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NAHOST/1638: Syrien - an den USA vorbei ... (SB)


Syrien - an den USA vorbei ...


Am 18. Dezember hatte Präsident Donald Trump in seiner Funktion als Oberbefehlshaber der US-Streitkräfte den Abzug aller amerikanischen Militärangehörigen aus Syrien angeordnet und damit auch einen Sturm der Entrüstung seitens derjenigen Kräfte in den USA und Israel ausgelöst, denen der wachsende Einfluß Rußlands und des Irans im Nahen Osten mißfällt und die ihn deshalb "zurückdrängen" wollen. Inzwischen haben sich die Wogen der Entrüstung geglättet, zum einem, weil die Kriegstreiberfraktion in der Trump-Administration um den Nationalen Sicherheitsberater John Bolton und Außenminister Mike Pompeo vorerst mit ihrem angestrebten "Regimewechsel" in Venezuela beschäftigt ist, zum anderen, weil die Position der USA in Syrien in der Tat militärisch kaum noch zu halten ist.

Im Westen, Süden und in der Mitte Syriens - auf einer Fläche von etwa Zweidrittel des Staatsgebiets einschließlich der wichtigsten Bevölkerungszentren Aleppo und Damaskus - ist der Krieg bis auf vereinzelte Anschläge irgendwelcher "Aufständischer" seit 2018 vorbei; der Wiederaufbau läuft auf Hochtouren; viele Kriegsflüchtlinge kehren heim. Die Petromonarchien am Persischen Golf, Kuwait, Katar, die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) und Saudi-Arabien, die jahrelang diverse sunnitische Rebellengruppen im Kampf gegen die Syrische Arabische Armee (SAA) finanziert und ausgerüstet haben, bemühen sich aktuell um die Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen zu Damaskus, denn sie wollen am Wiederaufbau Syriens mitverdienen und das große Geschäft den Russen und Iranern nicht gänzlich überlassen.

Am 28. Januar haben die Regierungsvertreter von Syrien und dem Iran ein umfassendes Wirtschaftsabkommen, das sich unter anderem auf die Sektoren Bau, Landwirtschaft und Energie erstreckt, unterzeichnet. Zwei Tage zuvor hatte der tunesische Außenminister Khemaies Jhinaoui die Wiederaufnahme Syriens in die Arabische Liga gefordert (die Mitgliedschaft war im November 2011 wegen des Bürgerkrieges suspendiert worden). Bereits im Oktober vergangenen Jahres wurde bei Nabim der wichtigste Grenzübergang Syriens nach Jordanien nach dreijähriger Schließung wiedereröffnet. Dadurch dürfte der Handel nicht nur zwischen Jordanien und Syrien, sondern auch zwischen ersterem und dem Libanon wieder in Schwung kommen.

Im Norden und Osten Syriens, entlang der Grenze zur Türkei bzw. zum Irak, sieht die Lage dagegen extrem kompliziert aus. Seit September 2018 herrscht im nordwestlichen Gouvernement Idlib zwischen der SAA und den Rebellen ein brüchiger Waffenstillstand. Darauf hat sich damals die syrische Regierung auf Rat Rußlands eingelassen. Die Türkei hatte zuvor auf die Verschiebung einer bevorstehenden Großoffensive der SAA mit dem Argument gedrängt, dies solle ein großes Blutvergießen unter der Zivilbevölkerung verhindern und Ankara brauche Zeit, um die Aufständischen zur Aufgabe bzw. Rückkehr ins Zivilleben zu überreden. Fast ein halbes Jahr später hat sich die Situation in Idlib nicht gebessert, sondern verschlimmert. Diejenige Rebellengruppen, die der Türkei in Idlib nahestanden, sind praktisch ausgeschaltet worden. In der Region hat auf regierungsfeindlicher Seite die Hayat Tarir Al Sham (HTS), Nachfolgeorganisation der Al-Kaida-nahen Al-Nusra-Front, praktisch die alleinige Oberhand. Ihre Streitmacht, deren Stärke auf mehr als 10.000 Mann geschätzt wird, zeigt keinerlei Bereitschaft zur Aufgabe, weshalb Moskau in Ankara bereits um grünes Licht für die Durchführung der verschobenen Großoffensive nachfragt.

Noch weiter östlich entlang der türkischen Grenze droht Ankara seinerseits mit einem militärischen Eingreifen großen Stils, um die Autonomieregion der syrischen Kurden zu besetzen. Dort haben seit 2015 die Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) mit der aktiven Militärhilfe der USA weite Teile der Gouvernements Rakka und Deir ez-Zor von der Herrschaft der "Terrormiliz" Islamischer Staat befreit. Der Machtzuwachs der syrischen Kurden ist für Ankara deshalb ein Dorn im Auge, weil bei den SDF die kurdischen Volksschutzeinheiten (YPG), Schwesterorganisation der in der Türkei verbotenen Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) Abdullah Öcalans, die mit Abstand bestimmende Kraft stellen. Die De-facto-Allianz zwischen den SDF und den USA sorgt seit längerem für erhebliche Spannungen zwischen Ankara und Washington. Jetzt, da die Amerikaner aus der Region abzuziehen beabsichtigen, will die Türkei dort eine Sicherheitszone unter der Aufsicht ihrer eigenen Truppen errichten.

Gegen diese Pläne setzen sich Syriens Kurden zur Wehr und streben deshalb Verhandlungen und eine Versöhnung mit Damaskus an. Am 24. Januar hat YPG-Kommandeur Sipan Hemo die Aufnahme von Gesprächen mit der syrischen Regierung für die kommenden Tage angekündigt. In einem Interview, das am 25. Januar bei der Nachrichtenagentur Agence France Presse erschienen ist, hat der führende SDF-Kommandeur Mazlum Kobane eine Integrierung seiner Truppe in die SAA in Aussicht gestellt. Bedingungen dafür wären, daß Damaskus die Autonomie der kurdischen Region anerkenne und die SDF innerhalb der SAA einen "Sonderstatus" eingeräumt bekomme, so Kobane. Der Kurde kritisierte in diesem Zusammenhang die Abzugspläne der USA, gab sich gleichwohl zuversichtlich, daß es den SDF innerhalb der nächsten Wochen gelingen werde, den harten Kern des IS aus seinen letzten Zufluchtsorten in der Wüstengegend an der Grenze zum Irak zu vertreiben.

Während also in Rakka und Deir ez-Zor der Abzug der dort stationierten rund 2000 US-Soldaten allmählich anläuft, stellt sich die Frage, was mit den wenigen hundert GIs geschehen soll, die sich auf dem kleinen Stützpunkt bei Al Tanf befinden. Diese Position gilt als besonders wichtig, weil sie im Länderdreieck Syrien-Irak-Jordanien in unmittelbarer Nähe der Hauptverkehrsachse zwischen Damaskus und Bagdad liegt. Am 26. Januar meldete die Nachrichtenagentur Bloomberg unter Verweis auf eingeweihte Diplomaten, Israels Premierminister Benjamin Netanjahu habe von Trump mehrmals telefonisch verlangt, die US-Streitkräfte in Al Tanf zu belassen, um den Iran "herauszufordern". Unterstützung erhalte Netanjahu mit seinem Anliegen von den Iranophoben in der Trump-Regierung, allen voran von John Bolton, so Bloomberg. So wie die militärische Bedeutung von Al Tanf völlig überbewertet wird, spielt dieser Stützpunkt in den Vorstellungen derjenigen US-Neokonservativen und israelischen Likudniks, die seit Jahren die iranische Bedrohung an die Wand malen und deshalb die Notwendigkeit eines "Regimewechsels" in Teheran predigen, eine überdimensionierte Rolle.

30. Januar 2019


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