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NAHOST/1672: Syrien - Feldzüge und Aussichten ... (SB)


Syrien - Feldzüge und Aussichten ...


In Teilen Syriens tobt nach wie vor der Krieg, und zwar heftig. In der Wüstenlandschaft des Ostens, an der Grenze zum Irak, wo die kurdisch-dominierten Syrischen Demokratischen Kräfte das "Kalifat" der "Terromiliz" Islamistischer Staat (IS) mit Hilfe der US-Streitkräfte ausradiert haben, setzen die Dschihadisten um Abu Bakr Al Baghdadi ihren "heiligen Krieg" aus dem Untergrund fort. Am 1. Juni kamen fünf Zivilisten und fünf SDF-Angehörige ums Leben, als eine Bombe auf dem zentralen Marktplatz von Rakka explodierte, wo einst die IS-Leute mitten in der "Hauptstadt" ihres Kalifats Ungläubige, Kriegsgefangene und "Verräter" regelmäßig kreuzigten und köpften. Am Tag davor hat die US-Luftwaffe drei Lastwagen, mittels derer Öl entweder aus dem Irak oder von den syrischen Ölfeldern im Osten in das Herrschaftsgebiet von Präsident Bashar Al Assad transportiert werden sollte, in die Luft gejagt. Man kann davon ausgehen, daß auch die Fahrer besagter Wagen bei der Durchsetzung der US-Handelssanktionen für Syrien ihr Leben verloren.

Im Nordwesten stößt die Syrische Arabische Armee (SAA) trotz der Hilfe der russischen Luftwaffe auf erbitterten Widerstand bei ihrem Ende April gestarteten Versuch, die Rebellen aus dem Gouvernement Idlib, das im Norden an die Türkei, im Osten, Süden und Westen jeweils an die Gouvernements Aleppo, Hama und Latakia grenzt, zu vertreiben. In Idlib hat die al-kaida-nahe Hayat Tahrir Al Sham (HTS), die frühere Al-Nusra-Front, die mindestens 10.000 Mann - die meisten von ihnen ausländische Glaubenskrieger - unter Waffen hat, praktisch die gesamte Bevölkerung von rund drei Millionen Menschen in Geiselhaft genommen. Im vergangenen September hatten Moskau und Damaskus auf Drängen Ankaras sowie aus Rücksicht auf die Zivilbevölkerung von Idlib eine Großoffensive dort in letzter Minute abgeblasen. Im Gegenzug sollte die Türkei die Rebellen entweder entwaffnen oder zur Flucht über die eigene Grenze verhelfen und darüber hinaus dafür sorgen, daß die strategisch wichtigen Überlandstraßen zwischen Damaskus und Aleppo sowie zwischen Aleppo und Latakia wieder auf voller Länge ungehindert befahrbar werden. Doch nichts davon ist geschehen. Statt dessen führten die Aufständischen von Idlib aus weiterhin Angriffe auf zivile und militärische Ziele in den umliegenden Gouvernements sowie Drohnenanschläge auf den russischen Luftwaffenstützpunkt Hmeimim in Latakia durch.

Ungeachtet der gemeinsamen Bemühungen der Türkei, Rußlands und des Irans zur Beilegung des Kriegs in Syrien, ist die Regierung in Ankara offenbar nicht gewillt, die HTS-Rebellen in Idlib fallen und sie von der SAA und den Russen einfach überrollen zu lassen. Das gleiche gilt für die USA, obwohl diese bekanntlich seit dem 11. September 2001 einen "globalen Antiterrorkrieg" gegen Al Kaida und Konsorten führen. Am 25. Mai meldete die Nachrichtenagentur Reuters, Washington hätte Ankara grünes Licht dafür gegeben, die sunnitischen Gotteskrieger in Idlib mit schweren Waffen zu beliefern, um den Vorstoß der SAA zu verlangsamen bzw. zu stoppen. Zu den Waffen, die offenbar aus NATO-Beständen in der Türkei seit nunmehr zwei Wochen per Lastwagen Idlib erreichen, gehören auch Anti-Panzerraketen von Typ TOW. Mit Hilfe jenes amerikanischen Waffensystems - damals aus saudischen Beständen - waren 2015 die Aufständischen auf dem Vormarsch, trieben die SAA vor sich her und drohten den Krieg zu gewinnen, weshalb sich Wladimir Putin, angeblich in Absprache mit Barack Obama, für eine russische Militärintervention an der Seite der iranischen Revolutionsgarden entschied.

Die neuen Waffenlieferungen aus der Türkei zeigen auf dem Schlachtfeld bereit erste Wirkungen. Am 6. Juni meldete die Nachrichtenagentur Agence France Presse, die HTS hätte eine Gegenoffensive gestartet und im Rahmen dessen an diesem Tag bei Kämpfen im nördlichen Hama mindestens 21 bewaffnete Regimeanhänger, entweder reguläre SAA-Soldaten oder Angehörige verbündeter Milizen, getötet. Eine genau Zahl der Getöteten und Verletzten seit dem Wiederaufflammen der Gewalt in und um Idlib gibt es nicht. Sie liegt jedoch sicherlich im dreistelligen Bereich. Hilfsorganisationen zufolge, die vor Ort tätig sind, liegt die Zahl der Menschen, die vor den Kämpfen entweder aus ihren Dörfern oder aus irgendwelchen Lagern haben fliehen müssen, bei rund 300.000.

Was die Drohnenangriffe der HTS auf Hmeimim betrifft, so steht der Verdacht im Raum, diese erfolgen mit Hilfe der USA. So hat das russische Verteidigungsministerium im Oktober behauptet, die Drohnenoperationen der HTS von Idlib aus würden von US-Spionageflugzeugen vom Typ P-8 Poseidon, eine modifizierte Version der Passagiermaschine 737 von Boeing, im Mittelmeer "koordiniert". Moskau warf dem Pentagon vor, mittels solche Aktionen seine Erkenntnisse über die russischen Fähigkeiten in den Bereichen Luftabwehr sowie elektronischer Kriegsführung erweitern zu wollen. In einem aufschlußreichen Artikel, der am 3. Juni bei Al-Monitor erschienen ist, hat der russische Militärexperte Anton Mardasov diese These unter die Lupe genommen und sie anhand der Primitivität der von der HTS eingesetzten und von deren Gegnern abgeschossenen Drohnen für wenig glaubwürdig erklärt.

Wie dem auch sei, am 5. Juni ist es im östlichen Mittelmeer zu einem beunruhigenden Vorfall gekommen, als ein russischer Kampfjet eine P-8-Maschine der US-Marine abfangen mußte. Wie die israelische Zeitung Ha'aretz am selben Tag online berichtete, und zwar unter Berufung auf Reuters und RIA Nowosti, wurde das Seeaufklärungs- und U-Boot-Jagdflugzeug der Amerikaner von einer Suchoi-SU-35-Maschine, die von Hmeimim aufgestiegen war, mehrmals abgefangen und abgedrängt, als es versuchte, sich dem russischen Militärhafen Tartus an der syrischen Küste zu nähern. Die US-Militärs haben wegen der insgesamt dreistündigen Aktion heftige Kritik an den russischen Kameraden geübt. Sie behaupten, bei einer der drei Abdrängmaßnahmen hätte sich der russische Pilot mit seiner Suchoi-Maschine dem P-8-Poseidon zu sehr genähert und das Leben von dessen Besatzung in Gefahr gebracht. Von russischer Seite hieß es, die Suchoi-Maschine hätte stets die nötige Distanz zum US-Spionageflugzeug gewahrt. Ihrerseits beteuern die Amerikaner, die Boeing sei zu keinem Zeitpunkt der Küste Syriens näher als 20 Kilometer gekommen, sei damit im internationalen Gewässern geblieben und hätte deshalb in Ruhe gelassen werden müssen.

7. Juni 2019


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