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NAHOST/1491: Feuerpause im Jemen bietet Chance für den Frieden (SB)


Feuerpause im Jemen bietet Chance für den Frieden

Kriegsbeteiligte auf der Suche nach einem Ausweg


Am 19. Oktober um 23.59 Uhr Ortszeit ist im Jemen eine Feuerpause in Kraft getreten. Ausgehandelt wurde sie zwischen dem Bündnis aus schiitischen Huthi-Rebellen und Anhängern von Ex-Präsident Ali Abdullah Saleh auf der einen und der Allianz aus sunnitischen Staaten, allen voran Saudi-Arabien, die seit 2015 mit Hilfe von südlichen Separatisten sowie Al Kaida den 2014 gestürzten Interimspräsidenten Abd Rabbu Mansur Hadi mit Militärgewalt einzusetzen versuchen, auf der anderen Seite. Die Waffenruhe ist zunächst auf 72 Stunden befristet, soll jedoch verlängert werden, sofern die Kampfhandlungen zum Erliegen kommen, was mit wenigen Ausnahmen bislang der Fall zu sein scheint. Damit eröffnet sich die Chance, den Jemenkrieg, der 10.000 Menschen, die meisten von ihnen Zivilisten, das Leben gekostet und im Armenhaus Arabiens eine schwere Hungersnot verursacht hat, zu beenden und eine noch schlimmere Katastrophe abzuwenden.

Die jüngste Feuerpause ist im wesentlichen auf zwei Faktoren zurückzuführen; erstens die Erkenntnis, daß keine der beiden Kriegsparteien die andere bezwingen kann, und zweitens den Luftangriff saudischer Kampfjets auf eine Trauerfeier in der jemenitischen Hauptstadt Sanaa am 8. Oktober, der 155 Menschen getötet und mehr als 500 schwer verletzt zurückließ. Dieser Vorfall hat weltweit für Negativschlagzeilen gesorgt und Riad sowie dessen wichtigsten Waffenlieferanten, die USA, in Erklärungsnot gebracht. Am 10. Oktober berichtete die Nachrichtenagentur Reuters, daß sich die Anwälte im US-Außenministerium angesichts zunehmender Berichte über Luftangriffe auf zivile Ziele und kritische Infrastruktur im Jemen große Sorgen machten, daß Mitglieder der Regierung Barack Obamas wegen indirekter Konfliktbeteiligung als Kriegsverbrecher angeklagt werden könnten. Schließlich stellt das Pentagon Riad nicht nur die für seine Aggression im Nachbarland erforderlichen Waffen und Munition zur Verfügung, sondern läßt auch die Kampfjets Saudi-Arabiens und der anderen Petromonarchien am Persischen Golf bei ihren Einsätzen im Jemen von US-Spezialflugzeugen in der Luft auftanken, während amerikanische und britische Verbindungsoffiziere an der Zielauswahl beteiligt sind.

Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, daß die Außenminister der USA und Großbritanniens, John Kerry und Boris Johnson, nach einem Treffen in London am 9. Oktober mit dem saudischen Amtskollegen Adel Al Dschubeir und dem UN-Sondergesandten Ismail Ould Cheikh Ahmed aus Mauretanien zu einer baldestmöglichen Waffenruhe aufgerufen haben. Kurz darauf hat die Ansarullah-Bewegung der Huthis dem Vorschlag der beiden UN-Vetomächte zugestimmt. Inzwischen versuchen die Saudis, die Verantwortung für das von ihnen inzwischen als "Fehler" bezeichnete Massaker auf ihre lokalen Partner in Jemen abzuwälzen, die angeblich falsche nachrichtendienstliche Erkenntnisse geliefert haben. Die Schutzbehauptung Riads klingt jedoch nicht besonders plausibel. Offenbar galt der Angriff Saleh, der zwar an der Trauerfeier für den verstorbenen Vater eines führenden Huthi-Mitglieds teilgenommen, zum Zeitpunkt der ersten Angriffswelle das Gebäude, eine Kongreßhalle, jedoch bereits wieder verlassen hatte. Für die These, daß der mächtige Ex-Präsident des Jemens das eigentliche Ziel gewesen ist, spricht die Tatsache, daß die saudischen Kampfjets einen zweiten Angriff flogen, nachdem die Rettungs- und Bergungsarbeiten begonnen hatten. Der sogenannte "double-tap" ist im humanitären Völkerrecht streng verboten, weswegen die UN-Inspekteure, die den Fall untersuchen, in ihrem am 17. Oktober dem Sicherheitsrat in New York vorgelegten vorläufigen Bericht von einem schweren Kriegsverbrechen sprechen.

Als Geste des guten Willens haben die Huthis am 15. Oktober zwei US-Bürger, die sich seit vergangenem Jahr in Sanaa in Haft befunden hatten, ausreisen lassen. Zusammen mit Schwerverletzten des besagten Massakers, die zur medizinischen Behandlung nach Oman gebracht wurden, hat man die beiden Amerikaner in einem Transportflugzeug nach Muskat reisen lassen. Mit derselben Maschine kehrten mehrere Mitglieder der Ansarullah-Bewegung, die nach dem Scheitern der letzten Friedensverhandlungen in Oman festsaßen, nach Hause zurück. Obwohl Mitgliedsstaat des Golfkooperationsrats, nimmt Oman aus Rücksicht auf seine mehrheitlich schiitische Bevölkerung nicht am Krieg im Jemen teil. Omans Außenminister Yousef bin Alwi bemüht sich bislang vergeblich, zwischen Sanaa und Riad zu vermitteln.

Für die Sonderrolle Muskats sprechen wiederholte Meldungen von angeblichem Schmuggel iranischer Waffen über Oman in den Norden des Jemen zu den Huthis und dem Teil der jemenitischen Streitkräfte, der Saleh nach wie vor die Treue hält. Die Regierung in Muskat bestreitet solche Meldungen vehement. Dessen ungeachtet setzte vor wenigen Tagen die Obama-Regierung die These in die Welt, der Iran lasse über Oman den Gegnern Saudi-Arabiens im Jemen "Seezielflugkörper, Sprengstoff ... Geld und Personal" zukommen. Dies berichtete am 20. Oktober die Onlinezeitung Middle East Eye unter Berufung auf Reuters. Gerade der Hinweis auf Anti-Schiff-Raketen läßt aufhorchen, denn bis heute kann das Pentagon nicht bestätigen, ob die angeblichen Raketenangriffe der Huthis auf das US-Kriegsschiff Mason am 10. und am 12. Oktober, dessen Besatzung "zur Selbstverteidigung" drei Radaranlagen an der jemenitischen Küste des Roten Meeres beschoß und zerstörte, tatsächlich stattfanden oder nur falsch interpretierte Radarsignale waren.

22. Oktober 2016


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