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INTERVIEW/149: Kapitalismus final - ... ohne Moos (SB)


Till Petersen zur Kampagne gegen die Hamburger Kürzungspolitik

Interview am 17. November 2012 in Hamburg-St. Georg



Die Krise des Kapitalismus schlägt auch durch die sozialen Verhältnisse Hamburgs eine Schneise der Verwüstung. Obgleich eine der reichsten Städte Europas, treibt Hamburg die Zerstörung vorhandener Sozialsysteme massiv voran und vertieft die Spaltung der Gesellschaft. Die Finanzplanungen der Hansestadt stehen unter dem Diktat der Schuldenbremse, deren Folgen katastrophal anmuten. Schon jetzt sind rund 230.000 Menschen unmittelbar von Armut betroffen, wobei die Unterstützung gerade in jenen Stadtteilen fast vollständig weggekürzt werden soll, in denen sich verarmte Bevölkerungsteile konzentrieren.

Zu den Hauptopfern der Kürzungspolitik gehörten Kinder und Jugendliche, zahlreiche Projekte, die den Zusammenhalt in den betreffenden Stadtteilen fördern, sind akut gefährdet. Zudem wird der Anspruch auf eine aktive Beschäftigungspolitik aufgegeben. Da zugleich die Bezahlung der Beschäftigten im öffentlichen Dienst begrenzt und dort zahlreiche Stellen gestrichen werden sollen, verschlechtert sich die Qualität der dringend erforderlichen Dienstleistungen. Bei der öffentlichen Infrastruktur herrscht ein Sanierungsstau, der sich künftig weiter verschärfen wird. Sollten diese und weitere soziale Grausamkeiten nicht verhindert werden, thront das saturierte hanseatische Bürgertum mehr denn je auf einem wachsenden Berg menschlichen Elends.

Till Petersen gehört der AG Studierendenpolitik der Partei Die Linke im Hamburger Landesverband an und ist in der SDS Hochschulgruppe Uni Hamburg aktiv. Beim Symposium der Veranstaltungsreihe "Kapitalismus in der Krise", das am 17. November im Georg-Asmussen-Haus in Hamburg-St. Georg stattfand, stellte er eine Kampagne gegen die Kürzungspolitik in der Hansestadt vor und sammelte Unterschriften gegen die Schuldenbremse. Nach der Veranstaltung beantwortete er dem Schattenblick einige Fragen zu Zielsetzung und Verlauf der Initiative.


Schattenblick: Hamburg kürzt - um welche konkreten Ziele geht es bei eurem Sozialkampf gegen die Kürzungen der Sparpolitik?

Till Petersen: Wir machen eine Kampagne gegen die Kürzungspolitik in Hamburg. Wir sind aktive Studierende aus den Bereichen Soziales, Kultur, Bildung und Gesundheit in der Stadt und arbeiten vorrangig an einer Unterschriftenkampagne gegen die Schuldenbremse, deren konkrete Auswirkungen im steten Abbau und Absterben sämtlicher Bereiche von Bildung, Soziales, Gesundheit und Kultur zum Tragen kommen. Dagegen setzen wir die Forderung, daß diese Etats stabil gehalten werden müssen unter Einschluß von Tarifentwicklung und Inflation. Das klingt relativ banal, ist aber eigentlich der Kampf ums Ganze, denn es geht um die Frage, ob man in der Politik im wesentlichen von der sogenannten Konsolidierung des Haushaltes und damit der reinen Dienlichkeit von Kapitalinteressen ausgeht oder die politische Verantwortung darin besteht, entsprechend den realen menschlichen Bedürfnissen eine gesellschaftliche Entwicklung zu ermöglichen. Das ist die eigentliche Frage hinter der Schuldenbremse, und insofern steckt hinter der Forderung, die Etats der entsprechenden sozialen und kulturellen Einrichtungen stabil zu halten, die Eröffnung einer Entwicklungsmöglichkeit gegen den aktuellen Zerstörungskurs in all diesen Bereichen.

SB: Steht der von euch geführte Kampf im Zusammenhang mit einer größeren Entwicklung und weiter gefaßten Zielen?

TP: Ja, insofern mit weiter gefaßten Zielen, als wir auch sagen, daß eine solche Stabilität Ruhe in all diese Einrichtungen hineinbringen würde, damit die dort arbeitenden Menschen die Bedingungen vorfinden, um sich auf Grundlage einer solchen Stabilität zu überlegen, was eine positive Entwicklungsrichtung sein könnte. Am Beispiel der Gesundheitspolitik bedeutet dies, wenn man erst einmal den ganzen Privatisierungs- und Effizienzdruck beendet: Was könnte eine echte Gesundheitsförderung und eine echte präventive Medizin sein, daß man sich ernsthaft Gedanken über die sozialen, kulturellen und ethischen Ursachen von Krankheit macht und ein positives Bild von Gesundheit entwirft? Oder daß man im Bereich Soziales die ständige Bemühung um Abfederung sozialer Brutalität insofern anerkennt, als diese Einrichtungen Teil eines Demokratisierungsprozesses sind, denn soziale Arbeit bedeutet gleichzeitig, die Menschen dazu zu ermächtigen, mehr Einfluß auf ihre eigenen Lebensbedingungen zu gewinnen. In dieser Weise bedeutet der Stopp der Kürzungen die Eröffnung neuer Räume für positive Entwicklungsvorhaben.

SB: Wie würdest du in diesem Zusammenhang die Rolle der SPD-Regierung in Hamburg einschätzen?

TP: Dahingehend, daß sie als Alternative zu den vorangegangenen Jahren unter Schwarz mit Variationen, also CDU mit Schill, austauschbar mit CDU mit Grünen, gewählt worden ist, aber die SPD ist nicht in der Lage, eine wirkliche Alternative zu realisieren, weil sie sich von ihrer asozialen Agendapolitik nicht verabschieden möchte. Und das, obwohl sie genau weiß, daß sie gescheitert ist. In gewisser Weise tut sie es nicht aus Stolz, aber auch aus Opportunismus gegenüber den Herrschenden - das Rathaus ist an die Handelskammer gebaut. Die SPD ist nicht willens, hier wirklich eine ernsthafte Korrektur vorzunehmen. Aber letztendlich wird das nicht im Rathaus entschieden, sondern in der Bewegung auf der Straße. Die Geschichte hat gezeigt, daß sich, wenn es entsprechende Bewegungen gibt, auch eine Sozialdemokratie korrigieren muß.

SB: Und wie ist nach deiner Erfahrung die Stimmung und
Kampfbereitschaft der Beschäftigten?

TP: Durchmischt. Die Stimmung ist angemessen, insofern der Unmut über die negativen Entwicklungen sehr ausgeprägt ist. Es fehlt aber an der Überzeugtheit, daß man selber der Faktor dafür ist, etwas zu verändern. Daher gilt meines Erachtens der sehr kluge Gedanke, daß man aus passivem Unmut aktive Gegenwehr machen muß. Das heißt erstens, daß praktische Konsequenzen aus dem Ärger folgen, und zweitens, in die inhaltliche Auseinandersetzung darüber zu treten, was positive alternative Vorstellungen zu den bestehenden Übeln sein könnten. Insofern würde ich sagen, daß ein Potential vorhanden ist, das aber noch mobilisiert werden muß.

SB: Wie ist deiner Einschätzung nach die Resonanz in der Öffentlichkeit?

TP: Die Kampagne mit den Unterschriften zeigt durchaus, daß ein großes Einverständnis vorhanden ist, sobald bestimmte Probleme thematisiert sind. Und es gibt auch eine große Aufgeschlossenheit darüber, daß Probleme wie Krankenhäuser, die krankmachen statt gesundmachen, oder Bildungseinrichtungen, in denen die Leute durchgeschleust werden und hinterher dümmer sind als vorher, auch als Probleme erkannt werden. Es wird auch verstanden, daß es nicht nötig sein müßte, gerade weil Hamburg eine immens reiche Stadt ist und eigentlich alle Bedingungen dafür hat, diese Bereiche positiv zu entwickeln. Die entscheidende Frage ist, und da wird es dann hakelig, inwieweit man sich selber an Kämpfen beteiligt. Kämpfen bedeutet natürlich auch, daß man seine Position und damit auch seine gesellschaftliche Integration in Frage stellt. Das Risiko besteht darin, auch das gegebene Niveau zu verlieren, aber je deutlicher es wird, daß das gegebene Niveau schlecht ist, desto eher steigt auch die Bereitschaft, daß man für ein besseres Niveau kämpfen muß.

SB: Till, vielen Dank für dieses Gespräch.

12. Dezember 2012