gesichtspunkt, daß die Regierung Erdogan mit dem IS kräftig zusammengearbeitet hat, wie sich anhand sehr vieler Beispiele nachweisen läßt. Daß es die Bundesregierung unterlassen hat, dazu Stellung zu nehmen oder gar eine Untersuchung herbeizuführen, ist natürlich ein riesiges Problem. Vielleicht weiß sie selber nicht Bescheid, vielleicht müssen wir ihr das erklären. Ich habe jedoch eher den Eindruck, daß sie auch das schlichtweg nicht wahrnehmen will und nicht versteht, daß sie eine noch größere Flüchtlingskrise mitverursacht. Ich glaube, daß es eher Schwäche ist, aber nicht organisiertes Kalkül.

SB: Wie wir heute gehört haben, hat die Bundesregierung zumindest erklärt, sie werde künftig keinen weiteren Export von Rüstungsgütern in die Türkei genehmigen, sofern diese im Kriegsgebiet zum Einsatz kommen könnten. Was sollte die Bundesregierung darüber hinaus noch tun?

NH: Ich habe mich darüber gefreut, daß es passiert ist. Das ist schon mal etwas, nachdem vorgestern auch Norwegen die Rüstungslieferungen an die Türkei ausgesetzt hat. Die Bundesregierung muß aber noch viel mehr tun, da natürlich auch dazugehört, scharfe Kontrollen durchzuführen und zu verhindern, daß Nachschub geliefert wird. Letztendlich läuft es aber darauf hinaus, die NATO-Frage zu stellen. Wie kann man die Behauptung akzeptieren, daß dieses Bündnis nur zum Zweck der Verteidigung existiert, wo doch im Falle des Kosovo ein Angriffskrieg geführt wurde? Damals erklärte die deutsche Regierung, wir müssen einmarschieren, um einen Völkermord zu verhindern. Dann stellte man fest, daß da kein Völkermord stattfand, den es zu verhindern galt, aber die NATO für zahllose Opfer sorgte und schwere Zerstörungen herbeiführte. Das müßte die sie in ihren Grundfesten erschüttern, und die Zusammenarbeit darf so nicht weitergehen. Die NATO-Zusammenarbeit muß in Frage gestellt werden.

SB: Es gibt auch von seiten der Grünen auf Bundesebene einige klare Stimmen gegen die türkische Politik. Sind die Grünen in dieser Frage ein zuverlässiger Bündnispartner für die Linkspartei?

NH: Ich bin bei den Grünen immer wieder auf Überraschungen gespannt. Es gibt des öfteren Einzelne, mit denen wir gut zusammenarbeiten, gerade im Kreis derjenigen, die aus dieser Region kommen. Das funktioniert zum Teil sehr gut. Aber im Zweifelsfall interessieren sich die Grünen für ihre Regierungsbeteiligung. Und da sie die Mentalität haben, es sei immer besser, dabei zu sein, egal welche Position sie vertreten, sind sie dann eher dort anzutreffen. Deswegen bin ich entsetzt, daß ich hier kaum Leute aus der Bürgerschaft auf der Demonstration gesehen habe. Ich habe nur eine Abgeordnete der Grünen ganz kurz gesehen, aber niemanden von der SPD. Eigentlich müßte jemand da sein, vielleicht habe ich ihn auch übersehen. Es wäre doch eine wichtige Aufgabe für alle demokratischen Kräfte, hier mitzumarschieren. Ich verstehe gar nicht, warum man so etwas nicht macht.

SB: Also gibt es auch in Hamburg noch viel zu tun?

NH: Leider ja, ich würde mir wünschen, daß man mal weniger zu tun hat. Aber wir müssen etwas tun. Wir haben ja auch versprochen, daß wir uns noch mehr einsetzen, daß wir erfolgreich sein werden, und das ist natürlich ein hohes Versprechen, aber wir versuchen, es zu erfüllen.

SB: Herr Hackbusch, vielen Dank für dieses Gespräch.


Fußnote:


[1] http://www.schattenblick.de/infopool/politik/report/prbe0351.html


Bericht und Interviews zur Rojava-Demonstration in Hamburg im Schattenblick unter:
www.schattenblick.de → INFOPOOL → POLITIK → REPORT

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