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NAHOST/1622: Iran - tödliche Störmanöver ... (SB)


Iran - tödliche Störmanöver ...


Der blutige Überfall auf eine Militärparade in Ahvaz, der Hauptstadt der westiranischen Provinz Chuzestan, der am 22. September 29 Menschen das Leben kostete, darunter einen vierjährigen Jungen und einen im Rollstuhl sitzenden verkrüppelten Veteranen des Iran-Irak-Krieges, und weitere 35 schwer verletzt zurückließ, hat die Konfrontation zwischen Teheran auf der einen und Washington, Tel Aviv, Riad und Abu Dhabi auf der anderen Seite erheblich verschärft. Zu dem Anschlag, bei dem die vier Angreifer ums Leben kamen, bekannten sich sowohl eine Untergrundorganisation namens Ahvaz Nationaler Widerstand, die für die Unabhängigkeit des arabisch geprägten Chuzestans von der persischen Herrschaft kämpft, als auch die sunnitisch-fundamentalistische "Terrormiliz" Islamischer Staat (IS), für die alle Schiiten "Ungläubige" sind. Die Bevölkerung der Islamischen Republik des Irans besteht zu 95 Prozent aus Schiiten; von den rund 5 Prozent Sunniten leben viele in Chuzestan. Dort wird ein nicht geringer Teil des iranischen Öls gefördert.

Auch wenn die genaue Identität der vier Männer, die mit Maschinenpistolen das Feuer auf die vorbeidefilierenden Soldaten und die Menschen auf der Zuschauertribune eröffneten, und ihre Motivlage noch der vollständigen Aufklärung bedürfen, so standen doch nach wenigen Stunden für die Regierung in Teheran die Urheber des Massakers fest. In einer Reihe öffentlicher Stellungnahmen haben sowohl Präsident Hassan Rohani und das geistliche Oberhaupt Ajatollah Ali Khamenei als auch Spitzenvertreter der regulären Streitkräfte und der iranischen Revolutionsgarde den USA, Israel und deren Verbündeten am Persischen Golf, Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten, die Urheberschaft für die spektakuläre Aktion angelastet und Vergeltung zu passender Gelegenheit angekündigt.

Die Umstände und Hinweise, aus denen die Führung in Teheran ihre Schlußfolgerungen zieht, ergeben eine zwingende Logik. Seit im Mai US-Präsident Donald Trump das 2015 von den USA, China, Rußland, Frankreich, Großbritannien und Deutschland mit dem Iran geschlossene Atomabkommen einseitig aufgekündigt hat, läuft alles auf eine große militärische Auseinandersetzung zwischen Washington und Teheran hinaus. Bis November wollen die USA mittels Sanktionen, Drohungen und Erpressung den Export iranischen Öls, die Haupteinnahmequelle des Finanzministeriums in Teheran, "auf Null" gesenkt haben. Die Verkündung dieser Absicht erfüllt aus der Sicht der Iraner faktisch den Tatbestand der Kriegserklärung, weshalb der Iran vor einiger Zeit beim Internationalen Gerichtshof in Den Haag Klage gegen die USA eingereicht hat.

Bereits letztes Jahr hat der saudische Thronfolger, Kronprinz Mohammed Bin Salman, im Fernsehinterview von der Notwendigkeit gesprochen, "den Kampf in den Iran hineinzutragen". Einen Tag vor dem Überfall in Ahvaz hat US-Außenminister Mike Pompeo Teheran mit Vergeltungmaßnahmen gedroht, sollten "US-Interessen" im Nahen Osten von "iranischen Verbündeten" angegriffen werden. Pompeo beschuldigte Teheran, hinter dem Raketenbeschuß wenige Tage zuvor auf die "grüne Zone" in Bagdad zu stecken, wo sich sowohl die meisten irakischen Regierungsgebäude als auch die US-Botschaft befinden. Ob die Iraner dabei tatsächlich ihre Finger im Spiel hatten, ist unklar. Dagegen deutet alles darauf hin, daß die CIA die Proteste geschürt hat, die Ende August, Anfang September die südirakische Ölmetropole Basra erschütterten und in deren Folge das iranische Konsulat dort in Flammen aufgegangen war.

Während die Iraner jede Beteiligung am Raketenbeschuß der "grünen Zone" in Bagdad bestritten, ließen die Dementis aus Abu Dhabi und Riad bezüglich einer saudischen oder emiratischen Verwicklung in die Ereignisse in Ahvaz auf sich warten. Eher konnte man den Eindruck gewinnen, die früheren Verbündeten Saddam Husseins freuten sich - und das nicht im geringsten heimlich - darüber, daß der iranische Gedenktag für die Gefallenen und die zivilen Opfer des Iran-Irak-Krieges in diesem Jahr verschandelt wurde. (Der Iran-Irak-Krieg, der vom 22. September 1980 bis zum 30. August 1988 dauerte, entzündete sich am Territorialanspruch Bagdads auf Chuzestan und kostete bis zu 375.000 Iraker und bis zu einer halben Million Iraner das Leben). Im arabischen Fernsehen nahm Abdulkhaleq Abdulla, ein enger Berater der Konigsfamilie Al Thani in Abu Dhabi, die Angreifer von Ahvaz sogar in Schutz: "Ein militärischer Angriff auf ein militärisches Ziel ist kein terroristischer Akt." Die Äußerung des Fellow am Arab Gulf States Institute in Washington und an der London School of Economics löste in der iranischen Öffentlichkeit große Empörung aus.

In dem Vorfall von Ahvaz meinten die Iraner die Handschrift von John Bolton, der seit März nationaler Sicherheitsberater Trumps ist, zu erkennen. Tatsächlich hatte Bolton in einer aufsehenerregenden Denkschrift im August 2017 eine Strategie zur Destabilisierung des Irans zwecks "Regimewechsel" in Teheran entworfen. Zu den von dem neokonservativen Kriegstreiber und ehemaligen UN-Botschafter George W. Bushs empfohlenen Maßnahmen gehörte die Aktivierung des militanten arabischen Untergrunds in Chuzestan, um Teheran zu Repressalien und anderen Überreaktionen zu verleiten. Es dürfte kein Zufall sein, daß am 22. Juni in New York Trumps Rechtsbeistand Rudolph Giuliani auf einer Veranstaltung der berüchtigten iranischen Splittergruppe namens Volksmudschaheddin auftrat und unter jubelndem Applaus eine baldige "Revolution" im Iran versprach.

Der Galaabend der MEK, die seit Jahren im Auftrag des Mossads im Iran spioniert sowie Attentate und Überfälle durchführt und die offenbar mit großzügigen Spenden seitens der Saudis finanziert wird, fand ausgerechnet am Vorabend der UN-Generalversammlung statt, bei der Trump das Thema der angeblich vom Iran ausgehenden "Bedrohung" für den Nahen Osten und die Welt groß thematisieren wollte. Wie man der New York Times am 24. September entnehmen konnte, war die Hauptsorge der Mitarbeiter im Nationalen Sicherheitsrat in Washington im Vorfeld des großen diplomatischen Powwows, daß der US-Präsident zufällig Hassan Rohani im UN-Hauptquartier am East River über den Weg laufen und sich spontan entscheiden könnte, sich auf eine informelle Diskussion über Friedensverhandlungen mit dem iranischen Amtskollegen einzulassen. Wiederholt hat sich Trump in den letzten Monaten prinzipiell zu Gesprächen mit Teheran bereiterklärt. Nach den Ereignissen von Ahvaz ist eine solche Überraschung ausgeschlossen. Vermutlich war das auch der Hauptzweck der verbrecherischen Operation.

25. September 2018


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