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INTERVIEW/074: Kai-Uwe Steffens, AK Zensus, zur Volkszählung 2011 (SB)


Interview mit Kai-Uwe Steffens in Hamburg-Pinneberg am 13. April 2011

Kai-Uwe Steffens - © 2011 by Schattenblick

Kai-Uwe Steffens
© 2011 by Schattenblick

Der Physiker und Informatiker Kai-Uwe Steffens gehört dem Arbeitskreis Zensus an, der unter dem Dach des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung gegründet wurde, um den Zensus 2011 mit einer Kampagne kritisch zu begleiten. Der AK Zensus bündelt und vervollständigt die gegen die aktuelle Volkszählung ins Feld geführten Einwände, so daß er Medienvertretern wie Politikern als kompetente Referenz auf diesem Gebiet gilt. Zeitnah zu einem Presse-Hintergrundgespräch, welches das Statistische Bundesamt am selben Tag in der Handwerkskammer Hamburg mit eingeladenen Journalisten durchgeführt hatte, nahm der Schattenblick die Gelegenheit wahr, die Präsentation von DESTATIS mit einer kritischen Stimme zu kontrastieren.

Schattenblick: Im Volkszählungsurteil von 1983 wurde die Zuordnung von Erhebungsdaten zu personenorientierten Ordnungsnummern explizit ausgeschlossen. Beim aktuellen Zensus erscheint die Anonymisierung der erhobenen Daten durch deren Zuordnung und die der sogenannten Hilfsmerkmale zu Ordnungsnummern zweifelhaft. Was meinen Sie dazu?

Kai-Uwe Steffens: Mit dieser Einschätzung bin ich vollkommen einverstanden. Das war auch einer der Hauptgründe, warum wir damals das Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht angestrengt haben, weil wir eben genau der Meinung sind, daß diese Zuordnung der natürlichen Person zum Fragebogen unzulässig ist, insbesondere, wenn man diese enorme Speicherdauer von 4 Jahren berücksichtigt. Das geht gar nicht. Und insofern sind wir ein bißchen enttäuscht, daß Karlsruhe die Beschwerde aus formalen Gründen nicht angenommen hat.

SB: Wie ist denn der aktuelle Stand der Beschwerde?

KS: Die Beschwerde ist abgelehnt worden vom Verfassungsgericht, ist also gar nicht zur Entscheidung angenommen worden, und insofern ist das an der Stelle abgeschlossen. Da können wir nichts mehr tun. Die Einspruchsfrist ist abgelaufen, das hatten wir seinerzeit gerade so hinbekommen, und jetzt ist natürlich an dieser Stelle der Zug abgefahren.

SB: Eine weitere Möglichkeit gibt es aus zeitlichen Gründen wahrscheinlich nicht?

KS: Nein, nicht direkt. Man müßte jetzt im Einzelfall, also als einzelne betroffene Person den kompletten Klageweg beschreiten und dann wahrscheinlich durch alle Instanzen gehen, um schließlich wieder in Karlsruhe zu landen. Und das ist mit sehr viel Aufwand und sehr hohen Kosten verbunden.

SB: Die sensiblen und durch die Volkszählung zusammengeführten Daten wie z.B. der Aufbau des neuen umfangreichen Adressenregisters aller Gebäude und Wohnungen sind nicht dauerhaft sicher vor Mißbrauch, Diebstahl, Hackerangriffen und Datenverarbeitungsfehlern. Könnte man über die Möglichkeit des Mißbrauchs hinaus Ihres Erachtens von einem beabsichtigten und gezielten Zugriff staatlicher Stellen auf die Daten der Bürger im Sinne einer erweiterten Kontrollfunktion sprechen?

KS: Im Moment sicherlich noch nicht. Es steht ja eindeutig im Gesetz drin, daß die Daten aus dem Zensus zu keinen anderen Zwecken verwendet werden dürfen. Aber wir kennen die Diskussion beispielsweise seinerzeit im Vorfeld der Mautdaten, wo es dann einen Kriminalfall gegeben hat, worauf es zu Begehrlichkeiten der Innenpolitik kam, diese Daten zu erhalten, um dieses oder jenes damit zu tun. Insbesondere dadurch, daß diese Information, welche Person zu welchen Angaben gehört, vier Jahre lang gespeichert wird, ist es natürlich enorm gefährlich, daß in den nächsten vier Jahren Begehrlichkeiten entstehen. Wenn man diese Informationen gar nicht erst erfaßt hätte oder unmittelbar nach der Bearbeitung der Fragebögen, also nach drei Wochen, um mal eine Hausnummer zu nennen, löschen würde, dann wäre diese Gefahr viel geringer.

SB: Das deutsche Zensusgesetz verlangt die Erhebung von mehr Daten als von der EU-Richtlinie gefordert. So werden in den Stichprobenerhebungen auch Fragen nach Religionszugehörigkeit und Migrationshintergrund gestellt. Besonders markant sind dabei Fragen zum Glaubensbekenntnis, in denen insbesondere Menschen islamischen Glaubens differenziert erfaßt werden. Übernimmt Deutschland diesbezüglich eine Vorreiterrolle in Europa und wie sind entsprechende Erfahrungen in anderen Ländern?

KS: Man muß sicherlich davon ausgehen, daß in anderen Ländern, zumindest in einigen anderen Ländern, wo dieses Thema Migrationshintergrund auch auf der Agenda steht, ähnliche Dinge stattfinden werden. Das wird kein Alleinstellungsmerkmal von Deutschland sein. Das ändert aber nichts daran, daß es unverhältnismäßig ist und dem Gleichheitsgrundsatz im Grunde schon widerspricht. Zumal wir auch in Deutschland die besondere Situation haben, daß der Islam von staatlicher Seite nicht als Religionsgemeinschaft, als Körperschaft öffentlichen Rechts, anerkannt wurde. Das ist seinerzeit in den fünfziger Jahren aus formalen Gründen abgelehnt worden und seitdem hat man das nicht wieder aufgegriffen. Das ist eigentlich ein unhaltbarer Zustand, meiner ganz persönlichen Meinung nach. Und das führt eben dazu, daß Muslime an dieser Stelle, aber auch an vielen anderen Stellen mit Tatsachen konfrontiert werden, die ein Christ oder ein Andersgläubiger nicht zu erdulden hat.

SB: Es ist nicht nachvollziehbar, welche Behörden in welchem Umfang auf die neue Datenbank zugreifen dürfen. Das beginnt schon bei der zweifelhaften Praxis der räumlichen, organisatorischen und personellen Trennung der Erhebungsstellen und endet möglicherweise nicht vor einem System systematischen und für die Bürger unkontrollierten Datenzugangs. In welchem Ausmaß sind Ihres Erachtens diesbezügliche Bedenken angemessen und begründet?

KS: Die Bedenken sind schon stark begründet. Wir haben ja vom Arbeitskreis Zensus als Teil des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung bei einigen Erhebungsstellen Umfragen gemacht und einen Katalog von 38 Fragen eingeschickt. Was zurückgekommen ist, wenn denn überhaupt etwas zurückgekommen ist, ist auch an dieser Stelle sehr, sehr besorgniserregend. Es ist also keineswegs ausgeschlossen, daß beispielsweise Sozialämter, Einwohnermeldeämter oder ähnliche Stellen zumindest in Einzelfällen Zugriff auf diese Fragebögen haben werden. Dann besteht natürlich die latente Gefahr, daß eben einmal der kurze Dienstweg beschritten wird, der eine Rechtsverletzung an dieser Stelle darstellt, um an irgendwelche Informationen heranzukommen.

Hinzu kommt, daß das Gesetz vorschreibt, daß die Befrager, die die persönlichen Befragungen durchführen, in keinem Fall in die Lage versetzt werden dürfen, mit Leuten konfrontiert zu werden und diese befragen zu müssen, die sie persönlich kennen. Hauptsächlich in Süddeutschland haben wir erfahren, daß dort der Grundsatz, nicht in der Nachbarschaft zur Befragung herangezogen zu werden, nicht so eng gesehen wird. Da kann es durchaus vorkommen, daß man, wenn es klingelt und man die Tür aufmacht, von jemandem befragt wird, den man persönlich kennt. Das geht ja überhaupt nicht. Das sind dann auch die Fälle, wo das Beschreiten eines Rechtsweges unserer Ansicht nach zweifellos mit sehr, sehr hohen Erfolgsaussichten versehen wäre. Wenn ich gezwungen werde, einer Person, die ich aus dem Privatleben kenne, diese amtlichen Angaben zu machen, dann werde ich mich dagegen juristisch wahrscheinlich sehr erfolgreich zur Wehr setzen können.

SB: Die vorgesehene Speicherfrist für die Hilfsmerkmale bis zu vier Jahren ist höchst problematisch. Ist damit die Anonymisierung nicht grundlegend obsolet, zumal mögliche Zugriffe in diesem Zeitraum jeder Kontrolle entzogen sind?

KS: Natürlich. Da besteht natürlich die Gefahr, wenn man von dem Effekt ausgeht, daß staatliche Stellen, insbesondere Strafermittlungsbehörden, sich nicht selten an andere öffentliche Stellen wenden, an Einwohnermeldeämter oder jetzt vielleicht auch an diese Stelle, und vorgeben, sie seien berechtigt, bestimmte Informationen ausgehändigt zu bekommen. Es geschieht durchaus, daß ein Strafermittler sich an irgendeine Behörde wendet und die Herausgabe von Daten unter Androhung negativer Konsequenzen verlangt, so daß auch an dieser Stelle die Gefahr besteht, daß derartige Dinge stattfinden werden. Ich betone es noch einmal: je länger diese Speicherfrist andauert - wir reden hier von vier Jahren und in Einzelfällen bis zu sechs Jahren, desto größer ist diese Gefahr. Und deswegen ist es rundheraus abzulehnen.

SB: Die mangelhafte bzw. fehlende Anonymisierung in den sogenannten Sonderbereichen diskriminiert ganze Bevölkerungsgruppen. Muß man in diesem Zusammenhang von einer systematischen Ausgrenzung für überflüssig erachteter Menschen und einer forcierten Aussetzung ihrer Bürgerrechte sprechen?

KS: Das muß man ein bißchen differenziert sehen. Es ist natürlich so, daß im Rahmen dieses Zensus Informationen über bestimmte soziale Verhältnisse erfaßt werden sollen - das ist ja der eigentliche Zweck dieses Zensus. Das erfordert natürlich auch, daß ich diese Informationen zusammentrage, das heißt, da setzt sich das, was ich eigentlich haben will, was sinnvoll ist, aus vielen einzelnen Schicksalen zusammen, wo man natürlich wiederum Datenschutzbedenken haben muß. Das gleicht einer Quadratur des Kreises, diese Dinge so zu machen, ohne die Persönlichkeitsrechte des Einzelnen zu verletzen. Deswegen wäre eine Anonymisierung extrem wichtig an dieser Stelle und nicht diese Pseudoanonymisierung mit dieser Ordnungsnummer, die ja eigentlich gar keine Anonymisierung ist, das ist viel zu kurz gesprungen und über die Speicherdauer birgt es letztendlich das enorme Risiko des Mißbrauchs. Ob man von einer Ausgrenzung oder von Schikane bezüglich bestimmter sozialer Gruppen sprechen kann - da wäre ich vorsichtig. Insbesondere wäre ich vorsichtig, einen Vorsatz zu unterstellen, aber es ist natürlich ein Effekt, den der Gesetzgeber besser hätte berücksichtigen müssen.

Kai-Uwe Steffens - © 2011 by Schattenblick

Mit Datenschutzproblemen bestens vertraut ...
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SB: Die ursprünglich für 1983 geplante und schließlich 1987 durchgeführte Volkszählung traf damals auf vehementen öffentlichen Widerstand. Im Vergleich dazu scheint der Zensus 2011 beinahe geräuschlos über die Bühne zu gehen, obgleich seine Konsequenzen sehr viel weiter reichen. Teilen Sie diese Einschätzung und welche Gründe sind Ihrer Ansicht nach für den veränderten Umgang der Bevölkerung mit dieser brisanten Problematik zu nennen?

KS: Ich teile die Einschätzung vollständig. Der Unterschied und die Erklärung dabei ist, daß in den achtziger Jahren elektronische Datenerhebung und große Anhäufung von Daten etwas völlig Neues war. Das gab es vorher in diesem Sinne gar nicht. Damals war das Problem des Datenschutzes und Verletzung der Persönlichkeitsrechte etwas völlig Neues, und das hat natürlich viele Menschen spontan angesprochen. Durch die Erfahrung der letzten Jahre, die wir in anderen Bereichen des Datenschutzes hatten - Vorratsdatenspeicherung, ELENA, Gesundheitskarte, Fluggastdaten, ich könnte jetzt eine halbe Stunde weiter erzählen -, sind die Menschen schon mit dem Problem des Datenschutzes an sich vertraut und an vielen Stellen, das erfahren wir auch in Gesprächen mit Leuten, die bei uns anrufen, stellt sich eine Art Fatalismus ein, der da heißt: Die wissen sowieso schon alles über mich, darauf kommt es dann auch nicht mehr an. Natürlich kommt es darauf an! Es kommt auf jedes einzelne Datum an, was ich irgendwo gebe, nur die Wahrnehmung, was Datenschutz und insbesondere die Volkszählung angeht, sieht so aus, daß das nicht mehr als so schlimm empfunden wird im Vergleich zu den anderen Dingen, die stattfinden. Was zum Teil durchaus stimmt. Der Zensus ist weniger schlimm als ELENA, weniger schlimm als die Vorratsdatenspeicherung. Das kann man begründen, das kann man auch nachvollziehen, wenn die Menschen so denken, aber einfach den Kopf in den Sand zu stecken und zu sagen, das ist nicht so schlimm, es gibt noch Schlimmeres, ist keine gute Lösung.

SB: Das ist ja auch nur ein Baustein unter vielen.

KS: Ja, natürlich. Und insbesondere, wenn solche Begehrlichkeiten entstehen in den nächsten vier Jahren und das wirklich zum Tragen kommt. Das heißt, wenn der Gesetzgeber etwa nach zwei Jahren wirklich dazu übergeht und erklärt, wir ändern die gesetzlichen Grundlagen, um diese Informationen aus der Volkszählung zusammenzuführen etwa mit der Terrorabwehrdatei, das wäre eine furchtbare Vorstellung! Das ist heute noch völlig ausgeschlossen. Jede öffentliche Stelle, jeder Beteiligte am Zensus wird das vehement von sich weisen, daß so etwas überhaupt möglich ist. Die Erfahrung ist jedoch eine andere.

SB: Wie würde Ihrer Ansicht nach, ausgehend von dem Volkszählungsurteil 1983, eine grundlegende politische oder bürgerrechtliche Position zur staatlichen Ermächtigung, Daten über den Einzelnen zu sammeln, aussehen?

KS: Mit dem Urteil zur Vorratsdatenspeicherung hat das Bundesverfassungsgericht klar gesagt, daß die Persönlichkeitsrechte jedes Einzelnen gerade in Bezug auf den Datenschutz als Schutzmauer des Bürgers gegen die Interessen des Staates zu verstehen sind. Da muß eine Rechtsgüterabwägung stattfinden. Wenn der Gesetzgeber planen sollte, die Daten aus den Meldebehörden oder aus dem Zensus etwa mit den Vorratsdaten und ähnlichem zu einer großen vernetzten Datenstruktur zusammenzuführen, dann erlaubte das die Erstellung von Persönlichkeitsprofilen, die dieses Gleichgewicht so empfindlich stören, daß das Verfassungsgericht das meiner Meinung nach in kürzester Zeit verwerfen würde. Wenn also der Gesetzgeber die Zensusdaten mit Meldebehörden, mit Telefonvorratsdaten, mit ELENA-Daten, mit ich weiß nicht was für Daten zusammenführen wollte, dann wären wir fünf Minuten später in Karlsruhe. Ich bin ziemlich sicher, daß Karlsruhe dann auch die richtige Entscheidung treffen würde.

SB: Wie beurteilen Sie, daß im Rahmen der Registerbefragung Daten der Meldeämter und der Arbeitsagentur zusammengeführt werden. Findet da schon eine Art von Vernetzung statt, wenn auch im geschützten Rahmen des Bundesamts für Statistik?

KS: An der Stelle würde ich noch nicht von einer echten Vernetzung sprechen. Es findet ein Datenabruf statt. Der soll von Gesetz wegen, und von nichts anderem können wir ausgehen, eine Einbahnstraße sein. Das heißt die durchführenden Organe des Zensus führen die Daten von den Meldebehörden, von den Bundesanstalten für Arbeit und von verschiedenen anderen öffentlichen Stellen, aber eben auch aus den Einzelbefragungen, zusammen, um damit irgend etwas zu machen, aber keine dieser Daten dringt personenbezogen wieder nach außen. Es gibt keine Rückführung zu den Meldebehörden. Das ist extrem wichtig und gut so, daß das so gehandhabt wird. Eine echte Vernetzung wäre, die Daten hereinzuführen und irgendwann wieder herauszuführen, etwa indem die Meldebehörde informiert wird, daß dieser oder jener nicht bei ihr gemeldet ist. Das soll nicht stattfinden und, so hoffen wir, wird auch nicht stattfinden. Die Gefahr besteht natürlich, daß auch solche Begehrlichkeiten entstehen, gar keine Frage.

SB: Die Fragen, die der einzelne z.B. zur Arbeitsstelle oder zur Arbeitssuche zu beantworten hat, sind sehr differenziert, so daß auch unter der Bedingung der Anonymisierung persönliche Verhältnisse ausgeleuchtet werden. Meinen Sie, daß der Bürger einen prinzipiellen Anspruch darauf hat, so etwas nicht mit sich machen zu lassen, wie auch immer die Schutzerklärungen der Behörden sind?

KS: Jein. Das ist natürlich schon hart an der Grenze dessen, was dem Einzelnen zuzumuten ist. Insbesondere dadurch, daß es eben keine Anonymisierung gibt, sondern nur eine Pseudoanonymisierung, die auch erst nach vier Jahren vollständig greift. Das ist ein empfindliches Problem, gar keine Frage, und da kann ich jeden verstehen, der Bauchschmerzen dabei hat, wenn er das ausfüllen muß. Auf der anderen Seite gibt es die, wie ich finde, durchaus berechtigten Interessen des Staates, was die Arbeitsmarktforschung, die Prognose, was Weiterbildungsmaßnahmen und Arbeitsmarktmaßnahmen angeht, dafür eine Grundlage zu schaffen. Wir wehren uns nicht generell gegen die Durchführung eines Zensus, nicht daß wir uns da falsch verstehen, nur die Art und Weise wie es gemacht wird und wie die Persönlichkeitsrechte des Einzelnen dabei geschützt werden oder eben nicht geschützt werden, da setzt unsere Kritik an.

SB: Und die beruft sich auch darauf, daß es bereits in anderen Bereichen z.B. der Steuer-ID oder ähnlichem eine grundsätzliche Vernetzung zwischen verschiedenen Behörden gibt, indem etwa Sozialbehörden auf Daten anderer Behörden zugreifen?

KS: Ja.

SB: Man könnte also sagen, daß es praktische Beispiele für eine mögliche Entuferung solcher Prozesse gibt?

KS: Natürlich. Losgelöst von der Maßnahme des Zensus besteht die Gefahr, daß Behörden sich untereinander vernetzen und Informationen austauschen, ohne daß der Einzelne das überhaupt weiß, daß seine Informationen an andere Stellen abfließen, und die Gesellschaft insgesamt nicht weiß, was für mögliche Register erstellt werden. Das ist ein echtes Problem, gar keine Frage. Auch an dieser Stelle sage ich, ist dieses Gleichgewicht zwischen dem Interesse des Einzelnen und dem Interesse des Staates empfindlich gestört oder zumindest besteht diese Gefahr. Wenn wir beispielsweise an das Gemeinsame Terrorabwehrzentrum denken - kleiner Themenwechsel, aber ich denke, die Analogie ist klar -, da werden die Daten von, ich glaube, 16 oder 17 verschiedenen Stellen, was Sicherheitsfragen angeht, zusammengeführt und gemeinsam ausgewertet. Das ist eine ganz gruselige Sache, aber die allerwenigsten Menschen sind sich darüber im Klaren, was dort entsteht. Ähnliche Dinge drohen natürlich auch im Sozialversicherungsbereich. Wenn ich beispielsweise an die elektronische Gesundheitskarte denke, was da an Informationen zusammengetragen wird, bei ELENA ist irgendwann angedacht, daß auch die Krankenversicherungsträger Zugriff auf diese Daten haben sollen, da wird es schon spaßig. Da habe ich dann Informationen über den sozialen und auch den Gesundheitsstatus einzelner Personen, wo ich sage, das geht definitiv viel zu weit.

SB: Stehen Sie als Arbeitskreis Zensus, der diese Art von Bürgerrechtsarbeit verrichtet, eigentlich ziemlich allein auf weiter Flur oder würden Sie sagen, daß es es schon so etwas wie eine Bewegung gibt?

KS: Es gibt schon eine vergleichsweise breite Unterstützung. Der Arbeitskreis Zensus ist ja ein Teil des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung, der sich irgendwann einmal gegründet hat, um die Vorratsdatenspeicherung politisch oder auf Bürgerrechtsebene anzugehen. Wir haben uns dann thematisch ausgeweitet auf ähnliche Projekte der staatlichen Datenspeicherung. ELENA ist ein Thema, elektronische Gesundheitskarte ist ein Thema, Fluggastdaten ist ein Thema, all diese Dinge, die sich in diesem Umfeld befinden, sind von uns aufgegriffen worden. Da erfahren wir durchaus breite Unterstützung. Zum einen Teil natürlich von gesellschaftlichen Gruppen, die ähnliche Bedenken haben, Gewerkschaften, Datenschutzverbände oder auch der Chaos Computer Club beispielsweise, wo technische Expertisen angefertigt werden, sind feste Bestandteile unserer Widerstandsbewegung, aber auch, das muß man fairerweise dazu sagen, durchaus breite Teile einiger größeren und kleineren Parteien, die sagen, diese Inhalte entsprechen unserem Programm, wir unterstützen den AK-Vorrat oder die Bewegung insgesamt an dieser Stelle in dieser einen Frage.

Das gibt dann durchaus wechselnde Unterstützung. So kann es durchaus sein, daß wir eine Frage haben, bei der uns die Partei unterstützt, und in einer anderen ist es wieder eine andere Parte. Da kann es zu skurrilen Situationen kommen. Ich war 2009 einige Monate vor der Bundestagswahl als Teil des Bündnisses "Stoppt die E-Card", die elektronische Gesundheitskarte, auf einer Bundespressekonferenz in Berlin. Da saßen dann Daniel Bahr, jetzt Staatssekretär der FDP im Gesundheitsministerium, und zwei Stühle weiter Frank Spieth von der Linkspartei, die haben sich dann - also der Mann von der FDP und der Mann von der Linkspartei - die Bälle zugespielt. Das hat zur Belustigung der anwesenden Journalisten geführt, aber daran erkennt man, daß man mit einer richtigen und gut formulierten Frage durchaus seine Anhängerschaft finden kann. Daß das noch nicht oder nicht immer zu gesellschaftlichen Mehrheiten führt, um dann eben auch eine Veränderung der gesetzlichen Grundlagen herbeizuführen, ist ein anderes Thema. Insbesondere die Union, aber auch die Sozialdemokraten sind da oftmals beratungsresistent.

SB: Wie beurteilen Sie die Arbeit des Bundesdatenschutzbeauftragten, der ja gerade seinen Tätigkeitsbericht abgegeben und darin auch zum Zensus 2011 Stellung bezogen hat?

KS: Generell bin ich mit dem, was Herr Schaar macht, durchaus einverstanden. Es gibt einige Dinge, wo ich mir ein bißchen mehr Rückgrat wünschen würde. Herr Schaar hat sich ja beispielsweise den Vorschlag von Herrn Weichert, Datenschutzbeauftragter hier in Schleswig-Holstein, zu eigen gemacht, daß eine kleine Vorratsdatenspeicherung implementiert werden soll, was man dann euphemistisch quick-freeze-plus nennt, d.h. Speicherung der IP-Verbindungsdaten für sieben Tage. Das ist eine anlaßlose Vorratsdatenspeicherung. Das entspricht nicht dem, was die Position von Herrn Schaar früher einmal war. Das finde ich sehr bedauerlich, ganz klar, auch bei Herrn Weichert finde ich das sehr bedauerlich, auch bei Frau Leutheuser-Schnarrenberger finde ich das sehr bedauerlich. Das mag vielleicht dem politischen Realismus geschuldet sein, daß man sagt, mehr kann ich dem Koalitionspartner, in diesem Falle der CDU, nicht abringen als diesen Kompromiß, aber vom Bundesdatenschutzbeauftragten hätte ich dann doch ein bißchen mehr erwartet. Das ist nicht so schön.

SB: Wie kam es denn, daß Sie sich persönlich für diese Problematik interessiert haben?

KS: Ich bin von Haus aus Physiker, habe als Nebenfach Informatik studiert und bin auch im Bereich Informatik als System- und Datenadministrator tätig. Ich war in den Internetforen des Heise-Verlags aktiv und habe dort häufiger kleine Dystopien, also Geschichten, die die Folgen von Datenschutzverletzungen aus Zukunftssicht beschreiben, einer Autorin namens Twister gelesen. Ich habe mich dann in den Foren dazu hinreißen lassen, ihre Artikel zu loben. Daraufhin hat sie mir irgendwann einmal geantwortet: "Hör mal zu, das reicht nicht, daß du mich hier einfach nur lobst, wie wäre es denn, wenn du selber etwas tust. Da gründet sich gerade ein Arbeitskreis neu, wie wäre es denn, wenn du dich dort meldest?" Das habe ich getan und mich am Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung ein paar Wochen, nachdem er gegründet wurde, beteiligt. Dann bin ich irgendwann das erste Mal zu der ersten Demo nach Berlin gefahren, da habe ich Twister dann auch persönlich kennengelernt und all die anderen, die damals schon zum harten Kern gehörten, und so ist es dazu gekommen. Das hat sich dann nach und nach aufgebaut. Irgendwann drückte mir dann, als wir hier in Hamburg im November 2007 unsere erste Demonstration hatten, jemand ein Mikrophon in die Hand und sagte: "So, diese Rede hältst du jetzt." So bin ich zu meiner ersten Demo-Rede gekommen, irgendwann gab es das erste Fernsehinterview, dann war es eine Demo-Rede in Berlin vor ich weiß nicht wieviel zehntausend Leuten. Heute morgen war die Tagesschau da, das geht einfach locker von der Hand.

SB: Herr Steffens, vielen Dank für das Gespräch.

Siehe dazu auch:

BERICHT/069: Zensus 2011 - Der Bevölkerung auf den Datenleib geschaut (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/report/prbe0069.html

Anmerkungen:

Informationsportal des AK Zensus: http://zensus11.de/

Informationen zu weiteren Datenschutzthemen:
http://wiki.vorratsdatenspeicherung.de/Hauptseite

Kai-Uwe Steffens mit SB-Redakteur - © 2011 by Schattenblick

Kai-Uwe Steffens mit SB-Redakteur
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16. April 2011