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INTERVIEW/332: EU Gleichung - Schimpfwort Populismus ...    Luc Jochimsen im Gespräch (SB)


Gerade jetzt die Stimme erheben ...

Interview am 13. Dezember 2016 im Museum der Arbeit in Hamburg-Barmbek


Die Soziologin, Autorin und langjährige Rundfunkjournalistin Luc Jochimsen saß für Die Linke im Bundestag und wurde 2010 als Präsidentschaftskandidaten der Linkspartei aufgestellt. Vor zwei Jahren veröffentlichte sie ihre Autobiographie, deren Titel Die Verteidigung der Träume kaum zeitgemäßer sein könnte. Nach dem von ihr moderierten Gesprächsabend mit Sahra Wagenknecht und Fabio De Masi, bei dem im Museum für Arbeit in Hamburg-Barmbek die Frage "EU am Abgrund? Wohin steuert die EU zwischen Brexit, CETA, Euro- und Flüchtlingskrise?" [1] erörtert wurde, stellte sich Luc Jochimsen für einige Fragen zur Verfügung.


Im Gespräch - Foto: © 2016 by Schattenblick

Luc Jochimsen
Foto: © 2016 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Frau Jochimsen, Sie waren selbst Präsidentschaftskandidatin der Linkspartei. Was sagen Sie zu der diesjährigen Aufstellung von Herrn Butterwegge?

Luc Jochimsen (LJ): Ich bin sehr froh, daß wir mit Professor Butterwegge wirklich eine Person gefunden haben, die zu Steinmeier absolut im Kontrast steht. Steinmeier ist in vieler Hinsicht ein durchaus guter Außenminister, und es gibt Leute, die der Meinung sind, daß er damals die Agenda 2010 organisiert, betrieben und koordiniert hat, sei jetzt so lange her, daß es auch einmal vorbei sein müsse. Warum das für uns nicht vorbei sein kann, hängt damit zusammen, daß es für die Menschen, die seit damals und immer noch unter Hartz IV-Bedingungen leben, ja nicht vorbei ist. Das ist heute genauso wie damals ein Problem. Tausende, ja Abertausende sind von dieser Agenda 2010 betroffen. Insofern kann man deren Erfinder und Koordinator jetzt nicht einfach zum Bundespräsidenten wählen.

Da ist Butterwegge ein fantastischer Gegenpol, weil er genau das Gegenteil vertritt, und zwar nicht durch irgendwelche Phantastereien, sondern durch seine Forschungen zur Armut als dem zentralen Thema seiner Wissenschaft. Er hat die Belege zusammengetragen und zeigt damit auch, wo Die Linke steht, der es eigentlich um die Schwachen und Armen in der Gesellschaft geht. Insofern finde ich seine Wahl hervorragend und für mich auch erfreulich. Die Linke in Thüringen, für die ich zwei Perioden im Bundestag war, hat mich als Wahlfrau nominiert, so daß ich im Februar den Bundespräsidenten wählen darf, und ich werde Butterwegge mit vollem Herzen meine Stimme geben.

SB: Das landläufige Wort von der Lügenpresse ist von rechts besetzt. Es ist bekannt, wo es herkommt und warum es nicht adäquat ist. Nun haben viele Menschen nicht von ungefähr den Eindruck, von Herrschaftsdiskursen oder Indoktrinationsversuchen in die Irre geführt zu werden. Wie würden Sie die Rolle der etablierten Medien in diesem Zusammenhang bewerten?

LJ: Ich würde von Lügenpresse nicht reden, weil dieser Begriff vergiftet und kontaminiert ist durch den Nationalsozialismus. Aber daß die Presse nicht wahrhaftig und umfassend informiert, unterschreibe ich voll und ganz. Ich habe dies bei dieser Veranstaltung an dem Punkt, wie wir mit dem Referendum in Italien umgegangen sind, aufzuzeigen versucht. Es ist ja auffallend, daß uns die Presse vor dem Brexit - wie auch immer man dazu steht - ständig und unisono Horrorszenarien aufgetischt hat, die alle nicht eingetreten sind. Jetzt zeigt man sich überrascht, daß all das nicht so gekommen ist wie vorausgesehen. Daran kann man einiges ablesen.

Daniela Dahn hat jetzt in einem Artikel im Freitag auf wirklich großartige Weise darauf hingewiesen, wie viel Informationen über den Krieg in Syrien von Pentagon-Mitarbeitern geschrieben werden und daß auffallenderweise immer von guten und schlechten Oppositionelle bzw. guten und schlechten Kämpfern die Rede ist [2]. Das hat mit Information und Wahrhaftigkeit überhaupt nichts zu tun, sondern ist eine ständige Parteinahme für das eine Lager. Natürlich machen die Russen Propaganda, aber wenn man ihnen das vorwirft, muß man auch einräumen, daß man selbst genauso Propaganda macht. Das ist das wirklich Schlimme.

SB: Sie waren einmal Chefredakteurin im Hessischen Rundfunk. Wie ist es um die inhaltliche Kontrolle der öffentlich-rechtlichen Berichterstattung bestellt? Üben die Rundfunkräte aus Ihrer Sicht ernstzunehmenden Einfluß aus?

LJ: Man hat die Gremien immer sehr kritisiert, weil sie letztlich auch parteiisch zusammengesetzt sind. Aber jetzt hat der Rundfunkrat des WDR erstmalig und einmalig in der Geschichte der ARD Sendungen des WDR über die Ukraine und Ostukraine ganz scharf kritisiert und auch eine Rüge ausgesprochen. Das hat es vorher so noch nicht gegeben. Man hat die besonders gerügten Sendungen zwar in den Tagesthemen aufgegriffen, aber danach lustig weitergemacht und wartet jetzt sozusagen auf das nächste Urteil der Gremien. Insofern haben die Gremien einen Blick darauf. Nun können die Gremien natürlich aus gutem Grund immer erst, nachdem gesendet worden ist, das Gesendete beurteilen und nicht vorher eingreifen. Das ist auch vollkommen in Ordnung, weil es andersherum Zensur wäre. Aber das Erschreckende ist, daß trotz der berechtigten Kritik der Gremien und ihres Tadels nach kurzer Zeit wieder weitergemacht wird wie bisher.

SB: An Frau Wagenknecht adressiert steht der Vorwurf des Linkspopulismus im Raum, der mit der unterstellten Gleichsetzung von Links und Rechts einhergeht. Ist es überhaupt zweckmäßig, wenn Linke über den sogenannten Populismus als Mittel einer politischen Durchsetzungsstrategie nachdenken?

LJ: Erstens finde ich es falsch, Populismus generell zu verteufeln, denn was heißt Populismus? Populismus bedeutet doch, sich mit dem Volk, also der Mehrheit der Bevölkerung auseinanderzusetzen. Dafür steht Populismus eigentlich. Daran kann ich in einer Demokratie, ehrlich gesagt, überhaupt nichts Falsches sehen. Was wir an populistischer Politik kritisieren, ist eigentlich das demagogische, auf Versimplifizierung hinarbeitende Moment, sich die eigenen politischen Positionen gewissermaßen als die des Volkes anzueignen und sie ihm wieder zu servieren. Das ist die populistische Politik, wie sie von der Rechten betrieben wird.

Und zweitens habe ich mich gegen die Gleichsetzung zwischen links und rechts immer zur Wehr gesetzt. Hier gibt es keinen Vergleich. Linke Politik, wie auch immer sie sein will, setzt bei der Information, beim Lernen, beim Willen, bei der Selbstbestimmung an, rechte Politik ist etwas ganz anderes. Die Gleichsetzung mit den Rechten ist natürlich die berühmte Diffamierung und im Kern auch Beschimpfung der Linken.

SB: Sie haben das Gespräch heute abend moderiert. Werden Sie sich auch im kommenden Wahlkampf stärker einbringen?

LJ: Ich würde gerne Fabio De Masi weiter unterstützen, weil ich denke, daß Hamburg mit ihm eine großartige Person hätte. Er bringt etwas Weltmännisches und Europäisches mit, das auch Hamburg gut ansteht. Gleichzeitig ist er ein Mensch, der nie den Boden unter den Füßen verloren hat. Er hat von schwarzen Limousinen für die Abgeordneten gesprochen und verdient in Brüssel unglaublich viel. Die Europaabgeordneten werden ja geradezu sediert, wenn man so will, durch unglaubliche Diäten und Gelder. Für den Fall, daß er nach Berlin geht, würde er glatt auf die Hälfte seiner Einnahmen verzichten. Großartig bei ihm finde ich zudem, daß er über den Tellerrand schaut. Und er hat recht, wenn er sagt, wir müssen es selbst schaffen. Das ist auch die Lehre meines eigenen langen Lebens, meiner Erfahrung aus der Jugend und den frühen Jahren nach dem Krieg: Wenn wir es selbst nicht wollen, dann dürfen wir uns auch nicht beklagen.

SB: Frau Jochimsen, vielen Dank für das Gespräch.


Luc Jochimsen mit Mikrofon auf dem Podium - Foto: © 2016 by Schattenblick

Foto: © 2016 by Schattenblick


Fußnoten:

[1] BERICHT/253: EU Gleichung - Primat der Verteilungsökonomie ... (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/report/prbe0253.html

[2] http://www.danieladahn.de/wp-content/uploads/2016/12/Die-Guten-und-die-B%C3%B6sen.pdf


22. Dezember 2016


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