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INTERVIEW/371: Horizonte und Grenzen - auf Linie gegen den Strich ...    Wael Hmaidan im Gespräch (SB)



Wael Hmaidan ist der Direktor des Climate Action Network International (CAN). Er hat in den letzten acht Jahren an allen internationalen Verhandlungen zum Thema Klimawandel teilgenommen, davon zwei Jahre als Verhandlungsführer der libanesischen Regierung. Beim CAN handelt es sich um einen Dachverband von mehr als 1100 umweltpolitischen NGOs in über 120 Ländern mit dem Ziel, die vom Menschen verursachte Klimaerwärmung auf ein ökologisch vertretbares Maß zu beschränken. CAN agiert vorwiegend im Rahmen der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen (UN-FCCC), seine Vision ist der Schutz der Atmosphäre bei gleichzeitiger Wahrung einer weltweiten nachhaltigen und gerechten Entwicklung.

Zur Klimakonferenz auf Bali im Jahr 2007 spaltete sich das Bündnis Climate Justice Now! ab. Die Mitglieder des neu gegründeten Verbandes waren der Auffassung, Vertreter der Dritten Welt würden in CAN nicht ausreichend zum Zuge kommen, und sie standen der engen Zusammenarbeit zwischen CAN und staatlichen Stellen wie auch Unternehmen mit hohen Emissionen sowie marktbasierten Klimaschutzmaßnahmen kritischer gegenüber. Zudem wollten sie eine konfrontativere Strategie als CAN verfolgen.

Bei der Podiumsdiskussion des German Institute of Global and Area Studies (GIGA) zum Thema "Die G20 im Kontext globaler Veränderungen: Erwartungen und Hoffnungen, Risiken und Herausforderungen", die am 17. Juni 2017 im Hamburger Rathaus stattfand, diskutierte Wael Hmaidan mit Prof. Amrita Narlikar (Präsidentin des GIGA) und Prof. Lars Hendrik Röller (G20 "Sherpa" und Wirtschafts- und finanzpolitischer Berater der Bundeskanzlerin). Im Anschluß daran beantwortete er dem Schattenblick einige Fragen zum Stand des Kampfs gegen den Klimawandel, zur deutschen Kohlefrage, zum Emissionshandel und zur Verantwortung von Wirtschaftsunternehmen.


Am Stehtisch beim Empfang - Foto: © 2017 by Schattenblick

Wael Hmaidan
Foto: © 2017 by Schattenblick


Schattenblick (SB): Herr Hmaidan, Sie engagieren sich seit gut zwei Jahrzehnten im Kampf gegen den Klimawandel. Kann dieser Ihres Erachtens verhindert werden, wenn wir weiter so verfahren wie bislang?

Wael Hmaidan (WH): Das kommt darauf an, was Sie mit "verhindern" meinen, weil der Klimawandel bereits stattfindet. Wenn gemeint ist, eine katastrophale Auswirkung zu vermeiden, die zum Zusammenbruch der gesamten menschlichen Zivilisation führt, bin ich mir dessen sicher. Wir haben bereits einen Weg eingeschlagen, der den vollständigen Zusammenbruch verhindert, aber es ist wichtig, so viele Länder wie möglich zu retten, die auf diesem Planeten existieren. Unter den gegenwärtigen Annahmen können wir sagen, daß die Hälfte der Welt verschwinden wird, wenn wir so weitermachen wie bisher. Wir müssen von dieser Hälfte der Welt so viele Länder wie möglich retten, und das ist machbar. Es gibt viele Aspekte der Problematik, an die wir optimistisch herangehen können. Der Kampf gegen den Klimawandel taucht inzwischen auf der politischen Agenda zahlreicher Staaten auf, wenn wir etwa an Deutschland, Frankreich, China und Indien denken - fast alle wichtigen Länder nehmen den Klimawandel ernst. Unglücklicherweise haben wir die USA verloren. Obama räumte dem Klimawandel höchste Priorität ein, doch die Trump-Administration stellt eine große Herausforderung für uns dar. Sie bestreitet den Klimawandel, was nicht nur mit Blick auf ihn selbst, sondern auch in ökonomischer Hinsicht dumm ist. Wir glauben, daß die neue Weltwirtschaft nicht länger auf fossilen Energieträgern, sondern auf erneuerbarer Energie gründet, worauf alle Zahlen hindeuten. Trump erklärt, er beteilige sich nicht am Kampf gegen den Klimawandel, weil dieser die USA Jobs kosten würde, obwohl es sich in Wirklichkeit genau umgekehrt verhält.

Der Klimawandel stellt die USA vor ökonomische Probleme, und erneuerbare Energien sind der Sektor der Zukunft, in den das Geld fließt und in dem neue Arbeitsplätze entstehen werden. Alle Vorhersagen gehen davon aus, daß der Sektor der erneuerbaren Energien weltweit weiter wachsen wird, während der Bereich der fossilen Energieträger überall vor Problemen steht. Kohlebergbau und Kohleverarbeitung werden weltweit vielerorts eingestellt. In den USA wurde diese Sparte erheblich reduziert, und dies nicht wegen des Klimawandels, sondern aus rein wirtschaftlichen Gründen. Deshalb ist Trumps Unterstützung der Kohle ein törichtes Narrativ, und wie ich in meinem Vortrag erwähnt habe, schafft die von Trump unter großem Medienwirbel eröffnete Kohlegrube lediglich 70 Arbeitsplätze. Ein größerer Supermarkt kann mehr Jobs schaffen, was um so viel mehr für erneuerbare Energien gilt. Allein in den USA schafft dieser Sektor zwölfmal so viele Jobs wie im nationalen Durchschnitt neu eingerichtet werden. Dieser Bereich steht im Zentrum weltweiten Interesses. Wir können in der Tat sagen, daß die Strategie der USA im Umgang mit dem Klimawandel in Widerspruch zur Doktrin "America first!", zur US-Wirtschaft und zur Schaffung von Arbeitsplätzen steht, während andere Länder wie China oder Indien davon profitieren, die verstärkt auf Erneuerbare setzen.

SB: Wie ist es um die deutsche Agenda im Kampf gegen den Klimawandel bestellt? Die Bundesregierung führt zwar Maßnahmen gegen den Klimawandel im Munde, geht aber das Kohleproblem nicht entschieden an, da die besonders umwelt- und klimaschädliche Braunkohle weiterhin abgebaut und verfeuert wird.

WH: Deutschland hat ein klares Bekenntnis zum Kampf gegen den Klimawandel abgegeben, könnte aber zweifellos noch mehr tun. Wir verstehen die Probleme im Kontext des deutschen Kohletagebaus. Meiner Ansicht nach versucht die Bundesregierung mit Blick auf die bevorstehenden Wahlen aus politischen Gründen, die Interessen der Kohleregionen und der in dieser Branche Beschäftigten zu berücksichtigen. Ökonomisch gesehen könnte Deutschland jedoch die weltweite Führung im Bereich der erneuerbaren Energien übernehmen, diese Technologien wie auch die damit verbundenen Arbeitsplätze in alle Welt exportieren und das Saudi-Arabien der Erneuerbaren werden. Das liegt im ökonomischen Interesse Deutschlands. Es gibt also hierzulande Herausforderungen, aber wir sind glücklich darüber, daß Deutschland den Kampf gegen den Klimawandel auf die politische Agenda gesetzt hat. Angela Merkel hat den Klimawandel zu einem Schlüsselthema der G20-Agenda erklärt, und genau das brauchen wir derzeit angesichts der politischen Situation in den USA. Deutschland kompensiert den Mangel an Führerschaft seitens der USA und arbeitet mit anderen europäischen Ländern und China zusammen, um eine Führung in der Klimafrage zu bilden. Das ist die Richtung, die es gegenwärtig einzuschlagen gilt. Ich setze volles Vertrauen in die Einsicht der Bundesregierung, daß die vorhandenen Kohlereserven eine ökonomische Bürde sind. Natürlich muß der Kohleausstieg so gestaltet werden, daß die in diesem Sektor Beschäftigten nicht darunter leiden. Der Übergang von fossilen zu erneuerbaren Energien muß gerecht gestaltet werden, die Interessen der Beschäftigten im Kohlebergbau berücksichtigen und sicherstellen, daß ihre Lebensqualität in einer Wirtschaft auf Grundlage erneuerbarer Energien steigt.

SB: Der Emissionshandel ist in der Klimadebatte ein zentrales und umstrittenes Thema. Ist er Ihrer Ansicht nach eine Lösung oder im Gegenteil selbst Teil des Problems?

WH: Emissionshandel könnte eine Lösung sein, wenn er sorgsam reguliert wird. Unglücklicherweise ist er angesichts einer fehlenden weltweiten Deckelung problematisch. Der Emissionshandel mit Ländern, die keine Obergrenze ihrer Emissionen haben, sorgt jedenfalls für einige technische Herausforderungen und könnte zu einer doppelten Zählung der Emissionsreduzierung führen. Wenn der Emissionshandel durchgeführt werden muß, sollte dies mit Ländern geschehen, die bereits eine Deckelung ihrer Emissionen eingeführt haben, weil er dann zuverlässigere Ergebnisse liefern würde. Zudem existieren verschiedene Mechanismen des Emissionshandels. Wird er angemessen durchgeführt, kann er wirksam sein. Dies setzt eine richtige Einpreisung des CO², einen regulierten Markt und die erwähnte Deckelung voraus. Priorität sollte jedoch die Reduzierung der eigenen Emissionen genießen, denn soweit Emissionshandel zur Anwendung kommt, um die Reduzierung der billigsten Emissionen in anderen Ländern zu fördern, wird es für diese Länder schwieriger, ihre übrigen Emissionen zu verringern. Der einfachste Weg, die Emissionen zu reduzieren, ist ihre Verringerung im eigenen Land und der Handel mit jenen Emissionen, die schwieriger zu reduzieren sind. Aus diesem Grund muß der Preis im Emissionshandel bei 30 Dollar [1] oder höher angesetzt werden, dann könnte dieses Verfahren tatsächlich effektiv sein.

SB: Sollte die Verantwortung der Wirtschaftsunternehmen im Kontext von Umweltschutz und Klimawandel auf freiwilliger Basis erfolgen oder bedarf es politischen Drucks und entsprechender Auflagen, um eine wünschenswerte Handlungsweise herbeizuführen?

WH: "Wirtschaftsunternehmen" ist ein sehr weit gefaßter Begriff. Selbst unter den NGOs gibt es einige, die eine rechtsgerichtete Agenda unterstützen, während sich andere für eine liberale Agenda einsetzen. Wenn wir über NGOs sprechen, meinen wir in der Regel solche, die für Menschenrechte, Frauenrechte und andere fortschrittliche Ziele kämpfen. Jede NGO kämpft indessen für ihre eigene Agenda. Die Welt ändert sich. Wir sehen heute, daß Wirtschaftsunternehmen mit einer liberalen Agenda auf dem Vormarsch sind. Aus diesem Grund hat die Kooperation zwischen NGOs und Unternehmen zugenommen. Wir glauben, daß insbesondere die liberalen, progressiven Unternehmen eine wichtige Rolle bei der Lösung spielen. Während sich die US-Administration aus dem Kampf gegen den Klimawandel zurückzieht, beharren Tausende der größten US-amerikanischen Unternehmen darauf, weiterhin die Vereinbarungen zur Reduzierung der Emissionen zu unterstützen. Dies setzt ein ökologisches Zeichen, daß die Administration nicht eigenmächtig entscheiden kann, was im Land geschieht. Die Zusammenarbeit mit lokalen Behörden und Gouverneuren der Bundesstaaten bei der Umsetzung des Pariser Abkommens zeigt, daß diese Kooperation hochwillkommen ist.

Im Sinne einer neuen Arbeitsweise von NGOs müssen wir jene Unternehmen unterstützen, die eine progressive Agenda hinsichtlich des Klimawandels und anderer wichtiger Themen haben. Wir müssen ihre Möglichkeiten stärken, in diesem Sinn Einfluß auf andere Unternehmen zu nehmen. Die Ökonomie funktioniert letzten Endes im Interesse der besten wirtschaftlichen Möglichkeiten und Jobs, Investoren und Unternehmen können bestimmen, welchen Weg die Welt einschlägt. Traditionell waren Unternehmen der nationale Gegner der NGOs. Das hat sich in den letzten fünf oder zehn Jahren dramatisch geändert. Heute können progressive Unternehmen mit NGOs zusammenarbeiten, um die Welt zu schaffen, die wir uns wünschen.

SB: Was erhoffen Sie sich vom G20-Gipfel hier in Hamburg?

WH: Der G20-Gipfel ist eine sehr verzwickte Angelegenheit und stellt einen harten Prüfstein für die Welt dar. Am G7-Gipfel nahmen die USA teil, und es ging dabei im wesentlichen um die führenden Industriestaaten. Der G20-Gipfel ist etwas anders strukturiert, da Staaten wie Saudi-Arabien, Rußland und andere teilnehmen, die möglicherweise nicht mit allem übereinstimmen, was Deutschland repräsentiert. Deshalb handelt es sich um einen ausgesprochen wichtigen Test zu zeigen, daß die Welt ungeachtet des Ausbrechens der USA einig im Kampf gegen den Klimawandel ist. Die G7 haben das geschafft, aber es waren eben im Endeffekt nur sechs Staaten. Der G20-Gipfel ist wichtiger, weil eine Reihe von Schwellenländern beteiligt und eine allgemeine Unterstützung des Pariser Abkommens keineswegs sicher ist. Wir hoffen, daß wenn schon nicht die G20, so doch 19 teilnehmende Staaten ein geschlossenes und starkes Votum für den Kampf gegen den Klimawandel abgeben.

SB: Herr Hmaidan, vielen Dank für das Gespräch.


Fußnote:

[1] Preis eines Zertifikats für den Ausstoß einer Tonne CO².

27. Juni 2017


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