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INTERVIEW/447: Kinderrechte - Teilen als einzige Option ...    Sabine Boeddinghaus im Gespräch (SB)


Am 29. August wurde auf Einladung der Linksfraktion in der Hamburger Bürgerschaft im DGB-Haus mit Ulrich Schneider und anderen Gästen über das Problem der Kinderarmut in der Hansestadt diskutiert. Anschließend beantwortete die Kovorsitzende der Linksfraktion, Sabine Boeddinghaus, dem Schattenblick einige Fragen.


Im Gespräch - Foto: © 2019 by Schattenblick

Sabine Boeddinghaus
Foto: © 2019 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Frau Boeddinghaus, tritt Die Linke noch für die Abschaffung von Hartz IV ein ?

Sabine Boeddinghaus: Auf jeden Fall, gerade nächste Woche machen wir eine Veranstaltung zur Frage, was nach Hartz IV kommt [1]. Es gab ja zu Anfang das Mißverständnis, daß Die Linke Hartz IV abschaffen will, ohne den Betroffenen Alternativen anzubieten. Daran arbeiten wir natürlich schon lange und fordern, daß es eine existenzsichernde Grundsicherung geben muß, daß die Sanktionen aufhören müssen und damit Schluß sein muß, daß Menschen sich vor den Behörden quasi ausziehen müssen, um den Nachweis erbringen zu können, daß sie förderungswürdig sind. Das alles wollen wir nicht. Wir wollen, daß die Menschen ihre Würde behalten und eine Grundsicherung bekommen. Dazu gehören natürlich auch Maßnahmen, die dafür sorgen, daß man wieder in den Arbeitsmarkt zurückzukehren kann, indem eine Weiterbildung angeboten wird, die wirklich zu den Menschen paßt und Sinn macht. Das muß von Landesseite ausgebaut werden, da könnte Hamburg viel machen. Hamburg ist das Bundesland mit der höchsten Quote an Langzeitarbeitslosen. Es muß immer ein Maßnahmenpaket geben, aber Hartz IV ist ganz klar Armut per Gesetz und muß überwunden werden.

SB: Sind die Kräfteverhältnisse in der Gesellschaft nicht sowieso schon so verteilt, daß es kaum möglich ist, die Forderung nach Abschaffung von Hartz IV durchzusetzen?

Sabine Boeddinghaus: Das wäre ja fatal, wenn man jetzt die Flinte ins Korn werfen würde. Die Linke hat sich gegründet aus PDS und WASG zu Zeiten der Agenda 2010, um darauf hinzuweisen, daß es der falsche Weg ist, die Gesellschaft zu entsolidarisieren und die soziale Spaltung noch größer zu machen. Leider ist genau das eingetroffen. Natürlich könnte man jetzt nach Brecht sagen: Wäre ich nicht arm, wärst du nicht reich und umgekehrt. Man könnte auch fatalistisch sagen: Es gibt viele Kräfte in der Gesellschaft, die wollen die Armut, die brauchen die Armut, damit sie sich abgrenzen und ihren Reichtum schaufeln. Aber unsere Rolle und unsere Aufgabe ist, das Problem zu thematisieren und immer wieder auf die Agenda zu setzen.

Deswegen fordern wir für Hamburg nicht nur einen Armutsbericht, sondern einen Reichtums- und Armutsbericht, weil es immer eine Verteilungsfrage ist, und da werden wir überhaupt nicht nachlassen. Natürlich ist es schwierig, die Menschen davon zu überzeugen, daß es sich lohnt zu kämpfen, daß es sich lohnt, für sich selbst, aber auch für die Solidarität mit anderen einzustehen. Das ist eine immer wiederkehrende Arbeit, die man Tag für Tag tun muß. Im einzelnen erlebe ich das auch, aber inzwischen ist in Hamburg, so mein Eindruck, ein bißchen die Luft raus. Es ist zwar bitter, aber man merkt deutlich, daß das System nicht funktioniert. Ich hoffe dennoch, daß es noch einmal eine Bewegung gibt. Auch bei den Grünen wird Hartz IV durchaus thematisiert, zwar nicht in unserem Sinne, aber zumindest wird wieder drüber diskutiert. Und wenn ein Robert Habeck das sagt, dann wird noch einmal mehr hingehört, als wenn das von Katja Kipping kommt, denn Die Linke sagt das schon immer. Von daher muß da ganz hart weitergekämpft werden, das ist gar keine Frage.

SB: Mit einer CO2-Bepreisung, zu der es absehbar kommen wird, werden neue soziale Ungleichgewichte entstehen. Haben Sie als Die Linke eine spezifische Agenda, wie sich die soziale mit der ökologischen Frage verbinden läßt?

Sabine Boeddinghaus: Das versuchen wir immer wieder deutlich zu machen: Das eine geht nicht ohne das andere. Die Klimafrage ist eine soziale Frage, beides muß immer gemeinsam betrachtet werden. Wir versuchen das in konkreten Forderungen jetzt gerade in Hamburg ein bißchen deutlicher zu skizzieren, zum Beispiel indem wir fordern, daß der öffentliche Nahverkehr gebührenfrei für alle sein soll. Das wäre ein großer Beitrag für die Menschen, aber auch fürs Klima, für die Umwelt. Das ist ein Beitrag in der Verkehrspolitik, der hier in Hamburg wirklich geleistet werden könnte. Wir haben auch den Hamburger Flughafen thematisiert, Flugreisen dürfen nicht preiswerter sein als Bahnreisen, da muß deutlich etwas verändert werden! Es muß mehr in Infrastruktur investiert werden, damit Inlandsflüge auf jeden Fall gestrichen werden können. Es ist ja total verrückt, daß Menschen sich letztendlich das Flugticket noch eher leisten können als das Bahnticket! Das muß wirklich wieder vom Kopf auf die Füße gestellt werden. Wir versuchen jetzt in Hamburg, ein Konzept zu erarbeiten, mit dem die soziale Frage auch mit der Klimafrage verbunden wird.

SB: Hamburg verfolgt städtebaulich in einer gewissen Weise die Logik der global city, indem versucht wird, die Stadt durch Repräsentativarchitektur wie bei der Elbphilharmonie und Hafencity zu einem Standort des transnationalen Kapitals zu machen. Zusätzlich zur Elbphilharmonie sollen jetzt noch der Elbtower und in direkter Nachbarschaft eine große Sportanlage am Hafenrand gebaut werden. Was sagt die Linke zu solchen Repräsentativprojekten?

Sabine Boeddinghaus: Wir haben als einzige Partei immer ganz klar den Bau der Elbphilharmonie abgelehnt. Wir haben damals maßgeblich dazu beigetragen, daß es den Untersuchungsausschuß gab. Wir kritisieren immer entschieden, daß für solche Bauten Geld da ist, aber für den sozialen Wohnungsbau nicht. Der müßte hier in Hamburg vor allem vorangetrieben werden! Auch dieser Elbtower ist eine Wahnsinnsidee des ehemaligen Bürgermeisters, völlig überflüssig. Das ist unser Thema, das wir immer wieder auf die Agenda setzen: Wir brauchen Investitionen in sozialen Wohnungsbau, ohne Wenn und Aber. Das versuchen wir, durch ganz konkrete Vorschläge zu befördern und zu unterfüttern, aber es ist ein harter Kampf.

Letztendlich lautet unsere Botschaft: Wohnen ist ein Grundrecht, Wohnen darf nicht Spekulationsobjekt sein. Von daher ist es der völlig falsche Weg, der gerade in Hamburg eingeschlagen wird. Leider werden trotz Schuldenbremse immer wieder Mittel und Wege der Finanzierung überflüssiger Bauten gefunden. Aber wenn wir sagen, wir brauchen 100 Prozent sozialen Wohnungsbau auf öffentlicher Fläche, dann heißt es immer, ihr lebt im Wolkenkuckucksheim, Die Linke hat ja die Gelddruckmaschine im Keller und solche Dinge. Aber ich hoffe, daß sich auch da der Druck lohnt, weil wir schon festgestellt haben, daß SPD und Grüne manche unserer Forderungen zwar nicht in unserem Antrag übernommen haben, diese aber ein paar Monate später in ihrem eigenen Antrag zu finden sind. Also lohnt es sich schon zu kämpfen.

SB: Was könnte die Linkspartei dafür tun, daß Leute, die den rechten Demagogen der AfD hinterherlaufen, ihre Entscheidung überdenken?

Sabine Boeddinghaus: Das ist eine ganz schwierige Frage, denn wir kommen ja oft auf der Straße, in Veranstaltungen und an Infotischen mit Bürgern ins Gespräch und treffen auf Menschen, die die AfD wählen. Ich habe es leider selten erlebt, daß diese Menschen für Argumente offen und gewillt sind, überhaupt zuzuhören und selber zu reflektieren: Warum wähle ich jetzt eigentlich AfD? Statt dessen trifft man auf eine grundsätzliche Haltung: Wir schließen uns jetzt zusammen, wir haben ein Sprachrohr gefunden in der AfD, wir sind jetzt stark gegen die Altparteien und gegen die da oben. Hierzu wird die Linke eben auch gezählt.

Früher haben wir noch erlebt, daß Leute an den Infostand kamen und gesagt haben, wir wählen euch ja, aber macht mal was gegen die Flüchtlinge. Wenn man versucht nachzufragen, merkt man schnell, daß das eigentlich der Haupttreiber ist. Wir sagen da immer ganz deutlich, dann bist du bei uns falsch. Es ist sehr, sehr schwer, in den Dialog zu kommen, um überhaupt noch Menschen zu erreichen. Ich glaube, die AfD ist im Moment leider so stark, weil mit ihrer Wahl keineswegs verbunden ist, etwas Konkretes zu erreichen, sondern einfach nur dieses Gefühl zu empfinden: Ich gehöre jetzt einer starken Gruppe an, wir können endlich das sagen, was schon lange mal gesagt werden mußte. Deswegen ist es, glaube ich, durchaus ein Mix aus Folgen der sozialen Härte, die die Menschen gerade im Osten erlebt haben, aber auch einem schlummernden Rassismus in der Gesellschaft, den es immer gegeben hat. Der wurde aber lange unter dem Deckel gehalten und war nicht salonfähig. Die Menschen haben sich nicht getraut, es laut zu sagen, weil der dagegen gerichtete gesellschaftliche Konsens zu stark war. Da hat die AfD wirklich ein Ventil geöffnet, und das Problem ist nicht mit einer Maßnahme oder einer Antwort zu lösen. Es ist schwer.

SB: Wäre Die Linke vielleicht gut beraten, sich auf ihre sozialistischen Wurzeln zu besinnen und ein bißchen radikaler zu Werke zu gehen? Oder sind Sie eher der Ansicht, daß ein vermittelnder Kurs erfolgversprechender ist?

Sabine Boeddinghaus: Ich glaube, daß man eine Mischung hinbekommen muß. Wir könnten durchaus in manchen Formen radikaler werden wie bei der Mietendiskussion in Berlin. Die wurde maßgeblich mit der Linken angestoßen und ein Mietendeckel, finde ich, ist verdammt radikal. Die Enteignungsfrage zu stellen, ist verdammt radikal, obwohl sie letztendlich grundgesetzlich abgesichert ist. Aber ich finde, gerade wenn man sich dazu entscheidet, als Partei auch in die Parlamente zu gehen, und das hat Die Linke einmal so entschieden, anstatt außerparlamentarische Kraft zu bleiben, muß man es hinbekommen, die Vision und das Ziel immer deutlich zu machen: Wir sind die Partei des demokratischen Sozialismus, wir wollen eine andere Gesellschaft, wir wollen eine Gesellschaft der Solidarität und des Zusammenhalts. Aber es gibt Schritte dahin, und die müssen wir parlamentarisch und außerparlamentarisch immer wieder zu gehen versuchen. Beides muß im Grunde zusammenwirken, andernfalls würden wir die ganze Zeit im Parlament sitzen und nur unsere Verlautbarungen machen. Auf diese Weise würden wir, denke ich, weniger für die Menschen tun als das, was wir in der Opposition jetzt schon erreichen. Ich bin überzeugt, daß wir als soziale Opposition in der Bürgerschaft, aber auch draußen auf der Straße eine wichtige Kraft sind.

SB: Frau Boeddinghaus, vielen Dank für das Gespräch.


Fußnote:


[1] Weg mit Hartz IV - und was dann? Alternativen und Perspektiven
10. September, 17:00 - 20:00 Uhr, GLS Bank, Düsternstraße 10, Hamburg


Bericht und Interviews zur Diskussionsveranstaltung "Aktiv werden gegen Kinderarmut!" im Schattenblick unter:
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5. September 2019


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