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INTERVIEW/426: Treff für den Frieden - die schwarze Stimme ...    Margaret Kimberley im Gespräch (SB)


Interview mit der US-Politaktivistin und Kolumnistin Margaret Kimberley am 19. November 2018 in Dublin


Mittels AFRICOM verwandelt das Pentagon den schwarzen Kontinent zunehmend in ein Schlachtfeld. Am 12. Dezember berichtete Nick Turse bei Vice News anhand jüngster offizieller Daten, inzwischen sei die Zahl der militärischen Missionen, wenn auch noch nicht die der Soldaten, der US-Streitkräfte in Afrika höher als die im Nahen Osten und in Zentralasien. Am 13. Dezember verkündete Donald Trumps Nationaler Sicherheitsberater John Bolton bei einer Rede vor der reaktionären Heritage Foundation in Washington die neue Afrika-Strategie der USA, die sich künftig weniger durch Terrorismusbekämpfung als vielmehr durch die Eindämmung des Einflusses Chinas und Rußlands auszeichnen soll. Am 17. Dezember gab die AFRICOM-Führung bekannt, an den zwei vorangegangenen Tagen bei sechs Luftangriffen 62 islamistische Al-Schabaab-Milizionäre in Somalia getötet zu haben. Auf der Anti-NATO-Basen-Konferenz Mitte November in Dublin war "Africa/AFRICOM" Gegenstand einer aufschlußreichen Podiumsdiskussion, die von Margaret Kimberley moderiert wurde. Am Tag nach der Konferenz sprach der Schattenblick mit der Kolumnistin und Redakteurin von Black Agenda Report, der führenden Onlinezeitschrift der afroamerikanischen Linken in den USA, über das Afrikakommando der USA und seine zunehmende Bedeutung.


Margaret Kimberley am Stehpult, neben ihr am Tisch die anderen Podiumsteilnehmer - Foto: © 2018 by Schattenblick

Margaret Kimberley leitet die AFRICOM-Diskussion ein
Foto: © 2018 by Schattenblick

Schattenblick: Frau Kimberley, wie kam es zur Entstehung der Black Alliance for Peace, was sind deren Ziele und wie kommt die Organisation voran?

Margaret Kimberley: Die Black Alliance for Peace stellt den Versuch dar, die radikale schwarze Tradition in der amerikanischen Politik wiederzubeleben. Zu dieser Tradition gehört selbstverständlich die Kriegsgegnerschaft. Die Black Alliance for Peace ist eine junge Initiative, die erst am 4. April 2017 gegründet wurde. Das Datum ist nicht zufällig gewählt, sondern von symbolischer Bedeutung, denn fünfzig Jahre zuvor, am 4. April 1967, hat Dr. Martin Luther King jun. in der Riverside Church in New York seine berühmte Rede gegen den Vietnamkrieg und gegen Militarismus gehalten. Genau ein Jahr nach Kings erster öffentlicher Stellungnahme gegen den amerikanischen Kriegseinsatz in Vietnam fiel er am 4. April 1968 in Memphis, Tennessee, einem politischen Attentat zum Opfer.

King ist vor allem wegen seines Kampfs gegen die Rassendiskriminierung eine bedeutende Figur der amerikanischen Geschichte. Gleichwohl sind wir von der Black Alliance for Peace der Meinung, daß sein Einsatz als Friedensaktivist nicht in Vergessenheit geraten darf, sondern im Gegenteil hochgehalten werden soll. Die Entscheidung, sich demonstrativ gegen den Kriegskurs von Präsident Lyndon B. Johnson auszusprechen, der die schwarze Bürgerrechtsbewegung unterstützt hatte, hat King die Sympathie vieler Weißer gekostet und ihm gewaltigen Ärger seitens der eigenen Mitstreiter eingebracht. Selbst sein Vater hat ihn dafür kritisiert. King machte man den Vorwurf, Johnson in den Rücken gefallen zu sein und sich in Kriegszeiten unpatriotisch zu verhalten. Aber in der Frage des Vietnamkriegs hat sich King zu einer moralischen Position durchgekämpft und sie trotz ihrer damaligen Unpopularität in der US-Gesellschaft verkündet. Dabei hat er in seiner Riverside-Church-Predigt mit der Losung "Beyond Vietnam - A Time to Break Silence" richtigerweise festgehalten, daß die USA die "größten Betreiber von Gewalt auf der Welt" seien. An diesem bedauerlichen Umstand hat sich bis heute nichts geändert.

Die Friedensbewegung in den USA befindet sich aktuell in einem desolaten Zustand. In der ersten Hälfte der Nullerjahre kam es zu einer großen Massenmobilisierung gegen den Krieg im Irak, die später abflaute. Offenbar waren viele Menschen, die damals demonstrierten, Demokraten, die weniger prinzipiell gegen einen illegalen Krieg im Ausland eingestellt waren, als vielmehr dagegen, daß er unter der Führung eines republikanischen Präsidenten, nämlich George W. Bush, erfolgte. Mit dem Einzug des Demokraten und vermeintlichen Antikriegskandidaten Barack Obama 2009 ins Weiße Haus hat die amerikanische Friedensbewegung trotz weiterer US-Militärinterventionen in Libyen und Syrien, der anhaltenden Befriedungsmission in Afghanistan sowie der CIA-Drohnenangriffe im Jemen und in Somalia deutlich an Schwung verloren.

Nach dem Ende der Obama-Ära und der Übernahme des Präsidentenamts durch den republikanischen weißen Nationalisten Donald Trump waren einige schwarze Politaktivisten in den USA der Meinung, daß wir etwas unternehmen sollten, um der Friedensbewegung wieder auf die Beine zu helfen. Das Resultat unserer Erörterungen war die Gründung der Black Alliance for Peace. Die Besinnung auf die Kriegsgegnerschaft von Martin Luther King kommt nicht von ungefähr. Auch wenn es heute nicht mehr ganz der Fall ist, bilden die Afroamerikaner in der US-Gesellschaft doch traditionell den linksradikalen Flügel bei der Arbeiterschaft und den Menschen niedrigeren und mittleren Einkommens. Daher müssen wir die amerikanische Friedensbewegung mit anführen, wenn diese etwas bewirken soll.

SB: Der Zeitpunkt der Gründung der Black Alliance for Peace ist interessant, denn ich hatte wegen des Datums angenommen, sie sei aufgrund der Kontroverse um den Überfall von Aufständischen in Niger, der vier US-Soldaten das Leben kostete, erfolgt. Das Bekanntwerden des Zwischenfalls, zu dem es bereits im Oktober 2017 gekommen war, sorgte im vergangenen Frühjahr in Washington, wo die meisten Kongreßabgeordneten und Senatoren behaupteten, sie hätten bis dahin von einem Kampfeinsatz amerikanischen Truppen in Niger nichts gewußt oder gehört, für eine heftige Debatte.


Zwei Marineinfanteristen laufen durch eine Wüste, hinter ihnen mehrere Panzer und Panzerfahrzeuge - Foto: © 2013 by U. S. Marine Corps/Cpl. Christopher Q. Stone, freigegeben als public domain

Soldaten der 26th Marine Expeditionary Unit auf Manöver in Afrika
Foto: © 2013 by U. S. Marine Corps/Cpl. Christopher Q. Stone, freigegeben als public domain

MK: Der Verdacht liegt nahe, tatsächlich aber hat dieser Vorfall in Niger mit der Gründung unserer Organisation nichts zu tun.

SB: Bis zum Bekanntwerden der blutigen Niger-Geschichte, die für viele Schlagzeilen und eine aufgeregte Berichterstattung sorgte, wußte die große Mehrheit der US-Bürger von der Existenz von AFRICOM nichts. Seither ist der afrikanische Kontinent - und mit ihm das dafür zuständige Kommando des Pentagons - zu einem nicht unwichtigen Thema der Außen- und Sicherheitspolitik Washingtons geworden. Wie ist der aktuelle Stand der Debatte über den Kurs der US-Militärpolitik in Afrika und wie könnte die Black Alliance for Peace Einfluß darauf nehmen?

MK: AFRICOM wurde zum Ende der zweiten Amtszeit von Bush jun., nämlich am 1. Oktober 2008, also vor etwas mehr als zehn Jahren, ins Leben gerufen. Anfangs hatte das US-Militär in Afrika nur eine Handvoll Stützpunkte. Heute sind es mehr als 80 Stützpunkte, wobei es wegen der Geheimhaltung schwierig ist, die genaue Zahl herauszubekommen. Doch wie man anhand der Karte sehen kann, die wir gestern bei der Konferenz auf die Leinwand projiziert haben, hat AFRICOM in fast jedem afrikanischen Staat eine Dependence, sei es einen richtigen Stützpunkt oder nur ein Verbindungsbüro. Von wenigen Ausnahmen wie Ägypten, das unter die Zuständigkeit des Nahost-Kommandos CENTCOM fällt, und Südafrika, das militärisch selbst eine Regionalmacht ist, kann man mit Recht behaupten, daß die Streitkräfte praktisch jedes afrikanischen Staates unter der Kontrolle des Pentagons stehen.

Wir von der Black Alliance for Peace sind nicht nur gegen den Krieg, sondern wollen den Militärstaat in den USA abrüsten und schließlich komplett abbauen. Dazu gehören der Verzicht auf Einrichtungen wie AFRICOM, die Schließung aller US-Militärstützpunkte in Übersee, die Zusammenstreichung des ohnehin monströsen Wehretats und vieles mehr. Vor diesem Hintergrund haben wir eine Online-Petition gestartet, mit der die Mitglieder des Black Caucus im US-Kongreß aufgefordert werden, den Interessen der schwarzen Gemeinde bzw. der eigenen Wählerschaft Rechnung zu tragen und Maßnahmen zur Auflösung von AFRICOM zu unternehmen. Wir hoffen, bis zum Geburtstag von Martin Luther King am 15. Januar, der bekanntlich in den USA gesetzlicher Feiertag ist, mehr als 10.000 Unterschriften gegen die Existenz von AFRICOM erhalten zu haben, die wir dann als Petition der Führung des Congressional Black Caucus überreichen werden.

Auf diese Weise wollen wir auch die schwarzen Volksvertreter in Washington, die einst kollektiv als "Gewissen des Kongresses" galten, an die eigenen Wurzeln erinnern. Leider sind in den letzten Jahrzehnten die schwarzen Kongreßabgeordneten, die fast alle der demokratischen Partei angehören, immer mehr von links in die Mitte gedriftet. Das hängt mit der Macht des großen Geldes in der US-Politik zusammen, ohne das heute niemand einen Sitz im Repräsentantenhaus oder Senat gewinnen kann. Hatten die herrschenden Kräfte in den USA lange Zeit die schwarzen Politiker im Kongreß ignoriert, so sind sie in den letzten Jahren dazu übergegangen, sie schlicht einzukaufen, sie mittels Wahlkampfspenden gefügig zu machen. Es hat auch funktioniert. Die letzten schwarzen Politiker, die linke Positionen bezogen, wurden in den Nullerjahren unter anderem mittels massiver Geldspenden an ihre Wahlkampfgegner aus der aktiven Politik herausgedrängt. Die Black Alliance for Peace will die linken Tendenzen in der schwarzen Politik wieder stärken. Unserer Meinung nach ist ein solcher Schwenk nach links genau das, was die meisten schwarzen Wähler gerne von ihren Volksvertretern sähen. Gegen AFRICOM aktiv zu werden wäre ein erster Schritt in diese Richtung.


Margaret Kimberley in der Nahaufnahme - Foto: © 2018 by Ellen Davidson (stopthesewars.org)

Foto: © 2018 by Ellen Davidson (stopthesewars.org)

SB: Worauf ist der dramatische Anstieg der Anzahl der US-Militärstützpunkte in Afrika während der achtjährigen Präsidentschaft Obamas zurückführen? Hängt die Entwicklung allein mit dem Wunsch Washingtons zusammen, den wachsenden Einfluß der Volksrepublik China zurückzudrängen?

MK: Das ist meines Erachtens schon das Hauptmotiv, wenngleich Chinas Aktivitäten in Afrika fast ausschließlich merkantiler Natur sind. In nicht wenigen afrikanischen Staaten ist der wirtschaftliche Einfluß Chinas recht groß. Das kann man vielleicht kritisieren, gleichwohl muß man anerkennen, daß die Chinesen in den afrikanischen Partnerstaaten große und wichtige Infrastrukturprojekte realisieren, welche die Wirtschaft modernisieren und Arbeitsplätze schaffen. Natürlich möchte das Pentagon den Einfluß der Volksrepublik in Afrika zurückdrängen, aber auch unabhängig von jeder "chinesischen Gefahr" zeichnet das US-Militär ein eigenständiges Streben nach imperialer Größe aus. Das Pentagon möchte am liebsten die ganze Welt beherrschen. Deswegen läßt sich das US-Militär überall, wo es nur kann, nieder. Nach den Flugzeuganschlägen vom 11. September 2001 hatte man dafür mit dem "globalen Antiterrorkrieg" den perfekten Vorwand.

Osama Bin Ladens Al-Kaida-"Netzwerk" treibt schon eine ganz Weile in Afrika sein Unwesen. Man denke nur an den verheerenden Doppelanschlag auf die US-Botschaften in Nairobi und Daressalam 1998, als Bill Clinton noch Präsident war. Aber Somalia müßte ein mahnendes Beispiel sein, wie die einseitige Fixierung auf die "Terrorbekämpfung" eine ganze Gesellschaft zugrunde richten kann. Dort bekämpfen die USA seit mehr als zehn Jahren mit Hilfe lokaler Warlords die Al-Schabaab-Bewegung und haben dabei nichts als Tod und Zerstörung bewirkt. Eher treiben "Antiterrormaßnahmen" wie Drohnenangriffe viele junge Somalier in die Arme von Al Schabaab und halten damit die islamistische Miliz am Leben. Wegen der von Al Schabaab ausgehenden "Bedrohung" unterhält das US-Militär seit einigen Jahre eine dauerhafte Militärpräsenz in Kenia, während amerikanische Spezialstreitkräfte regelmäßig Einsätze im Kriegsland Somalia unternehmen.

Viele afrikanische Staaten sind schwach und ihre Politiker korrupt. Statt sich dagegen aufzulehnen, ist es bequemer und einträglicher, sich den Verlockungen der USA - militärische Partnerschaft mit Washington, Ausbildung und Ausrüstung der eigenen Soldaten durch das Pentagon und vielleicht irgendwelche Bestechungsgelder in die eigene Tasche - zu ergeben.

SB: Der amerikanische Journalist Nick Turse, dessen umfangreiche, bestens recherchierte Artikel bei TomDispatch.com und The Intercept erscheinen und der seit Jahren mehr als jeder anderer Reporter über die stetig wachsende Präsenz der US-Streitkräfte in Afrika berichtet, hat vor einiger Zeit auf die verblüffende Parallele zwischen der rasanten Zunahme der Anzahl der AFRICOM-Missionen und jener der terroristischen Aktivitäten auf dem Kontinent hingewiesen. Hatte bei der Gründung von AFRICOM 2008 dessen erster Oberkommandierender Carter Ham in Afrika lediglich eine einzige ernstzunehmende "terroristische Gruppierung" ausgemacht, so sollen es acht Jahre später mehr als 50 sein, so Turse. [1] Es fällt schwer, hier von einem Zufall zu sprechen. Eher drängt sich der Verdacht auf, der Zuwachs "terroristischer Bedrohungen" in Afrika sei von Pentagon und AFRICOM gewollt, um sich selbst und ihr Vorgehen zu legitimieren. Was meinen Sie dazu?


Waldhauser im Khakiuniform schreitet eine Linie in rote Röcke und schwarze Hosen gekleideter kenianischer Soldaten ab - Foto: © 2018 by U. S. Africa Command, freigegeben als public domain

US-Marineinfanteriegeneral Thomas Waldhauser inspiziert kenianische Ehrengarde im Juli 2018
Foto: © 2018 by U. S. Africa Command, freigegeben als public domain

MK: Natürlich ist das alles kein Zufall. Die USA fördern den sogenannten "Terrorismus" in Afrika nach besten Kräften. Bestes Beispiel ist der gewaltsame Sturz des libyschen Machthabers Muammar Gaddhafi 2011, wodurch dessen umfangreiche Waffenarsenale geplündert wurden und der Schwarzmarkt in Afrika für schweres Kriegsgerät und Munition einen noch nie dagewesenen Boom erlebte. Dschihadistische Gruppen nicht nur in Libyen selbst, sondern auch in Zentral- und Westafrika, darunter die Boko Haram in Nigeria, haben sich mit libyschen Waffen eingedeckt und setzen sie bei Kämpfen mit ihren Gegnern bis heute ein. Der damalige "Regimewechsel" in Libyen hing - ähnlich dem Irakkrieg 2003 - mit dem berüchtigten "Project for a New American Century" der Neokonservativen in Washington zusammen, bei dem es darum ging, die säkularen arabischen Länder mit Hilfe der Petromonarchien am Persischen Golf und gewaltbereiten "Dschihadisten" in neoliberale Vasallenstaaten des Westens zu verwandeln.

Gaddhafi war den westlichen Mächten, vor allem den USA, Großbritannien und Frankreich, zu eigenwillig. Er hatte Pläne, eine panafrikanische Währung einzuführen; das konnten weder Washington wegen des Petrodollars noch Paris wegen seiner wirtschaftlichen Kontrolle über die Länder der westafrikanischen Francophonie akzeptieren. Bei aller Kritik an dem früheren Libyen Gaddhafis herrscht dort heute das absolute Chaos. Das Land wird von mehreren konkurrierenden Regierungen mehr schlecht als recht verwaltet. Gesetzlose Milizen treiben ihr Unwesen und liefern sich in der Hauptstadt Tripolis regelmäßig Scharmützel. Die Wirtschaft und mit ihr die Gesellschaft kollabiert.

Seit Gaddhafi weg ist, sieht sich Europa mit einem gewaltigen Flüchtlingsproblem im Mittelmeer konfrontiert. Bis 2011 hatte Libyen mit der EU ein Abkommen laufen, demzufolge der nordafrikanische Staat verschiedene Maßnahmen ergriff, um die Nutzung seines Territoriums als Transitland für Migranten und Flüchtlinge zu unterbinden. Doch der Sturz Gaddhafis, so erfolgreich er im ersten Moment für die Hauptbefürworter, Außenministerin Hillary Clinton, Premierminister David Cameron und Präsident Nicolas Sarkozy, gewesen sein mag, hatte ungeahnte schwerwiegende Folgen, die zur Destabilisierung weiter Teile der Sahelzone sowie zu einer politischen Krise in der EU wegen der Flüchtlingsfrage führte. Das ist das generelle Problem bei all diesen Kriegen. Die Verfechter haben kurzfristige Ziele, die sie vielleicht verwirklichen können, doch die von ihnen nicht bedachten Nebenfolgen wiegen später weitaus schwerer als irgendwelcher Nutzen für die Sieger.

Gerade wurde der 100. Jahrestag der Beendigung des Ersten Weltkriegs mit großen Trauerfeierlichkeiten unter Beteiligung zahlreicher Staatsoberhäupter begangen. Da kann mir keiner erzählen, daß die verantwortlichen Politiker und Militärs in Europa im August 1914 davon ausgegangen waren, daß sie einen ganzen Kontinent in ein vierjähriges Abschlachten mit Millionen von Toten stürzen würden. Im Gegenteil gingen sie alle von einem kurzen Konflikt aus, der bis Weihnachten desselben Jahres bendet wäre. Sie haben sich etwas vorgemacht, so wie es die Kriegsplaner unserer Tage mit ihrer Strategie vom "gewinnbaren" Atomkrieg tun. Diese Sorg- und Gedankenlosigkeit angeblich schlauer Leute macht mir große Angst.


Die beiden US-Friedensaktivistinnen stehen am Kaffeetisch und lächeln für die Kamera - Foto: © 2018 by Ellen Davidson (stopthesewars.org)

Margaret Kimberley und Margaret Flowers, die Kodirektorin von Popular Resistance
Foto: © 2018 by Ellen Davidson (stopthesewars.org)

SB: AFRICOM tut sich als besonders innovativ hervor, was die Frage der Logistik und der politischen Rücksichtnahme auf die Gefühle der Bevölkerung in den Ländern betrifft, die amerikanische Truppen beherbergen sollen. Viele der Truppenverlegungen sind nur von kurzer Dauer. Häufig gibt es keine festen Unterkünfte, sondern nur Zelte. Nicht selten ist der Stützpunkt lediglich eine Flugpiste mitten in der Wallachei, die lediglich für mehrere Tagen oder Wochen benutzt wird, bis die Soldaten nach der Durchführung der Mission irgendwo anders hin verschwinden. Es scheint, als würden die US-Streitkräfte in Afrika eine neue Form der hochflexiblen Aufstandsbekämpfung üben, um sie in andere Teile der Welt exportieren zu können. Können Sie diesen Eindruck bestätigen?

MK: AFRICOM hat rund 7000 Soldaten in Afrika im Einsatz. Aber wie Sie schon geschildert haben, sind viele von ihnen, wenn nicht sogar die meisten, nicht in einem bestimmten Land oder an einem bestimmten Standort fest stationiert, sondern auf Rotation, wie es im Militärjargon heißt. Das erlaubt es den US-Streitkräften, einen vergleichsweise kleinen "Fußabdruck" zu hinterlassen. Sie sind höchst flexibel und können nach Belieben sowie innerhalb kurzer Fristen die Mission oder den Einsatzort ändern. Von daher ist AFRICOM das Modell, wie das Pentagon weite Teile der übrigen Welt in den kommenden Jahren zu beherrschen beabsichtigt.

SB: Parallel zum Zuwachs der amerikanischen Militärpräsenz in Afrika tummeln sich dort in zunehmendem Ausmaß auch Truppen der EU, Rußlands und Chinas. Sogar Israel, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate bauen mittels Geld und Sicherheitspartnerschaften ihren Einfluß auf dem Kontinent vornehmlich rund um das Horn von Afrika aus. Wird Afrika zusehends wieder zur Arena der Großmächte?

MK: Es ist niemals etwas anderes gewesen. Nehmen wir allein das militärische Engagement der EU. Es fußt auf der umfangreichen militärischen und wirtschaftlichen Zusammenarbeit Frankreichs mit seinen ehemaligen Kolonien vor allem im Westafrika. Die Währungen dieser Länder waren früher alle an den französischen Franc, heute sind sie an den Euro gekoppelt. Überall in der Region hat Paris Fremdenlegionäre stationiert. So gesehen hat Frankreich seine Kolonien niemals in eine vollständige Unabhängigkeit entlassen, sondern seinen politischen und ökonomischen Einfluß beibehalten. Auf die einseitig vorteilhafte Beziehung Frankreichs zu diesen Ländern will Paris nicht verzichten, auch wenn es sich seit einiger Zeit mit der Konkurrenz seitens anderer Großmächte wie den USA - Stichwort Ressourcenabbau - konfrontiert sieht. Bei der Bekämpfung des "Terrorismus" und der Migrationsströme in der Sahel-Zone arbeiten deutsche und französische Truppen mit Soldaten aus den Ländern Mauretanien, Mali, Burkina Faso, Niger und Tschad zusammen. Die Sahel-Mission der EU wird von Saudi-Arabien mitfinanziert, das mittels Geld seinen Einfluß in der Region geltend machen will. Seit einiger Zeit tritt Rußland als Lieferant von Rüstungsgütern sowie Infrastrukturhilfe auf und versucht, Boden gegenüber den schon länger in Afrika aktiven Großmächten gutzumachen.

2011 haben Rußland und China in der Libyen-Frage einen großen Fehler gemacht, als sie im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen eine Resolution der anderen drei ständigen Mitgliedsländer USA, Frankreich und Großbritannien über die Durchsetzung einer Flugverbotszone der NATO durchgehen ließen, statt von ihrem Vetorecht Gebrauch zu machen. Zum damaligen Zeitpunkt waren Gaddhafis Truppen gegenüber den islamistischen Rebellen auf dem Vormarsch. Der Aufstand stand kurz vor dem Aus. Doch durch den Einsatz von Kampfjets der NATO sowie westlicher Spezialstreitkräfte am Boden wurde die libysche Armee geschlagen und Gaddhafi ermordet. Rußland und China, dessen Unternehmen zuvor umfangreiche Investitionen in Libyen getätigt hatten und regen Handel mit dem nordafrikanischen Land trieben, haben quasi alles, was sie über Jahre aufgebaut hatten, verloren. Denselben Fehler werden Moskau und Peking nicht noch einmal machen. Darum drängen China und Rußland auf eine multipolare Ordnung, bei der auf die Interessen aller Großmächte Rücksicht genommen wird. Und warum nicht? Ich denke, eine solche Ordnung wäre vielleicht sinnvoller als der Pax Americana, den die USA verzweifelt auf der ganzen Welt durchzusetzen versuchen.

Der Irakkrieg und der gewaltsame Sturz Saddam Husseins waren der erste große Schritt Amerikas in diese Richtung, der jedoch Washington die Grenzen seiner Macht vor Augen geführt hat. Erstens wurde der Irak der Post-Saddam-Hussein-Ära nicht zu einem blühenden, sondern zum gescheiterten Staat, der bis heute wirtschaftlich am Boden liegt. Gleichzeitig haben die massiven Demonstrationen in den USA gegen den Krieg den Politikern in Washington gezeigt, daß die meisten Amerikaner das Leben der eigenen Landsleute für Militärabenteuer im Ausland nicht hergeben wollen. Deswegen steht die enge partnerschaftliche Zusammenarbeit zwischen dem Pentagon und befreundeten Armeen so hoch im Kurs. Die USA sind dazu übergegangen, so wenig eigene Soldaten wie möglich in das jeweilige Kampfgebiet zu entsenden. Das eigentliche Kämpfen sollen die lokalen Partner vor Ort übernehmen, deren Soldaten durch US Militärs ausgebildet worden sind. Die einheimischen Militärs werden wiederum bei gefährlichen Einsätzen oder Feuergefechten von Spezialstreitkräften und Kampfjets der USA unterstützt. Hinzu kommt der Gebrauch von Drohnen durch US-Militär und CIA, welche die Ausspähung feindlichen Gebiets und im Einzelfall auch die Ausschaltung ausgesuchter Gegner übernehmen.


US-Armeefeldwebel spricht mit einer Gruppe acht ghanaischer Soldaten - Foto: © 2011 by U. S. Army Africa, freigegeben als public domain

Nachbesprechung eines gemeinsamen Manövers in Ghana Foto: © 2011 by U. S. Army Africa, freigegeben als public domain

SB: Deshalb die ganze Aufregung, als der gewaltsame Tod der vier Green Berets in Niger nachträglich bekannt wurde?

MK: Genau. Die US-Streitkräfte in Niger sollten an keinen Kämpfen teilnehmen. Der Auftrag war formell als Ausbildungs- und Unterstützungsmission deklariert. Die großen US-Medien, die hier erstmals über AFRICOM berichteten, haben die aufgekommene Diskussion um Sinn und Zweck eines Afrika-Kommandos beim Pentagon erfolgreich im Keim erstickt, indem sie daraus wieder eine Trump-Geschichte machten und behaupteten, der Präsident habe bei seinem Beileidstelefonat mit der Witwe eines der gefallenen Soldaten - beide nicht zufällig Schwarze - keine echten Worte des Trosts gefunden, sondern die arme Frau mit irgendwelchen patriotischen Floskeln abgespeist. Die zuständigen Politiker in den verschiedenen Ausschüssen im Kongreß behaupteten, bis dahin noch niemals von einem Einsatz amerikanischer Soldaten in Afrika gehört zu haben, was nicht besonders überzeugend rüberkam. Können sie wirklich so ahnungslos sein? Da habe ich meine Zweifel. Jedenfalls beherrschte nach ein paar Tagen irgendeine andere Geschichte die Schlagzeilen und das Thema AFRICOM verschwand wieder in die Versenkung.

SB: Aber der lebensgefährliche Einsatz amerikanischer Soldaten in Afrika dürfte für die schwarze Gemeinde in den USA eine wichtige Angelegenheit sein. War das einer der Gedanken hinter der Gründung der Black Alliance for Peace?

MK: Absolut. Gerade das Versagen des Black Caucus im Kongreß vor einem Jahr, die sich bietende Chance der Kontroverse um den Tod der vier Green Berets in Niger nicht für eine breit angelegte Debatte um das Für und Wider von AFRICOM zu nutzen, hat deutlich gemacht, daß wir politisch Interessierte auf der Basisebene selbst die Dinge in Schwung bringen und die traditionell skeptische Haltung der afroamerikanischen Gemeinde gegenüber jeder Art von Militarismus neu entfachen müssen. Wir von der Black Alliance for Peace gehen davon aus, daß wir lediglich die Existenz von AFRICOM in der afroamerikanischen Gemeinde so richtig bekannt machen müssen. Dann werden die Leute selbst auf die für das Pentagon und das Weiße Haus unangenehmen Fragen kommen, was US-Soldaten überhaupt in Afrika zu suchen haben und welchen Zwecken die amerikanische Militärpräsenz dort dient. Erst dann kann eine richtige Debatte beginnen.

In den letzten Jahrzehnten hat sich die politische Landschaft in den USA nach rechts verschoben. Was einst rechtsradikal war ist heute konservativ; die Liberalen vertreten konservative Positionen, während eine linke Perspektive in den Medien und öffentlichen Diskussionen kaum noch vorhanden ist. Auch viele Schwarze wurden durch die Wahl Barack Obamas zum Präsidenten mit dem politischen System versöhnt. Vor diesem Hintergrund wollen wir von der Black Alliance for Peace dazu beitragen, den Trend nach rechts zu stoppen und in sein Gegenteil zu verkehren. Unseres Erachtens kann das nur über die Remobilisierung der schwarzen Wählerschaft der USA und die Reaktivierung ihrer latent gesellschaftskritischer Tendenzen gelingen. Dafür ist AFRICOM ein ideales Thema, weil man damit die Widersprüche der amerikanischen Politik mehr als sichtbar machen kann. Ich erinnere an die Umfragen am Vorabend des Irakkrieges 2003. Dabei war der Prozentsatz der schwarzen Bürger der USA, die den geplanten Anti-Saddam-Hussein-Feldzug der Regierung von George W. Bush ablehnten, um ein Vielfaches höher als derjenige der weißen Bevölkerung. Es ist die einstige regierungskritische und gegen den Krieg eingestellte Tradition von Amerikas Schwarzen, der wir zur alten und neuen Blüte verhelfen wollen.

SB: Recht vielen Dank, Margaret Kimberley, für das Interview.


Margaret Kimberley sitzt beim Interview im Sessel - Foto: © 2018 by Schattenblick

Foto: © 2018 by Schattenblick


Fußnote:

1. Nick Turse & Tom Engelhardt, "Mission Impossible: Keeping Track of US Special Ops in Africa", TomDispatch.com, 7. September 2016


Bericht und Interviews zur ersten "International Conference Against US/NATO Military Bases" in Dublin im Schattenblick unter:
www.schattenblick.de → INFOPOOL → POLITIK → REPORT:

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19. Dezember 2018


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