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INTERVIEW/093: Petersberg II - Said Mahmoud Pahiz, Solidaritätspartei Afghanistans (SB)


Interview mit Said Mahmoud Pahiz am 5. Dezember in Bonn


Beim Antikriegs- und Anti-NATO-Kongreß am 4. Dezember im Rheinischen Landesmuseum nahm an der von Iez Thiry vom belgischen Friedensbündnis Vredesactie moderierten Podiumdiskussion "Sie reden vom Frieden. Sie führen Krieg" neben Mamdough Habashi aus Ägypten und der irischen Friedensnobelpreisträgerin Mairéad Maguire auch Mahmoud Said Pahiz von der Solidaritätspartei Afghanistans teil. Pahiz stellte sich den versammelten Friedensaktivisten als "Vertreter der unterdrückten afghanischen Bevölkerung" vor und bezeichnete den Zweck der am nächsten Tag stattfindenden offiziellen Afghanistan-Konferenz als "verstärkte Kolonisierung" seiner "unglücklichen Heimat".

Die Partner der NATO in Afghanistan verurteilte Pahiz als "Mörder, Drogenbaronen, Ausbeuter, Söldner, rückwärtsgewandte Fundamentalisten und antidemokratische, menschenverachtenden Kräfte", die gegen das Interesse des Landes handelten und die Rechte der afghanischen Frauen mit Füßen treten würden. Seiner Einschätzung nach verfolgten die NATO-Mächte in Afghanistan ausschließlich ihre eigenen Interessen, weshalb sie aktuell bestrebt wären, unter Vermittlung Pakistans einen Modus vivendi mit den Taliban um Mullah Mohammed Omar zu suchen. Am Vormittag des 5. Dezember nahm Pahiz an der Mahnwache der Friedensbewegung als Protest gegen die internationale Afghanistan-Konferenz im alten Bundestag teil, bei welchem Anlaß der Schattenblick folgendes Gespräch mit ihm führen konnte.

Nahaufnahme von Said Mahmoud Pahiz bei der Podiumsdiskussion auf dem Anti-NATO-Kongreß - Foto: © 2011 by Schattenblick

Said Mahmoud Pahiz
Foto: © 2011 by Schattenblick
Schattenblick: Herr Pahiz, Sie sind als Mitglied der Solidarity Party of Afghanistan hier, nicht wahr?

Said Mahmoud Pahiz: Korrekt.

SB: Haben Sie 2006 die Solidaritätspartei Afghanistans mitbegründet?

SMP: Das habe ich.

SB: Welches Motiv hatten Sie und Ihre Streitgefährten, diese politische Gruppierung ins Leben zu rufen?

SMP: Um in der Öffentlichkeit politische Aktivität gegen die Besatzung und den Krieg in Afghanistan entfalten und die Stimme der einfachen Menschen, die bei uns kein Gehör finden, zu verbreiten. Ihretwegen sind wir nach Bonn gekommen, um gegen die internationale Konferenz zu protestieren. Hier findet ein Treffen von Verbrechern und Kriegsherrn statt, das für das einfache Volk Afghanistans keine positiven Auswirkungen haben wird.

SB: Aus welchem Teil Afghanistans kommen Sie?

SMP: Aus der Hauptstadt Kabul.

SB: Bestehen die Mitglieder der Solidaritätspartei Afghanistans hauptsächlich aus Studenten?

SMP: Nein, bei uns gibt es Menschen aus allen Bevölkerungsschichten und Landesteilen.

SB: Sie sind also nicht auf Kabul beschränkt?

SMP: Nein, wir haben auch Büros in den anderen Provinzen.

SB: Haben Sie anläßlich des zehnten Jahrestages des Einmarsches an der Demonstration in Kabul Anfang Oktober gegen die Loya Jirga teilgenommen, um gegen die Absegnung der Pläne von Präsident Hamid Karsai hinsichtlich des Abschlusses einer "strategischen Partnerschaft" zwischen Afghanistan und den USA sowie der Einrichtung mehrerer dauerhafter amerikanischer Militärstützpunkte zu protestieren?

Interview-Szene auf dem Bürgersteig in Bonn - Foto: © 2011 by Schattenblick

Schattenblick-Redakteur und Said Mahmoud Pahiz
Foto: © 2011 by Schattenblick
SMP: Zu dem Zeitpunkt war ich bereits im Ausland unterwegs, aber Freunde und Parteikollegen von mir, welche die Demonstration gegen die Loya Jirga maßgeblich organisiert haben, waren dabei.

SB: Auf dem von der deutschen Regierung an diesem Wochenende in der Bonner Beethovenhalle veranstalteten Zivilgesellschaftlichen Forum Afghanistan war viel von den neuen Schulen und Medien zu hören, die seit dem Sturz der Taliban in Afghanistan aufgebaut wurden. Hat sich die Situation für die Menschen in Afghanistan ihrer Meinung nach seit dem Einmarsch der NATO verbessert oder verschlechtert?

SMP: Diese zivilgesellschaftlichen Gruppen sind ein Teil der Besatzung und arbeiten mit Verbrechern, Drogenschmugglern und Warlords zusammen. Es liegt auf der Hand, daß sie ihre Projekte in Afghanistan im besten Licht darzustellen versuchen. Tatsache ist jedoch, daß Afghanistan zehn Jahre nach dem Sturz der Taliban der größte Produzent von Opium ist und seine Institutionen in der Rangliste der Vereinten Nationen Platz eins in Sachen Korruption belegen. Achtundachtzig Prozent der afghanischen Frauen sind Analphabeten und haben ein Klassenzimmer von innen niemals gesehen. Neben den fast 200.000 Angehörigen der ausländischen Streitkräften zählen die neue afghanische Armee und Polizei weitere 300.000 Mann. Trotzdem können sich die Taliban in jedem Teil des Landes frei bewegen. Die NATO hat uns keine Sicherheit gebracht.

SB: Was ist jedoch mit den Schulen und anderen Projekten, auf welche die zivilgesellschaftlichen Gruppen gerne verweisen?

SMP: Vereinzelt gibt es auch neue Schulen und vor allem rund um Kabul einige Vorzeigeprojekte. Doch von einem Wiederaufbau, der auch den Menschen auf dem Land und in den anderen Provinzen zugute käme, kann nicht gesprochen werden. Die Haupttätigkeit im afghanischen Bausektor liegt seit zehn Jahren in der Errichtung irgendwelcher prunkvoller Villen für Drogenbarone und Warlords. Wie der US-Kongreß und andere Instanzen bekanntlich monieren, ist der größte Teil der internationalen Hilfsgelder in dunklen Kanälen versickert und vermutlich auf irgendwelchen Auslandskonten gelandet.

SB: Ein Teil der Gelder bleibt wohl im Lande und wird von korrupten Politikern und Kriegsherrn unter ihre Anhänger in Form von Aufträgen an Baufirmen, Sicherheitsdienstleistern und Transportunternehmen verteilt, oder nicht?

SMP: Das stimmt schon, aber von diesem Geld profitiert nur ein kleiner Teil der Bevölkerung. Die große Mehrheit der Afghanen ist enttäuscht und entsetzt über die katastrophale Lage im Lande und macht in erster Linie die NATO dafür verantwortlich. Überlegen Sie einmal: Sechzig Prozent der Menschen bei uns leben in bitterer Armut. Zur Linderung ihres Schicksals hat die Anwesenheit von ISAF und NATO rein gar nichts beigetragen. Deswegen fordern wir ganz klar das Ende der Besatzung und den Abzug aller ausländischen Streitkräfte.

Pahiz und Mortasawi im Gespräch vertieft - Foto: © 2011 by Schattenblick

Amir Mortasawi von International Physicians for the Prevention of
Nuclear War (IPPNW) übersetzt für Said Mahmoud Pahiz eine Frage aus
dem Publikum
Foto: © 2011 by Schattenblick
SB: Wie beurteilen Sie die Chancen auf eine dauerhafte, tragfähige Friedenslösung zwischen den inländischen Konfliktparteien wie der Nordallianz, den Taliban, Gulbuddin Hekmatyars Hisb-i-Islami, dem Hakkani-Netzwerk und der Regierung von Präsident Hamid Karsai, sollten die ausländischen Streitkräfte insgesamt aus Afghanistan abgezogen werden?

SMP: Da möchte ich keine Prognose wagen. Was ich aber sagen kann, ist, daß es für die kleineren friedlichen politischen Parteien einfacher wird, ihren Kampf gegen Nordallianz und Karsai auf der einen Seite und die Taliban, Hekmatyar und die Hakkanis auf der anderen erfolgreich zu führen, sobald die ausländischen Truppen Afghanistan verlassen haben. Gegen zwei Gegner hat man es halt leichter als gegen drei.

SB: Drohte dann nicht eine Fortsetzung des Bürgerkrieges oder können Sie sich vorstellen, daß Karsai und Mullah Omar zu einer Kompromißlösung und damit zur Beendigung des Konfliktes bereit wären?

SMP: Ich denke, das hängt nicht zuletzt von den ausländischen Kräften und den Anrainerstaaten ab. Ziehen diese ihre Soldaten vollständig ab und hören auf, die bewaffneten Gruppen bei uns für ihre Stellvertreterkriege zu benutzen, wäre politischer Fortschritt in unserem Lande endlich wieder möglich.

SB: Wie viele Mitglieder hat die Solidarity Party of Afghanistan?

SMP: Zwischen 20.000 und 25.000.

SB: Wie haben Sie bei den Parlamentswahlen im letzten Jahr abgeschnitten?

SMP: Wir haben sie boykottiert. Die meisten Kandidaten waren Strohmänner der Warlords. Echte Parteien und unabhängige Kandidaten, die sich ernsthaft für eine Veränderung einsetzen wollten, hatten praktisch keine Chance, ins Parlament gewählt zu werden. Die Richtigkeit unserer Skepsis gegenüber dem ganzen Prozeß hat sich beim Wahlgang und bei der Auszählung der Stimmen bestätigt. Die Wahlen waren von Korruption und Unregelmäßigkeiten gekennzeichnet. An nicht wenigen Wahllokalen wurden die Kisten mit den Wahlzetteln nicht einmal geöffnet, sondern irgendwelche Ergebnisse einfach bekanntgegeben.

SB: In letzter Zeit hört man den Vorwurf, für die Misere in Afghanistan trüge Pakistan und dessen Geheimdienst Inter-Services Intelligence Directorate durch die Unterstützung der Taliban die Hauptschuld. Machen es sich die Stimmen, die diesen Vorwurf erheben, da nicht etwas zu leicht?

SMP: Vielleicht, aber aus unserer Sicht steht außer Zweifel, daß sich sowohl Pakistan als auch der Iran in den Krieg in Afghanistan einmischen, indem sie zum Beispiel diejenigen, die terroristische Anschläge durchführen, unterstützen. Damit beteiligen sich die Nachbarländer, wenn auch indirekt, an der militärischen Besatzung unseres Landes.

SB: Aus den jüngsten Entwicklungen gewinnt man immer mehr den Eindruck - wenn wir zum Beispiel die stark angestiegene Anzahl der CIA-Drohnenangriffe im Grenzgebiet nehmen -, daß die Regierung von US-Präsident Barack Obama den Krieg in Afghanistan auf Pakistan ausweiten will. Müßten nicht die Pakistaner eine solche Entwicklung befürchten?

SMP: Ich weiß es nicht. Ich glaube es aber nicht. Schließlich sind die Pakistaner und die Taliban doch Freunde der Amerikaner. Ich denke, der aktuelle Zwist zwischen Pakistan und den USA dient hauptsächlich Propagandazwecken.

SB: Vielen Dank Herr Pahiz für dieses Interview.

Gesamtaufnahme des Auditoriums im Rheinischen Landesmuseum von der Bühne aus die Ränge hinauf - Foto: © 2011 by Schattenblick

Teilnehmer der Friedenskonferenz hören Said Mahmoud Pahiz interessiert zu
Foto: © 2011 by Schattenblick

19. Dezember 2011