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INTERVIEW/082: Kai-Uwe Steffens, Hauptpetent für ein Verbot der Vorratsdatenspeicherung (SB)


Interview mit Kai-Uwe Steffens in Hamburg am 16. September 2011


Der Physiker und Informatiker Kai-Uwe Steffens gehört dem Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung an und hat eine öffentliche Petition gegen die Vorratsdatenspeicherung beim Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages eingereicht. Sie kann noch bis zum 6. Oktober mitgezeichnet werden [1]. Nach einem Treffen der Aktion "Stoppt die e-Card!" [2], an der Steffens ebenfalls beteiligt ist, beantwortete der Bürgerrechtsaktivist dem Schattenblick einige Fragen.

Kai-Uwe Steffens - Foto: © 2011 by Schattenblick

Kai-Uwe Steffens
Foto: © 2011 by Schattenblick

Schattenblick: An der letzten "Freiheit statt Angst"-Demo hatten 5.000 Leute teilgenommen. 2009 waren es meines Wissens noch 20.000 Demonstranten gewesen. Das scheint nicht dafür zu sprechen, daß das Bewußtsein für die Problematik des Datenschutzes in der Bevölkerung zugenommen hat?

Kai-Uwe Steffens: Das ist schon richtig. Wir sind aber damit konfrontiert, daß die Menschen sich verstärkt für andere Themen interessieren. Zur Zeit heißt das Stichwort Griechenlandkrise. Da fragen sich die Leute, ist meine Rente oder mein Arbeitsplatz noch sicher? Daneben gibt es auch alternative und bürgerrechtsorientierte Themen wie Atomkraft und die Hartz IV-Debatte, die die Aufmerksamkeit vom Datenschutz abziehen und ihn in den Augen vieler Leute als Luxusproblem erscheinen lassen. Datenschutz wird sicherlich von vielen Menschen als wichtig empfunden, aber wenn ich gleichzeitig das Problem im Kopf habe, ob ich morgen noch zur Arbeit gehen kann oder nicht, dann relativiert sich das in den Augen vieler und erklärt auch das zahlenmäßige Schwinden auf den Demos der letzten Jahren.

SB: Wie eben berichtet wurde, wußten viele Demonstrationsteilnehmer nicht so genau, was es mit dem Projekt der E-Card auf sich hat. Könnte das damit zu tun haben, daß viele Datenschutzthemen relativ anspruchsvoll sind, sowohl von der gesetzgeberischen als auch von der technischen Seite her?

KUW: Das gilt in technischer Hinsicht als auch für die Art und Weise, wie sich das Thema entwickelt. Gerade bei der elektronischen Gesundheitskarte sind wir damit konfrontiert, daß man ständig am Ball bleiben muß, weil immer neue Fakten in die Debatte kommen. Für einen Laien, der sich nicht wöchentlich mehrere Stunden lang damit beschäftigt, entsteht das große Problem, daß er eigentlich gar nicht auf dem Stand der Dinge ist. Am Thema dranzubleiben ist sehr aufwendig. Vor dem gleichen Problem stehen natürlich auch die Demonstranten, die die neuen Entwicklungen vielleicht nur alle halbe Jahre zur Kenntnis nehmen. Wenn die dann nach einem halben oder ganzen Jahr wieder auf eine Demo kommen, hat sich die Sachlage völlig geändert.

Bei der Vorratsdatenspeicherung bleibt der Kenntnisstand vergleichsweise stabil, weil das Thema in der Tagespresse häufig diskutiert wird und sich Politiker wie Leutheusser- Schnarrenberger und Friedrich damit die Köpfe einschlagen. So erfährt man darüber alles nötige in der Tagesschau oder woanders.

SB: IT-Themen haben in den Medien eine hohe Attraktivität, wie am Beispiel WikiLeaks und des internen Streits zwischen den beiden Protagonisten zu erleben war. Sieht man einmal von der Vorratsdatenspeicherung ab, fallen allerdings viele nicht weniger brisante Themen durch den Rost der medialen Aufmerksamkeit. Welche Gründe sehen Sie, daß die Medien ihrer Aufgabe nicht versierter nachkommen?

KUW: Bei der recht breitgetretenen Diskussion zum Thema WikiLeaks liegt das sicherlich daran, daß die Person Julian Assange sicherlich eine sehr präsente Figur in der Medienlandschaft ist und die Veröffentlichungen von WikiLeaks ein hohes Ausmaß an politischer Verwerfung in Washington und auch anderswo in der Welt erzeugt haben. Da können Themen wie die elektronische Gesundheitskarte und die Vorratsdatenspeicherung in Deutschland nicht mithalten. Natürlich stürzt sich die Presse darauf, wenn es zwischen den Beteiligten zu Animositäten kommt und der Sensationsjournalismus sein Publikum damit sehr gezielt bedienen kann. Allerdings muß man dazu wissen, daß viele Journalisten, die inhaltlich über die Themen berichten, an vielen Stellen auch nicht die nötigen Fachinformationen besitzen. Kaum ein Journalist hat die Zeit, tatsächlich auf dem laufenden zu bleiben, um frühzeitig erkennen zu können, wo gerade etwas anbrennt. Wenn WikiLeaks ein Irak-Video veröffentlicht, ist das etwas anderes, als wenn plötzlich aus dem Justizministerium ein Referentenentwurf zur Vorratsdatenspeicherung auftaucht.

SB: Am Thema WikiLeaks erscheint mir auch interessant, daß der Eindruck erweckt wurde, als würde es sich bei der Enthüllung der Informantendaten um eine gänzlich neue Entwicklung handeln. So weit ich weiß, war diese Entwicklung längst im Gange, die Verfügbarkeit der Daten im Netz war längst gegeben. Es erschien jedoch so, als habe es eine plötzliche Freisetzung von Daten gegeben, was wiederum in Richtung WikiLeaks skandalisiert wurde. Mein Eindruck war, daß die Presse auch in diesem Bereich nicht besonders kompetent mit dem Thema umgegangen ist.

KUW: Der generelle Verweis auf den Dateneinbruch ist natürlich eine Form der Argumentation, die in der Sache immer wieder aufgeführt wird, weil das vorher oft vernachlässigt wurde. Sicher sind nur die Daten, die gar nicht gespeichert und erhoben werden. Das muß man dem politischen Gegner, aber auch dem Laien und Bürger immer wieder klarmachen. Das gilt für die Gesundheitskarte, die Vorratsdatenspeicherung, für Elena und alles andere. Die einzige Möglichkeit, sich sicher vor Mißbrauch und unangenehmen Auswirkungen auf das eigene Leben zu schützen, besteht darin, daß keine datenelektronische Speicherung stattfindet. Wenn jemand behauptet, Vorratsdaten seien sicher, dann lehnt er sich, um es einmal ganz vorsichtig auszudrücken, ziemlich weit aus dem Fenster.

SB: Wen würden Sie abseits von den etablierten Institutionen in Medien und Politik und vielleicht noch den bekannten Stiftungen und Think Tanks in diesem Bereich als Akteure ausmachen, die wirksam genug sein könnten, um in der Öffentlichkeit gehört zu werden? Mir ist aufgefallen, daß im Deutschlandfunk Vertreter von netzpolitik.org zu aktuellen Themen und Entwicklungen im IT-Bereich befragt werden, die ansonsten in der Medienwelt doch recht unbekannt sind.

KUW: In der Offline-Medienwelt ist netzpolitik.org - Markus Beckedahl und seine Kollegen - sicherlich weniger bekannt. Das ändert sich nach und nach. Die kommen gelegentlich in Kultursendungen bei 3sat zu Wort, aber in die Tagesschau schaffen sie es nur in den seltensten Fällen. Es gibt sicherlich andere Organisationen, die ähnlich präsent sein könnten, wenn sie denn bekannter wären. Der FoeBud mit seinen BigBrother-Awards leistet sehr viel und gute Arbeit zu den verschiedensten Themen und wird für meinen Geschmack viel zu selten angehört, weil seine Mitglieder sich sehr gut auskennen. Aber auch in den großen Organisationen wie den Gewerkschaften existieren Arbeitsgruppen, die sich auf diese Themen spezialisiert haben. Bei Ver.di gibt es Leute, die bei einzelnen Themen sehr kompetent sind und auch viel zu sagen hätten, die aber in den Medien nicht so präsent sind, um ihre Positionen entsprechend vertreten zu können, wie es eigentlich der Fall sein sollte. Bei den politischen Parteien werden eigentlich generell immer nur die klassischen Antipoden dargestellt. Da kommt einer von der Union und vielleicht von der FDP oder von den Grünen oder der Linkspartei zu Wort. Ich würde mir wünschen, daß Akteure, die im Moment nicht im Rampenlicht stehen, aber schon irgend etwas bewirkt haben, häufiger befragt werden.

Bei der Vorratsdatenspeicherung fallen mir die Sozialdemokraten ein. Das Gesetz selber stammt von der SPD, von der damaligen Justizministerin Brigitte Zypris. Wenn man heutzutage über Vorratsdatenspeicherung diskutiert, wird die befürwortende Position der SPD gar nicht als solche herausgestellt. So kommt es dazu, daß die Bürger denken, die SPD sei eine Oppositionspartei, die sich gegen das stemmt, was die Union durchsetzen möchte. Das ist ein Trugschluß, die SPD ist explizit dafür. Daß solche Dinge oft verdreht werden und zu Mißverständnissen führen, wenn es wieder an die Wahlurne geht, ist ein schlimmer Zustand. Es ist eigentlich die Verantwortung der Medien, dafür zu sorgen, daß die Bürger lesen und mitverfolgen können, wer da welche Position bezieht.

SB: Könnten Sie den Verlauf und die Entwicklung der Online-Petition gegen die Vorratsdatenspeicherung, die Sie selber eingereicht haben, schildern und erläutern, wie der aktuelle Stand ist?

KUW: Der jetzige Stand ist, daß die Petition nach einigem Hin und Her veröffentlicht und formaljuristisch als berechtigt und gesetzeskonform anerkannt wurde. Sie ist seit dem 24. August zum Online-Zeichnen verfügbar. Wir haben vergleichsweise langsam Zustimmung bekommen, waren aber darauf angewiesen, innerhalb der ersten drei Wochen dieses Zeichnungszeitraums ein Mindestquorum von 50.000 Mitzeichnern zustande zu bringen. Es gibt eine Verfahrensvorschrift, die besagt, daß in den ersten drei Wochen 50.000 Leute diese Petition unterstützen müssen, damit der Petent eine Einladung in den Petitionsausschuß bekommt, um sein Anliegen persönlich vorzutragen. Das ist gerade an dieser Stelle ganz wichtig. Man kann viel über Vorratsdatenspeicherung, Datenschutz oder andere politische Themen schreiben, aber solche Themen lassen sich in einem persönlichen Gespräch, gerade wenn es kontrovers zugeht, viel besser erörtern. Die Positionen lassen sich im wechselseitigen Abtausch der Argumente viel klarer vermitteln, als wenn man das auf einem Stück Papier tut, das vielleicht einmal quergelesen wird und dann in der Versenkung verschwindet. Deswegen sind wir sehr froh, daß dieses Quorum am vergangenen Donnerstag erreicht wurde. Wir haben 58.000 Mitzeichner zum Stichzeitpunkt zusammenbekommen. Die Petition kann jetzt noch bis zum 6. Oktober mitgezeichnet werden, und ich hoffe, daß sich noch einige Leute daran beteiligen werden, um die Zahlen noch weiter nach oben zu treiben. Auch das macht durchaus Eindruck beim Petitionsausschuß, wenn ich vor den Bundestagsabgeordneten im Namen einer großen Zahl von Menschen spreche. Dann werden sie den Antrag anders einschätzen, als wenn ich mit einer vergleichsweise geringeren Zahl von Unterstützern auftreten würde.

SB: Nach der Freiheit-statt-Angst-Demo kam es zu einem schlagartigen Anstieg der Unterzeichnerzahlen. Das wirft die Frage auf, inwiefern berechtigte Anliegen einfach aus Gründen "PR-technischen" Mißmanagements unter die Räder kommen. Wie ist der Zusammenhang zwischen Öffentlichkeitswirkung und politischer Willensbildung Ihrer Ansicht nach beschaffen?

KUW: Bleiben wir einmal bei dem Beispiel. Es gibt viele Themen, die beim Petitionsausschuß eingereicht und auch zum Mitzeichnen freigeschaltet werden. Nach meiner Einschätzung sind unter den Petitionen viele, die einen politisch interessierten Menschen, der nicht nur mit einem, sondern vielen Themen befaßt ist, durchaus ansprechen könnten und auf jeden Fall eine größere Öffentlichkeit verdient hätten. Dabei handelt es sich jedoch um Petenten, die vielleicht nicht die Möglichkeiten haben, ihre Botschaft und die Existenz dieser Petition in größerem Maße zu verbreiten, wie wir das im Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung tun können. Nun hat sich das glücklicherweise so ergeben, daß diese Demonstration in die ersten drei Wochen des Zeichnungszeitraums fiel. Das war reiner Zufall, der uns allerdings die Gelegenheit gab, unser Ansinnen in eine noch breitere Öffentlichkeit zu tragen. Das positive Ergebnis spricht für sich. Diese Möglichkeit steht den allermeisten Petitionen und Bürgerrechtsinitiativen so gar nicht zur Verfügung. Es gibt sicherlich Plattformen, auf denen Unterschriften gesammelt werden und sich Bürgerrechtsinitiativen eintragen und zu Demonstrationen aufrufen können. Es ist dennoch extrem schwer für jemanden, der mit seinem persönlichen Anliegen bei Null anfängt, Unterstützung zu finden und sich so zu etablieren, daß er ein starkes Echo in der Öffentlichkeit hervorruft.

SB: Inwiefern gibt es hinsichtlich der Vorratsdatenspeicherung Verbindlichkeiten, die nach EU-Recht in Deutschland eingelöst werden müssen?

KUW: Formaljuristisch ist Deutschland eigentlich verpflichtet, diese Richtlinie in nationales Recht umzusetzen. Das wird bei der Justizministerin in schöner Regelmäßigkeit seitens des Koalitionspartners angemahnt. Sie sagt, ich mache das nicht, bis eine neue Richtlinie vorgelegt ist, weil das vergebliche Liebesmüh wäre. Ich halte das für einen vertretbaren und legitimen Standpunkt, auch wenn er formaljuristisch vielleicht den Anforderungen nicht genügt. Daraufhin hat die EU-Kommission Deutschland ein Vertragsverletzungsverfahren angedroht, das mit einer Bußgeldzahlung verbunden wäre, die sich umgerechnet pro Jahr und Bundesbürger auf etwa 89 Eurocent beläuft. Um es in aller Härte auszusprechen: Diese 89 Cent sollten jedem Bundesbürger der Erhalt seiner Privatsphäre wert sein. Ich glaube nicht, daß es wirklich soweit kommt. Die EU-Kommission wird sich die Blöße nicht geben, ein Land auf Schadensersatz oder auf Vertragsverletzungsstrafe zu verdonnern, basierend auf einer Richtlinie, die, wie alle Beteiligten sagen, eigentlich in den Mülleimer gehört. Das ist einfach nur absurd. Hinzu kommt, daß andere Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland bedeutend länger laufen, teilweise seit mehreren Jahren, ohne daß ein Hahn danach kräht. So sehen wir das ganz gelassen.

SB: Seit wann gibt es den Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung?

KUW: Gegründet wurde er Ende 2005. Der Begriff Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung ist entstanden, weil verschiedene Organisationen wie der FoeBud und der Chaos Computer Club, die an dem Thema schon dran waren, am Rande des damaligen CCC-Kongresses vereinbart hatten, einen Arbeitskreis zu gründen.

SB: Wäre die Vorratsdatenspeicherung, worunter in erster Linie das Aufbewahren von Verbindungsdaten, aber im erweiterten Sinne auch Standortdaten, fällt, ihrer Ansicht nach ein zentrales Element für die Etablierung einer Überwachungsgesellschaft?

KUW: Auf jeden Fall ist die Vorratsdatenspeicherung hinsichtlich ihres Mißbrauchspotentials und als Antrieb für weitergehende Forderungen und Gesetze von immenser Bedeutung. Es geht nicht nur die Erfassung, wer wann mit wem telefoniert hat, sondern etwa auch darum, was dabei im einzelnen gesprochen wurde. Vorschläge dieser Art gab es bereits aus der Union, aber auch aus Sicherheitskreisen und dem BKA. Insofern ist ein Paradigmenwechsel angedacht, ausgehend von einem Grundsatz, der da heißt, ein Eingriff in die Persönlichkeitsrechte findet nur dann statt, wenn ein einzelner Verdächtiger oder mehrere Verdächtige vorliegen, hin zu einer Struktur, die da heißt, in die Persönlichkeitsrechte aller Menschen kann eingegriffen werden für den Fall, daß sie irgendwann einmal zu diesem Kreis gezählt werden könnten. Da wird etwas Grundverschiedenes angedacht. Das ist sicherlich ein Dammbruch. Wenn das wirklich so etabliert wird und gesellschaftliche Akzeptanz finden sollte, dann müssen wir damit rechnen, daß in diese Richtung noch viele weitere Schritte gegangen werden. Deswegen ist der Widerstand an dieser Stelle so enorm wichtig, um sowohl dem Gesetzgeber als auch den Strafverfolgungsbehörden zu sagen: Hier geht ihr zu weit, hier greift ihr die Basis unserer freiheitlichen Gesellschaft an. Das könnt ihr nicht machen, ohne sie zu zerstören.

SB: Sie haben den zentralen Gedanken angesprochen, daß alle Menschen gemäß dieser Präventivlogik verdächtigt werden, also unter Vorverdacht stehen und potentiell schuldig sind. Es ist ein Konzept, das sich in der gesamten Sicherheitspolitik, nicht nur in der staatlichen Repression, sondern auch in der internationalen Kriegführung, immer weiter durchsetzt. Der Zeitpunkt für Entscheidungen, die zu exekutiven Maßnahmen führen, wird immer weiter vor das zu verhindernde Ereignis verlagert. Wie bewerten Sie diese Entwicklung im Zusammenhang mit den immens angewachsenen Möglichkeiten der Datenerhebung und -auswertung?

KUW: Das ist ein ganz wichtiger Punkt, vor allem weil das für Laien schwer vorstellbar ist. Es gibt das klassische Argument: "Ich habe nichts zu verbergen" oder "Ich habe nichts zu befürchten". Es beruht oftmals auf der Einschätzung, "da werden zwar vielleicht meine Daten gespeichert, aber ich verschwinde irgendwie in der großen Masse. Für das, was ich persönlich tue, interessiert sich sowieso niemand. Den Aufwand wird niemand betreiben, nur um zu erfahren, was ich da mache." Was dabei oft vernachlässigt wird, was nicht gewußt wird, ist die Tatsache, daß moderne Rechensysteme solche Datenbankbestände in so großer Geschwindigkeit und so effektiv durchsuchen und auswerten können, daß man wirklich in Bruchteilen von Sekunden zu jedem einzelnen Namen, wenn man Zugangsberechtigung zu diesen Daten hat, ein sehr genaues Persönlichkeitsprofil erstellen kann. Da werden Daten verknüpft aus der Vorratsdatenspeicherung, vom Facebook-Account, aus den Gesundheitsdaten, die bei den Krankenversicherungen vorliegen, dem polizeilichen Führungszeugnis und und und. Dabei ist die Gefahr, daß so etwas durch Binnentäter oder den Nachbarn, der in dem Bereich arbeitet, mißbraucht wird, so enorm groß, daß die Aussage "Ich habe nichts zu befürchten" eigentlich über keine Lippen mehr gehen sollte. Jeder hat etwas zu befürchten und jeder hat etwas zu verbergen. Deswegen sollte man sich in irgendeiner Form beteiligen und sagen: Ich will das nicht. Ich will dieses Risiko für mein Leben nicht eingehen.

SB: Der AK Vorrat veranstaltet dieses Wochenende in Brüssel eine "Freiheit-statt-Angst"-Konferenz mit Demonstration. Geht diese Initiative vom AK Vorrat aus oder ist das ein Zusammenschluß verschiedenster Bürgerrechtsbewegungen?

KUW: Die Initiative geht schon hier von Deutschland aus. Wir planen schon seit Jahren, etwas in Brüssel zu machen, auch vor dem Hintergrund, daß die Vorratsdatenspeicherung auf einer EU-Richtlinie basiert. Es ist eine europäische Richtlinie, die formaljuristisch in nationales Recht umgesetzt werden muß. Das Kuriose dabei ist, daß die Richtlinie gerade überarbeitet wird, weil sie für fehlerhaft erklärt wurde, und trotzdem fordern die Unionspolitiker aufgrund der alten Richtlinie ein neues Gesetz. Im Zuge der "Freiheit-statt-Angst"-Demo in Berlin versuchen wir jetzt, erstmals auch in Brüssel Fuß zu fassen. Man muß dazu wissen, daß der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung mindestens in Europa, wenn nicht gar weltweit, in puncto Öffentlichkeitswirksamkeit führend ist. Bürgerrechtsorganisationen in anderen europäischen Ländern und außerhalb Europas können an unseren Erfahrungen gerne partizipieren und sich gerne anschließen. Aus diesem Grund haben wir das jetzt organisiert und Interessierte aus anderen Ländern eingeladen. Da sind durchaus einige zusammengekommen, die unser Vorhaben in Wort, Tat und auch mit Beteiligung unterstützen. Wir rechnen dennoch eher damit, daß es eine vergleichsweise kleine Demonstration wird, zumal der Fokus nicht auf dem eigentlichen Demonstrationszug liegt, sondern auf einem Treffen danach mit EU-Parlamentariern und Kommissionsmitgliedern. Das wird ein Event über mehrere Tage hinweg. Wir wollen aber auch Erfahrungen sammeln, wie man in Brüssel Demonstrationen aufziehen kann. Wenn man solche Sachen über Sprachgrenzen hinweg betreibt, muß man immer ein wenig behutsam vorgehen, auch vor dem Hintergrund, daß wir in Zukunft größere Aktionen in Brüssel durchführen wollen.

SB: Herr Steffens, vielen Dank für das Gespräch

Fußnoten:

[1] https://epetitionen.bundestag.de/index.php?action=petition;sa=details;petition=17143

[2] http://www.schattenblick.de/infopool/politik/report/prbe0072.html

Interview mit Kai-Uwe Steffens - Foto: © 2011 by Schattenblick

Kai-Uwe Steffens mit SB-Redakteur
Foto: © 2011 by Schattenblick

28. September 2011