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INTERVIEW/088: Petersberg II - Reiner Braun zu den Protesten gegen den Afghanistankrieg in Bonn (SB)


Interview mit Reiner Braun am 9. Dezember


Reiner Braun ist am offenen Bündnis gegen Petersberg II, das die Proteste gegen die Internationale Afghanistankonferenz in Bonn am 5. Dezember organisiert hat, beteiligt. Als Geschäftsführer der Deutschen Sektion der International Association Of Lawyers Against Nuclear Arms (IALANA) und als einer der Sprecher der "Kooperation für den Frieden" ist er seit langem aktiv in der deutschen Friedensbewegung. Gegenüber dem Schattenblick bilanzierte er den Verlauf und die Ergebnisse der vom 3. bis 5. Dezember stattgefundenen Demonstrationen und Veranstaltungen gegen den Afghanistankrieg.

Reiner Braun - Foto: © 2011 by Schattenblick

Reiner Braun
Foto: © 2011 by Schattenblick
Schattenblick: Herr Braun, könnten Sie einmal das Bündnis, das die Demo veranstaltet hat, und Ihre Position in diesem Bündnis vorstellen?

Reiner Braun: Es hat für die Demonstration ein nationales Friedens- und Antikriegsbündnis gegeben, dem gehören die beiden großen Netzwerke der deutschen Friedensbewegung, der Bundesausschuß Friedensratschlag und die Kooperation für den Frieden an, die im Prinzip 90 Prozent von dem umfassen, was sich bei uns friedenspolitisch organisiert inklusive Pax Christi und ähnliches. Des weiteren hat die Interventionistische Linke am Bündnis mitgewirkt, also bis in den linksradikalen Teil der sozialen Bewegungen hinein. Sehr aktiv beteiligt war auch die Partei Die Linke mit verschiedenen Untergruppierungen. Wir sind in der ganzen Vorbereitung und Durchführung durch den Aufruf und das Mitwirken des Bundesvorstandes von ver.di unterstützt worden, was wir als einen der großen Erfolge der Vorbereitung ansehen, da ver.di erstmals nach zehn Jahren wieder zu einer Antikriegsdemonstration Afghanistan aufgerufen hat.

Ich selber bin der Geschäftsführer der IALANA, der International Association Of Lawyers Against Nuclear Arms, sowohl der deutschen als auch der internationalen IALANA, und bin im Protestbündnis aktiv gewesen. Das Protestbündnis hat keinen Sprecher, aber ich habe es relativ oft nach außen hin vertreten.

SB: Hinsichtlich der Zusammensetzung der Demo entstand zumindest der äußere Eindruck, daß die Beteiligung des linksbürgerlichen Lagers im Unterschied zu den organisierten Gruppen der Partei Die Linke, des internationalistischen Blocks und der ausländischen Delegationen doch relativ gering war.

RB: Ich glaube, das fördert eher ein grundsätzliches Problem zutage. Wir können mit der Teilnehmerzahl der Demonstration nicht zufrieden sein. Wir wissen, und das hat die Demonstration noch einmal gezeigt, wie schwierig die Mobilisierung zum Themenkomplex Afghanistan ist. Die Unsicherheit, die es in großen Teilen der Bevölkerung auch antikriegseingestellter Menschen gibt, ob nicht doch etwas an dem Gerede von humanitärer Intervention und Menschheitsverteidigung dran ist, wirkt nicht in der Hinsicht, daß die Menschen den Krieg unterstützen, wirkt aber durchaus so, daß eine aktive Teilnahme an Protestveranstaltungen beim Afghanistankrieg leider doch immer gering ist. Von daher sind wir eigentlich, wenn man die gesamten Rahmenbedingungen in Betracht zieht, mit der Beteiligung zufrieden. Sie kann aber als Antikriegsprotestaktion angesichts des zehnjährigen verheerenden Krieges überhaupt nicht zufriedenstellen.

SB: Könnte das auch etwas mit der veränderten Lage der Friedensbewegung zu tun haben, die in den frühen 80er Jahren vor allem gegen die Atomkriegsgefahr demonstriert hat, wo die deutsche Bevölkerung selbst betroffen gewesen wäre, und heute mit dem Umstand konfrontiert ist, daß sie gegen Kriege, die fernab des eigenen Landes geführt werden und zu denen die Menschen möglicherweise gar keinen konkreten Bezug mehr haben, mobilisiert?

RB: Es gibt weniger Betroffenheit, das ist ganz eindeutig. Es gibt aber noch mehr Gründe, die mit der Friedensbewegung zu tun haben. Die Friedensbewegung ist nicht mehr so ein verankerter integrativer Teil der deutschen Bevölkerung, wie die westdeutsche Friedensbewegung es in den 80er Jahren war. Da waren die Friedensinitiativen ganz nah bei den Menschen durch die sehr starke Stadtteilorientierung. Die berufsbezogenen Friedensinitiativen waren ungleich stärker in den wissenschaftlichen und anderen Institutionen verwurzelt. Es gibt inzwischen eine Trennung und stärkere Separierung von Aktiven und ihrem gesellschaftlichen Background. Des weiteren ist es unübersehbar, daß die Friedensbewegung nach wie vor ein Generationsproblem hat. Die nachfolgende Generation wächst sehr langsam in die Verantwortung hinein. Es gibt noch einen weiteren Grund, den ich so zusammenfasse, daß der neoliberale Individualismus sich natürlich auch auf notwendig organisierte Strukturen und gemeinsames solidarisches Handeln negativ auswirkt, und darunter leidet nicht nur die Friedensbewegung.

SB: Wie kam es überhaupt in Hinblick auf den Eklat um Herrn Ströbele zu der Entscheidung, einen Politiker der Grünen auf der Abschlußkundgebung reden zu lassen?

RB: Zunächst möchte ich Ihr Wort Eklat nicht unkommentiert stehenlassen. Für mich war es eine leider bei Demonstrationen immer wieder vorkommende Erscheinung, daß sich der Protest gegen bestimmte Redner in unangenehmen Formen ausdrückt. Wer in den 80er Jahren dabei war, wird wissen, daß auch Willy Brandt bei der großen Aktion 1983 mit Eiern beschmissen worden ist. Ein Jahr später bei den großen Protestaktionen zu Nicaragua ist sowohl ein Sozialdemokrat als auch ein Mitglied der Grünen mit Eiern beworfen worden. Also, es ist eine unliebsame Aktionsform, die Demonstrationen durchaus begleitet. Auch Oskar Lafontaine hat sich vor kurzem in Frankfurt vor Eiern schützen müssen. Das ist keine singuläre Erscheinung und richtet sich gegen ganz unterschiedliche Schattierungen.

Bei der entscheidenden Rednerkonstellation war unser Argument, daß auch Politiker auf dieser Demonstration reden sollten, zumal es einen direkten Bezug zur Politik gibt. Es galt also Redner einzuladen, die Antikriegspositionen beziehen und aus verschiedenen Parteien kommen. Da boten sich natürlich sowohl die Sozialdemokratische Partei, bei denen es nur noch ganz wenige gibt, als auch die Grünen an, wo der Kollege Ströbele durchaus über eine längere Zeit Antikriegspositionen vertreten hat. Daß diese Politiker neben dem Redner der Partei Die Linke als Antikriegspartei auf der Kundgebung reden, hat der Vorbereitungkreis nach einer längeren und durchaus kontroversen Debatte einheitlich und gemeinsam vereinbart. Uns war bewußt, daß es zum Protest kommt. Das finde ich auch völlig legitim. Über die Protestform, die ja leider nicht nur die Eier umfaßte, sondern auch noch andere Gegenstände, kann man sicher sehr geteilter Meinung sein. Ich würde es auch rundweg ablehnen, in so einer Form eine Auseinandersetzung auf der Demonstration zu führen, denn das kann, wir haben es auch an der Reaktion der Springerpresse gesehen, nur der anderen Seite helfen.

SB: Ist es nicht in gewisser Weise problematisch, daß ein Politiker wie Herr Ströbele, der ja für eine Partei steht und sozusagen als Privatperson kaum in dieser einflußreichen und prominenten Position gewesen wäre, um als Redner aufzutreten, doch sehr stark mit seiner Partei identifiziert wird, die eine Kriegspartei ist?

RB: Meine Position dazu ist andersherum. Ich würde mich immer bemühen, Minderheitspositionen in den Parteien zu stärken und mitzuhelfen, daraus Mehrheitspositionen zu machen, weil es ja darum geht, gesellschaftliche Kräftekonstellationen insgesamt zu verändern. Wir haben es in den 80er Jahren, salopp gesagt, durchaus geschafft, aus einer Minderheitsposition der Sozialdemokratie, bei denen die ersten Antikriegsgegner sogar noch ausgeschlossen wurden - einigen werden die Namen Manfred Coppik und Karl-Heinz Hansen noch etwas sagen - einen Mehrheitsbeschluß für den Ausstieg aus der Raketenstationierung hinzubekommen. Wir werden uns daher immer bemühen, Neinsagerpositionen zu stärken und zu unterstützen, um sie zu Mehrheitspositionen umzuwandeln. Wenn Herr Ströbele schon im Bundestag nicht mehr reden darf, weil die Mehrheit der Fraktion ihn seit zehn Jahren zu diesem Thema nicht mehr sprechen läßt, dann sollte er, auch wenn ich übrigens nicht alle Positionen und Argumente von Herrn Ströbele teile, auf unserer Demonstration durchaus die Möglichkeit erhalten, seine Antikriegsposition darzulegen.

SB: Inwieweit gibt es für die vom Bündnis eingeladenen Gruppierungen Vorbedingungen zum Beispiel in Bezug auf eine religiöse Orientierung afghanischer Organisationen oder möglicherweise ihrer Orientierung am bewaffneten Widerstand in Afghanistan?

RB: Ich muß dazu sagen, daß für uns die Erfahrung mit den verschiedensten afghanischen Gruppen auf der Konferenz eine sehr positive und sehr fruchtbare war. Unsere Position ist, daß wir mit allen afghanischen Gruppierungen zusammenarbeiten, die gegen den Krieg sind. Ich habe es bewußt so breit formuliert und habe nicht gesagt, daß das nur für diejenigen gilt, die den sofortigen Abzug fordern, weil es da auch noch Schattierungen gibt. Wir wollen die Diskussion mit diesen Gruppierungen fortsetzen, wohlwissend, daß es nicht einfach ist, was sich auf der Konferenz auch widerspiegelt. Das ist kulturell bedingt, historisch bedingt, argumentativ bedingt. Es gibt ganz viele Gründe, warum die Zusammenarbeit kompliziert ist.

Wir wollen sie dennoch fortsetzen. Das haben wir auf dem Kongreß auch vereinbart, indem wir zu einer gemeinsamen internationalen afghanischen Friedenskonferenz im nächsten Jahr einladen werden. Wir stellen keine Vorbedingungen. Die Form, wie in Afghanistan Widerstand geübt wird, wie Aktionen gemacht werden, ist erst einmal Angelegenheit der Afghanen. Ich kann das von meiner Position aus kritisch kommentieren: Ich lehne terroristische und Aktionen des individuellen Terrors gegen Menschen prinzipiell ab, aber ich muß erst einmal akzeptieren, daß es ganz unterschiedliche Arten von Aktionsformen gibt, mit denen man sich auseinandersetzen muß und die man nicht durch Ausschluß in irgendeine Ecke verbannen darf.

SB: Gibt es einen spezifischen Umgang mit Animositäten zwischen den afghanischen Gruppen, zu denen es ja auch immer wieder kommt, weil die gleichen Konfliktkonstellationen, die im Land herrschen, natürlich in eine solche Friedenskonferenz hineingetragen werden?

RB: Wir können nur versuchen, ein gewisses Grundgefühl der Solidarität, des Verständnisses und des Diskurses hineinzubringen. Wir wissen, daß das erstens nicht immer klappt und zweitens alles andere als einfach ist. Aber diese Konferenz war, das muß ich sagen, ein Schritt in die richtige Richtung.

SB: Wie würden Sie den Erfolg der Schiffsdemonstration bewerten, die eine etwas ungewöhnliche Form der Demonstration ist, vielleicht auch bedingt durch den hermetischen Verriegelungszustand Bonns an diesem Tag?

RB: Dieses Schiff war für uns auch ein Experiment, und ich finde, daß wir damit schöne Bilder, eine sehr schöne Diskursatmosphäre und auch ein Gefühl der Gemeinsamkeit geschaffen haben. Sie war auch medial wirklich gut besucht. Sie war für uns eine neue Protestform, die wir in dieser Form in der Friedensbewegung lange nicht gemacht haben. Ich sehe den Erfolg für mich darin, und jetzt nehme ich wirklich die Besetzung der GIZ am Donnerstag noch bewußt mit hinzu als Protestaktion gegen die unerträgliche zivilmilitärische Kumpanei, daß wir unterschiedliche Aktionsformen, die die gesamte Palette derer, die an dem Protest mitwirken und ihre Identifizierung widerspiegelt, hinbekommen haben. Ich glaube, so wird aus gemeinsamen Aktionen eines breiten Bündnisses eine gute Sache, und das ist es in Bonn eindeutig geworden.

SB: Die Schiffsdemo ist maßgeblich durch die Landtagsfraktion der Partei Die Linke ermöglicht worden. Müssen Sie nicht befürchten, daß eine zu große Nähe zu politischen Parteien die Friedensbewegung in gewisser Weise instrumentalisieren würde?

RB: Wir freuen uns über jede Unterstützung. Je mehr Unterstützung es von unterschiedlichen Kräften gibt, und da erwähne ich jetzt ganz bewußt nochmal ver.di, desto größer ist der Schritt nach vorne. Wir werden uns nicht von jemand abgrenzen, der aktiv mit uns für den Frieden in Afghanistan kämpft. Es ist ein großer Fortschritt, daß es die Partei Die Linke mit einer klaren Antikriegsposition im Deutschen Bundestag gibt. Die Debatten im Bundestag wären gruselig, wenn es diese Partei nicht gäbe. Ihr Einfluß auf andere Mitdiskutanten ist erkennbar. Wir sind als Friedenbewegung unabhängig und überparteilich. Bei uns arbeiten ganz unterschiedliche Menschen aus unterschiedlichen Gesinnungszusammenhängen mit. Das werden wir aufrechterhalten. Und wenn eine Partei uns dabei aktiv unterstützt, dann freuen wir uns darüber. Wenn es mehrere Parteien wären, die uns auf dieser inhaltlichen Grundlage unterstützen, freuen wir uns umso mehr. Und wenn es uns gelingt, diese Zusammenarbeit vor allem in Richtung Gewerkschaften auszubauen, kommen wir hoffentlich noch ein paar Schritte weiter zu einer breiteren Mobilisierung.

SB: Herr Braun, vielen Dank für das Interview.

Reiner Braun am 3. Dezember 2011 - Foto: © 2011 by Schattenblick

Reiner Braun auf der Tribüne am Bonner Kaiserplatz
Foto: © 2011 by Schattenblick

14. Dezember 2011