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INTERVIEW/016: US-Nahost-Expertin Phyllis Bennis (SB)


Interview mit der renommierten amerikanischen Kriegsgegnerin und Nahost-Expertin Phyllis Bennis am 3. April auf dem internationalen Kongreß "Nein zum Krieg - Nein zur NATO - 60 Jahre sind genug!" im Centre Sportif Lixenbuhl, Illkirch-Graffenstaden, Frankreich


Phyllis Bennis von der linksliberalen Denkfabrik Institute for Policy Studies (IPS) in Washington D. C. gehört seit einigen Jahren zu den führenden Persönlichkeiten der US-Friedensbewegung. Ihr Spezialgebiet ist die Nahost-Politik Amerikas, wie ein Blick auf die Titel der von ihr verfaßten Bücher erkennen läßt: "From Stones to Statehood: Palestinian Uprising" (1990), "Beyond the Storm: A Gulf Crisis Reader" (1992), "Altered States: A Reader in the New World Order"(1998), "Calling the Shots: How Washington Dominates Today's UN" (2000), "Before and After: US Foreign Policy and the September 11th Crisis" (2002), "Challenging Empire: How People, Governments, and the UN Defy US Power" (2005), "Understanding the Palestinian-Israeli Conflict: A Primer (2007), "Ending the Iraq War: A Primer (2008) und "Understanding the US-Iran Crisis: A Primer" (2008). Der Schattenblick sprach auf der Anti-NATO-Konferenz Anfang März am Rande von Strasbourg mit der engagierten Journalistin, deren Artikel unter anderem bei Antiwar.com, Counterpunch, Foreign Policy in Focus, Global Research, The Nation und Z Magazine erscheinen. Daraus ist folgendes Interview entstanden:

Phyllis Bennis bei der Eröffnung der Anti-NATO-Konferenz - © 2009 by Schattenblick

Phyllis Bennis bei der Eröffnung der Anti-NATO-Konferenz
© 2009 by Schattenblick

SB: Frau Bennis, vielleicht könnten Sie uns zu Beginn etwas von Ihrem politischen Werdegang berichten und erzählen, was Sie zu einer Friedensaktivistin gemacht hat?

PB: Ich bin in einem zionistischen Umfeld in den USA aufgewachsen und war als Jugendliche zunächst innerhalb der zionistischen Bewegung sehr aktiv. Dort habe ich vieles darüber gelernt, wie man Gruppen organisiert und Menschen mobilisiert. Als ich später in Santa Barbara in Kalifornien auf die Universität ging, liefen die Proteste gegen den Vietnamkrieg auf Hochtouren. Damals, Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre, sorgte unter anderem die Bekanntgabe der Ausweitung des Krieges auf Kambodscha für Empörung. Als junge Studentin stellte ich mein Interesse für den Nahen Osten hintenan und engagierte mich in der Anti-Kriegsbewegung. Ich war sehr aktiv und habe dadurch neben meinem regulären Studium viel über Politik in der Praxis gelernt. Ich gründete zusammen mit anderen eine Untergrundzeitung. Wir organisierten Proteste und engagierten politische Prominente, die dann bei uns auf dem Campus auftraten. Ich bin in der Studentenbewegung voll aufgegangen. Es war eine phantastische Erfahrung und eine unglaublich aufregende, historische Zeit, in der vieles sehr schnell passierte. Danach habe ich, ohne es jemals zu bedauern, einfach weitergemacht. Ich habe bei verschiedenen Organisationen zu verschiedenen Zeitpunkten zu verschiedenen Themen - in der Regel im Bereich der Außenpolitik - gearbeitet.

SB: Im Rahmen einer akademischen Karriere?

PB: Nein. Ich bin keine Akademikerin. Ich bin praktisch Vollzeit-Politaktivistin gewesen. Meinen Lebensunterhalt habe ich irgendwie, eher nebenbei, bestritten. Lange Zeit war ich sogar Privatdetektivin. Ich arbeitete einige Jahre lang als Ermittlerin für die Mordkommission in meinem Wohnbezirk in Kalifornien.

SB: Also verfügen Sie auch über juristische Sachkenntnisse?

PB: Ich habe eine Anwaltslehre begonnen und dabei eine Weile Jura studiert - bis ich feststellte, daß ich keine Anwältin werden wollte. Statt dessen habe ich als Privatschnüfflerin mein Geld verdient. Ich engagierte mich zudem bei vielen politischen Prozessen und erhielt dennoch mein Interesse an der internationalen Politik aufrecht. Ich war an den Prozessen wie denen gegen die Indianerbewegung in South Dakota sowie gegen iranische Demonstranten in Los Angeles beteiligt.

SB: Und wann haben Sie angefangen, für das Institute for Policy Studies (IPS) zu arbeiten?

PB: Ich hatte rund zehn Jahre in New York gelebt, wo ich als Journalistin bei den Vereinten Nationen über das Geschehen dort schrieb und es analysierte. In meinen Artikeln ging es häufig um Fragen zum angespannten Verhältnis zwischen den Vereinten Nationen und den USA. Wir reden hier über die Periode des ersten Golfkrieges im Jahre 1991 und danach. Ende 1996 wechselte ich zum IPS in Washington und bin seitdem dort.

SB: Sie kennen sich in Fragen der Sanktionen gegen Saddam Husseins Irak bestens aus. Schließlich haben Sie auch 1999 die erste Delegation des US-Kongresses, die das Zweistromland besuchte und die Auswirkungen des sogenannten Öl-gegen-Nahrungsmittel-Regimes auf die Zivilbevölkerung untersuchte, begleitet. Ein Aspekt, der häufig in der Diskussion über die Gründe für die von der neokonservativen Regierung George W. Bushs angeordnete Irakinvasion im März 2003 vernachlässigt wird, scheint die große Bewegung in den USA gegen das Sanktionsregime zu sein. Bereits im Februar 1998 kam es im landesweiten Fernsehen zu einem spektakulären Eklat, als Bill Clintons Außenministerin Madeleine Albright, sein Verteidigungsminister William Cohen und sein Nationaler Sicherheitsberater Sandy Berger bei einem Town-Hall-Meeting an der Ohio State University die vom "Regime" Saddam Husseins ausgehende Bedrohung in grellen Farben an die Wand zu malen versuchten und statt dessen von aufgebrachten Studenten bloßgestellt wurden, die wissen wollten, wann der hunderttausendfache Mord an irakischen Kindern ein Ende haben werde. Könnte es vor diesem Hintergrund nicht sein, daß der Erfolg der jahrelangen Kampagne der Friedensaktivisten in den USA gegen die Sanktionen zusammen mit der Angst, daß aufgrund des internationalen Drucks bei den Vereinten Nationen die Zügel gegenüber dem Irak gelockert werden könnten, ein wichtiger Grund für die Entscheidung der Neocons zum Einmarsch und zum "Regimewechsel" war?

Phyllis Bennis im Gespräch mit einem SB-Redakteur - © 2009 by Schattenblick

Phyllis Bennis im Gespräch mit einem SB-Redakteur
© 2009 by Schattenblick

PB: Ich wünschte mir, ich könnte die ihrer Frage zugrundeliegende These bestätigen. Aber ich bin mir nicht sicher, ob ich dem zustimmen kann. Ich glaube nicht, daß unsere Bewegung so einflußreich gewesen ist. In Washington machte man sich sehr wohl Sorgen, denn die Unterstützung auf der internationalen, staatlichen Ebene für eine Fortsetzung der Sanktionen gegen den Irak war zweifelsohne am Bröckeln. Unsere Bewegung machte schon Fortschritte besonders in den kirchlichen, religiösen Gemeinden. Doch ich glaube nicht, daß dies eine Ursache der Entscheidung zum Krieg war. Ich glaube auch nicht, daß der Entschluß zum Einmarsch in den Irak viel mit dem ersten Golfkrieg und dessen Folgen zu tun hatte. Es gab seit Jahren Bemühungen seitens der USA, den Irak unter ihre Kontrolle zu bekommen. Es ging um Öl; es ging um Macht; es ging um die Verstärkung des US-Einflusses im Nahen Osten als ganzem. Führt man sich die Geschichte des Nahen Ostens vor Augen, waren der Iran und der Irak seit langem die einzigen potentiellen Regionalmächte. Die beiden Staaten waren die einzigen, die über die Voraussetzungen - Wasser, Öl und damit Reichtum sowie eine bestimmte Größe in Bezug auf Bevölkerung und Territorium - verfügten, um sich aus eigener Kraft als Regionalmacht etablieren zu können. Kein anderes Land hatte alle drei Voraussetzungen. Wenig überraschend konkurrierten der Iran und der Irak jahrelang in der Frage, wer von ihnen zum Regionalhegemon avancieren würde. Und dieser Regionalhegemon würde dann die USA herausfordern, welche die Rolle des internationalen Hegemons in der Region für sich beanspruchten.

Diese Konstellation war es, die zu dem jahrelangen Iran-Irak-Krieg führte, der für die Bevölkerung beider Länder so schrecklich und auch der Grund war, warum die USA, als Bagdad zu unterliegen drohte, auf der Seite des Iraks eingriffen. Es war nicht so, daß man Saddam Hussein besonders mochte, sondern er war einfach ein nützlicher Verbündeter. Das Ziel für Washington bestand darin, den Krieg solange wie möglich am Laufen zu halten. Weil von den beiden der Iran der Stärkere war, griffen die USA dem schwächeren, dem Irak, unter die Arme, damit der Konflikt fortgesetzt wurde, um beide Möchtegern-Regionalhegemone an jungen Männern und finanziellen Ressourcen ausbluten zu lassen. Doch die Ironie der Geschichte ist nun, daß der Iran infolge des jahrelangen Krieges, der Sanktionen und der Besetzung des Iraks durch die USA stärker den je Anspruch auf die Position der Regionalmacht erhebt, während der Irak völlig am Boden liegt und kein unabhängiger Staat mehr ist.

Die Entscheidung, gegen den Irak in den Krieg zu ziehen, die unmittelbar nach den Flugzeuganschlägen vom 11. September 2001 fiel, ging auf das lange bestehende Ziel der Neokonservativen, das Land unter die Kontrolle der USA zu bringen, und weniger auf die Angst vor einer Aufhebung der Sanktionen zurück. Ohnehin standen die Sanktionen der Kontrolle über das Land, wie sie ihnen vorschwebte, im Wege. Solange es UN-Sanktionen gab, hatten sie nicht die Art Zugang zu den irakischen Ölressourcen, die sie sich wünschten. Zwar waren Unternehmen aus den USA im Rahmen des Öl-für-Lebensmittel-Programms genauso aktiv wie die anderer Länder, aber das war nicht der bevorzugte Zugang, der den Verantwortlichen in Washington vorschwebte.

Es gab also zwei Überlegungen. Erstens wollte man die Kontrolle über den Irak mit seinem Öl erlangen, dort Militärbasen errichten und sich an einem strategisch wichtigen Knotenpunkt zwischen den drei Kontinenten Europa, Asien und Afrika festsetzen. Zweitens gab es den Faktor des "Neuen Pearl Harbor". Seit längerem suchten die Neokonservativen nach Wegen, eine radikal andere Art von Weltherrschaft durch die USA einzuführen. Dies bedurfte eines Ereignisses, das man in den Strategiepapieren der Denkfabrik mit Namen Project for the New American Century ein "zweites Pearl Harbor" nannte.

SB: "ein katalysierendes Ereignis..."

PB: Genau. Die Anschläge vom 11. September haben den notwendigen Vorwand geliefert.

SB: Was für einen Zufall.

PB: Man könnte es so sehen.

SB: Wir brauchen diesen Gedanken nicht weiter verfolgen.

PB: Stimmt, wiewohl es zu jenem Tag offensichtlich viele unbeantwortete Fragen gibt, nur daß ihnen allen nachzugehen nicht unbedingt produktiv ist. Wichtiger ist das, wofür alles man die Anschläge jenes Tages benutzt hat, nämlich als Ausgangspunkt eines globalen Krieges ohne zeitliche oder territoriale Grenzen und ohne irgendwelche rechtlichen Restriktionen. Und das alles sollte legitim sein, weil wir, die USA, angegriffen worden wären. Das ist die Bedeutung des 11. September. In meinem Buch "Before and After: U.S. Foreign Policy and the September 11th Crisis", das ich in den sechs Monaten nach dem Anschlägen von New York und Arlington schrieb, habe ich untersucht, was sich in der US-Außen- und Sicherheitspolitik verändert hatte und was gleichgeblieben war. Und es gibt vieles, was gleichgeblieben war. Doch irgendwann wird die quantitative Veränderung auch zu einer qualitativen. Zwar war der Militarismus stets eine feste Größe in der Außen- und Sicherheitspolitik Washingtons, doch jetzt kam eine unglaubliche Rücksichtslosigkeit hinzu. Man agierte unilateralistisch und kümmerte sich nicht mehr um das, was die Politiker und die Menschen in anderen Ländern dachten.

Während der Ära Bill Clintons, der mit einem Bekenntnis zum Multilateralismus, zur internationalen Zusammenarbeit, angetreten war, herrschte die reine Nützlichkeitserwägung vor. Die Clinton-Administration bediente sich der Vereinten Nationen als Feigenblatt für ihre unilateralistische Politik. Der Unterschied bei der Bush-Regierung war, daß diese von vornherein herausposaunte, daß Amerika die Vereinten Nationen nicht brauche, daß sie keine Legitimität hätten und daß sich die USA nicht internationalen Gesetzen beugen müßten, sondern diese selbst vorgäben und nach eigenem Gusto Verstöße dagegen zu ahnden beabsichtigten. Diese Haltung war nicht nur sehr gefährlich, weil sie die in den USA ohnehin seit langem vorherrschende Lehre von der Einzigartigkeit Amerikas verstärkte, sondern weil sie auch dem Standpunkt, wonach die Mißachtung des Völkerrechts durch Washington und seine ständigen Verstöße dagegen gerechtfertigt wären, Legitimität verlieh nach dem Motto: "Der Präsident hat's erklärt. Ende der Diskussion." Dieses war eine signifikante Entwicklung, die erst durch die Mobilisierung der US-Gesellschaft im Zuge des 11. September möglich wurde.

SB: Wenn wir uns der Zukunft anstatt der Vergangenheit zuwenden, sehen wir uns mit dem Problem der Instrumentalisierung des iranischen Atomprogramms konfrontiert.

PB: Wobei das Problem ist, daß es selbst nach den Einschätzungen aller US-Geheimdienste kein iranisches Atomprogramm gibt.

SB: Ich meine natürlich das zivile Kernenergieprogramm und nicht das angeblich existierende Atomwaffenprogramm des Irans. Für wie groß halten sie die Gefahr, daß die Konfrontation zwischen den USA und der Islamischen Republik Iran im sogenannten Atomstreit in eine regelrechte militärische Auseinandersetzung ausartet?

© 2009 by Schattenblick

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PB: Ich denke, daß sich die Gefahr durch die Wahl Barack Obamas zum neuen US-Präsidenten erheblich verringerte. Das heißt nicht, daß sie gänzlich verschwunden ist, aber ich glaube, daß sie um einiges kleiner ist als zur Amtszeit von George W. Bush. Die Mitglieder der Obama-Regierung gehören mit einer Ausnahme nicht zum Flügel der neokonservativen Hardliner. Die eine Ausnahme ist natürlich Dennis Ross [Außenministerin Hillary Clintons Iran-Referent].

SB: Wobei die Gefahr besteht, daß Obama, käme es zur Konfrontation, größere Legitimität hätte, einen Krieg mit dem Iran zu führen, da er nicht durch die Entscheidung zum Einmarsch in den Irak belastet ist.

FB: Wohl wahr. Deshalb sage ich, daß die Gefahr nicht gänzlich verschwunden ist, selbst wenn sie sich erheblich verringert hat. Die Veränderung ist lediglich relativ, keineswegs absolut. Nichtsdestotrotz denke ich schon, daß in den USA die politische Unterstützung für ein solches Wagnis stark nachgelassen hat.

Vor einigen Jahren traf ich mit einigen Mitgliedern des Kongresses, die sich Sorgen wegen eines potentiellen Krieges gegen den Iran machten. Sie haben um ein geheimes Briefing zum Thema Iran gebeten, das ich und einige Kollegen für sie hinter verschlossenen Türen hielten. Rund ein Dutzend Kongreßmitglieder waren da, und wir haben ihnen zunächst einen groben Überblick über die Situation verschafft, darunter auch die Rolle, die Israel eventuell spielen könnte, um die Chancen eines Angriffs zu erhöhen. Gegen Ende des Briefings erläuterte ich, wie die Folgen eines Angriffs auf die iranischen Atomanlagen aussehen könnten, wie die Regierung in Teheran reagieren könnte und was ein solches Ereignis für den Nahen Osten bedeuten könnte. Als ich fertig war, erklärte der eine Politiker: "Verdammt nochmal, das habe ich nicht gewußt", während ein anderer beisteuerte: "Darüber hatte ich nicht nachgedacht." Woraufhin ich mich fragte: "Was macht ihr bloß den ganzen Tag, wenn ihr nicht über so ein Thema nachdenkt? Wofür bezahlen wir euch überhaupt?" Ehrlich gesagt jagten mir diese Äußerungen einen Schrecken ein.

Glücklicherweise hat sich in den USA inzwischen die Ansicht verbreitet, daß es für einen Angriff wenig politischen Rückhalt gibt. Dies hat nicht zuletzt mit der Tatsache zu tun, daß alle 16 US-Geheimdienste in der letzten National Intelligence Estimate einstimmig erklärt haben, daß der Iran weder die Atombombe noch ein Programm zum Bau derselben hat und daß man keine Beweise dafür hat, daß Teheran danach strebt. Als die NIE Anfang Dezember 2007 veröffentlicht wurde, hat Präsident Bush erklärt, das Ergebnis interessiere ihn nicht, er halte den Iran weiterhin für eine Bedrohung. Die Israelis haben denselben Standpunkt vertreten. Wobei sich natürlich die Frage stellte, worauf Bush seinen Standpunkt begründete, wenn er die Schlußfolgerungen seiner sämtlichen eigenen Geheimdienste beiseiteschob. Verfügte er über andere, ausländische Quellen für nachrichtendienstliche Informationen oder legte er sich die Sachen nach eigenem Gefühl einfach zurecht? Letzteres kann nicht ausgeschlossen werden.

Vor wenigen Wochen wurde in den USA das Ergebnis einer Umfrage veröffentlicht, das auf mich ziemlich beängstigend wirkt. Demnach haben 58 Prozent der befragten US-Bürger erklärt, daß sie einen Militärangriff auf den Iran unterstützen würden. Als ich von einem Vertreter des Meinungsforschungsinstituts, das die Umfrage durchgeführt hatte und das Resultat veröffentlichen wollte, angerufen und um einen Kommentar gebeten wurde, wollte ich zunächst wissen, wie die Frage, die zu diesem Ergebnis führte, gelautet hatte. Da stellte es sich heraus, daß die Frage in etwa so ging: "Weigert sich Teheran weiterhin, auf sein Kernwaffenprogramm zu verzichten, und sollten alle diplomatischen Bemühungen scheitern, würden sie einen Angriff auf die iranischen Nuklearanlagen befürworten?" Daraufhin habe ich erwidert: "Das ist doch eine lächerliche Frage. Der Iran hat gar kein Atomwaffenprogramm. Das hat mit der Wirklichkeit nichts zu tun. Wie können Sie eine solche Frage stellen?" Zudem habe ich auf die Berichte der IAEO und auf die NIE hingewiesen, aus denen hervorgeht, daß der Iran über kein Atomwaffenprogramm verfügt. Daraufhin erwiderte der Vertreter des Meinungsforschungsinstituts, daß bei ihnen der Leiter der Umfrageabteilung dies alles nicht glaube. "Na prima. Ein Sozialwissenschaftler, der vielleicht etwas über die Erhebung von Statistiken und die Durchführung von Umfragen weiß, will die Schlußfolgerungen sämtlicher US-Geheimdienste, deren Experten sich in der Tat in Sachen Nuklearphysik auskennen, nicht akzeptieren - und das soll die Basis Ihrer Umfrage sein? Was bilden Sie sich bloß ein? Ihrer Umfrage fehlt jedwede Glaubwürdigkeit." Und er sagte: "Das ist ein Argument. Kann ich Sie damit zitieren", woraufhin ich erwiderte: "Das will ich doch hoffen!"

Jedenfalls glaube ich, daß die Unterstützung für einen solchen Schritt viel geringer als vor einiger Zeit ist, wobei man die Gefahr eines israelischen Alleingangs nicht unterschätzen sollte. Die neue israelische Regierung unter Premierminister Benjamin Netanjahu schert sich so wenig wie keine israelische Administration vor ihr um einen Bruch mit den USA. Doch wer weiß, wie lange sich die neue Regierung in Israel halten wird. Ich halte es für keinen Zufall, daß die israelischen Justizbehörden gerade gestern Korruptionsermittlungen gegen das extremste Mitglied dieser rassistischen Netanjahu-Regierung eröffnet haben. Die Rede ist hier von Außenminister Avigdor Lieberman, der ein bekennender Rassist ist, der die Ertränkung palästinensischer Gefangener und die Hinrichtung palästinensischer Politiker, die sich mit Vertretern der Hamas treffen, gefordert hat, der verlangt, daß arabische Bürger Israels sich zum jüdischen Charakter des Staates bekennen und daß diejenigen, die sich weigern, nach Jordanien oder sonstwo abgeschoben werden. Möglicherweise greift man zum Mittel der Korruptionsermittlungen, um ihn aus dem Amt zu drängen, bevor er allzuviel Schaden anrichten kann. Die Teilnahme der Arbeiterpartei erweckt den Anschein, daß die Regierung nicht ausschließlich ultrarechts steht. Doch immerhin wird sie von Bibi Netanjahu angeführt, der keinen Hehl daraus macht, erstens daß er die USA nicht braucht und zweitens daß er sich nicht an die Vereinbarungen hinsichtlich einer Zwei-Staaten-Lösung gebunden fühlt. Das wird es der Obama-Regierung sehr schwer machen, die Beziehungen zu Israel und die Nahost-Politik als "business as usual" zu behandeln. Das ist meiner Meinung nach von nicht geringer Bedeutung.

© 2009 by Schattenblick

© 2009 by Schattenblick

SB: Zeigt nicht die Kontroverse vom Mitte März um die gescheiterte Nominierung von Charles Freeman zum Vorsitzenden des National Intelligence Council, der demnächst eine neue National Intelligence Estimate zum Thema Iran vorlegen soll, daß es nach wie vor starke Kräfte in den USA und Israel gibt, die auf einen Konflikt mit dem Iran drängen? Besteht nicht angesichts der Sackgasse, in die sich die israelische Rechte mit ihrer Ablehnung der Zwei-Staaten-Lösung hineinmanöveriert hat - was für sie die Gefahr der "demographischen Bombe" seitens der Palästinenser nur noch weiter verschärft - die Gefahr, daß sie in Ermangelung anderer Auswege zur "Samson-Option" greifen und das Dach über uns allen zum Einsturz bringen könnte?

PB: Ich glaube es nicht. Solche Überlegungen gibt es in Israel immer, doch ich denke nicht, daß es das war, was die Kampagne gegen Freeman beförderte. Meines Erachtens war es ein Desaster, daß sich die Obama-Regierung nicht hinter Freeman stellte und ihn statt dessen hängen ließ. Wegen dieses Verhaltens hat Obamas politisches Ansehen schwer gelitten. Auf der anderen Seite waren die politischen Auswirkungen der ganzen Affäre enorm. Auf den Titelseiten der New York Times und der Washington Post sowie in den Abendnachrichten beim Fernsehsender CBS hieß es, die "Israel-Lobby" habe "die Nominierung Freemans torpediert". Das ist eine gigantische Sache, denn diese renommierten Medien haben nicht diese Erklärung als Zitat seitens Dritter wiedergegeben, sondern erstmals die tatsächlichen Umstände rundheraus beim Namen genannt. Das Ergebnis war, daß Obama als schwach erschien. Dies mag kein US-Präsident und Obama, der frisch im Amt ist und als liberal gilt, ganz besonders nicht. Ich kann mir vorstellen, daß es ihn dazu bewegen könnte, künftig gegenüber Israel eine unnachgiebigere Haltung an den Tag zu legen.

Gleichzeitig darf man die Freeman-Affäre nicht überbewerten. Die Position des Vorsitzenden des National Intelligence Council ist nicht so mächtig, wie es im ersten Moment erscheint. Er muß lediglich die Erkenntnisse von 16 eigenständigen Geheimdiensten - einige militärische, andere zivile -, die allesamt ihre Reviere eifrig verteidigen, zusammenfassen. Aber wenn unter ihnen keine Einigung herrscht, kann kein NIC-Vorsitzender sie erzwingen. Nichtsdestotrotz besteht die Gefahr, daß die Israelis die vom Iran ausgehende Bedrohung für inakzeptabel erklären und Maßnahmen ergreifen, wohlwissend, daß sich die USA am Ende des Tages aller gegenteiligen Rhetorik zum Trotz gezwungen sehen werden, sie zu unterstützen, zumindest diplomatisch, aber eventuell auch militärisch. Also besteht die Gefahr, doch sie ist noch lange nicht so groß, wie seinerzeit unter Bush, denn ich glaube nicht, daß die Obama-Regierung Interesse an einer Eskalation der Spannungen mit dem Iran hat. Der Beweis hierfür war die Einladung an Teheran, Vertreter zur internationalen Afghanistan-Konferenz, die vor wenigen Tagen [31. März] in Den Haag stattfand, zu entsenden.

SB: Bei welchem Anlaß es mit dem US-Sondergesandten Richard Holbrooke und dem iranischen Delegierten Mohammed Mehdi Achunzadeh zur ersten, wenn auch informellen Begegnung zwischen Vertretern Teherans und Washingtons seit fast 30 Jahren gekommen ist. Besteht angesichts dieser jüngsten Entwicklung nicht die Möglichkeit, daß die USA und der Iran in der Afghanistan-Frage ein Arrangement treffen könnten, das wiederum zur Entspannung im Verhältnis Teheran-Washington führen würde?

PB: Die USA und der Iran haben nach dem 11. September 2001 beim Sturz der Taliban-Regierung in Afghanistan eng zusammengearbeitet. Der Iran hat eine enorm wichtige Rolle bei der internationalen Konferenz Anfang Dezember 2001 auf dem Petersberg am Rhein über die Nachkriegsordnung im Post-Taliban-Afghanistan gespielt. Wie ich in meinem jüngsten Buch "Understanding the US-Iran Crisis: A Primer", das letztes Jahr herauskam, schrieb, hat selbst der Delegierte der Bush-Regierung bei jener Konferenz später zugegeben, daß die USA von allen Regierungen von der iranischen die größte Unterstützung für ihre Pläne zur Befriedung Afghanistans erhalten haben. Die Zusammenarbeit ging jedoch jäh zu Ende, als Bush wenige Wochen später im Januar 2002 in seiner ersten Rede zur Lage der Nation den Iran zu einem Teil der "Achse des Bösen" neben Nordkorea und Saddam Husseins Irak erklärte. Das wollten die Iraner sich natürlich nicht bieten lassen und halten seitdem Abstand. Es gibt jedoch keinen Grund, warum solche früheren Ansätze nicht wieder aufgegriffen werden könnten.

SB: Käme es zu einer Annäherung zwischen Washington und Teheran in der Afghanistan-Frage und eventuell darüber hinaus, wie schätzen sie die Gefahren ein, daß dies die USA dazu ermutigen könnte, im Rahmen der NATO in Zentralasien sowie gegenüber Rußland und China noch aggressiver aufzutreten?

© 2009 by Schattenblick

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PB: Darauf läuft die Zentralasien-Politik Washingtons und der NATO ohnehin hinaus. Das steht für mich außer Zweifel. Unabhängig davon, ob es zu einem Rapprochement zwischen Washington und Teheran kommt, betrachten die USA Rußland und China ohnehin als die wichtigsten Konkurrenten, was strategischen Einfluß, Militär, Wirtschaft usw. betrifft. Eine Verbesserung der amerikanisch-iranischen Beziehungen wird daran nichts Wesentliches ändern, wiewohl die Frage der Annäherung zwischen dem Iran, Rußland und China im Rahmen der Shanghai-Cooperation-Organisation und des Zugangs der chinesischen Wirtschaft zu den Öl- und Gasressourcen der Islamischen Republik für Washington natürlich von großer Bedeutung ist.

SB: Frau Bennis, wir bedanken uns für das Gespräch.

Für die Übersetzung aus dem Englischen zeichnet die Schattenblick- Redaktion verantwortlich.

15. April 2009