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NAHOST/1474: In Libyen setzt sich "Feldmarschall" Hifter durch (SB)


In Libyen setzt sich "Feldmarschall" Hifter durch

Premierminister Al Sarradsch geht auf die Konkurrenz in Tobruk zu


In Libyen zeichnet sich eine vorsichtige Annäherung zwischen der mit Hilfe der Vereinten Nationen eingesetzten Regierung der Nationalen Einheit (Government of National Accord - GNA) in Tripolis unter der Leitung des Geschäftsmanns Fayiz Al Sarradsch und dem 2014 gewählten und im selben Jahr vor den Islamisten in der Hauptstadt in das östliche Tobruk geflohenen Repräsentantenhaus (House of Representatives - HoR) ab. Hintergrund ist die Wiederaufnahme des libyschen Ölexports nach zweijähriger Unterbrechung infolge einer erfolgreichen Militäraktion des selbsternannten "Feldmarschalls" Khalifa Hifter, der im Auftrag des HoR die Libysche Nationalarmee (LNA) befehligt. Hatte sich die GNA bisher gegen eine Zusammenarbeit mit Hifter gesträubt, so kommt sie nun offenbar um Libyens neuen "starken Mann" nicht mehr herum.

Seit die vom Westen unterstützte GNA im März mit einem Schiff in Tripolis gelandet ist, hat sie erhebliche Schwierigkeiten, ihren Machtanspruch durchzusetzen. Recht schnell konnte sie zwar die Kontrolle über alle Ministerien in der Hauptstadt übernehmen, nachdem ihr der dort seit Ende 2011 herrschende, von Islamisten dominierte Allgemeine Nationalkongreß (General National Congress - GNC) zunächst kampflos das Feld überlassen hatte. Doch wegen fehlender Staatseinnahmen aufgrund der darniederliegenden Wirtschaft und des fehlenden Ölexports konnte die GNA für keine spürbare Verbesserung des Alltagsleben der meisten Libyer sorgen. Im Juni hat sie mit Hilfe von Milizionären aus der westlichen Stadt Misurata eine "patriotische" Offensive gegen Sirte, die Hochburg der "Terrormiliz" Islamischer Staat (IS), gestartet, die trotz aller Erfolgsmeldungen bis heute nicht endgültig abgeschlossen ist.

Um die GNA mit den erforderlichen Finanzen auszustatten und ihr die nötige Autorität zu verschaffen, hatte sich Ende August der deutsche UN-Sondergesandte Martin Kobler mit Ibrahim Jodran, dem umstrittenen Chef der Petroleum Facilities Guard (PFG), auf dessen Befehl der Ölexport Libyens seit 2014 lahmlag, getroffen. Die Einzelheiten der Unterredung sind nicht bekannt. Doch offenbar war Jodran unter bestimmten Bedingungen bereit, die Ölausfuhr anlaufen und die Einnahmen daraus der GNA zukommen zu lassen. Unter den einfachen Libyern sorgte der Vorstoß Koblers, wie gut gemeint er auch immer gewesen sein mag, für Empörung. Dem UN-Sondergesandten wurde vorgeworfen, sich den Wünschen eines Erpressers zu beugen, dessen Machenschaften das Land in den letzten Jahren geschätzte 100 Milliarden Dollar gekostet haben.

Hifter hat seinerseits die Stimmung im Lande erkannt und Mitte September mit einer Überraschungsoffensive vom Osten her die vier wichtigsten Ölverladehäfen Libyens - Brega, Ras Lanuf, Sidra and Zuwaytina - von seinen Männern besetzen lassen. Bei der Operation "Plötzlicher Blitz" ist die LNA auf keinen nennenswerten Widerstand gestoßen. Nach Angaben der Zeitung Middle East Eye war Jodran innerhalb des eigenen Stamms Magharba unpopulär. Hifter hat sich laut MEE im Vorfeld mit den Stammesältesten arrangiert, woraufhin Jodrans Männer beim Angriff der LNA keinen Finger rührten und ihren Chef einfach fallen ließen. Hifters Einnahme der wichtigsten Teile der libyschen Ölinfrastruktur hat zu offiziellen Protesten seitens der GNA und der "internationalen Gemeinschaft" geführt. Der ehemalige Vertraute Gaddhafis hat schlauerweise gleich nach der Absetzung Jodrans die Anlagen wieder unter die Kontrolle der National Oil Corporation (NOC) gestellt, deren Leitung sowohl mit der GNA als auch dem HoR zusammenzuarbeiten versucht. Am 20. September hat das unter maltesischer Flagge fahrende Schiff Seadalta mit 776.000 Faß Rohöl an Bord den Hafen Ras Lanuf Richtung Italien verlassen. Es war der erste Export libyschen Öls seit November 2014.

Hifter, der enge Verbindungen zur ägyptischen Militärdiktatur unterhält, hat dank des gelungenen Coups enorm an Ansehen gewonnen. Bei einem Staatsbesuch in Paris am 27. September hat Premierminister Al Sarradsch Hifter, der wegen seiner langen Jahre im amerikanischen Exil als CIA-Kontaktmann gilt, einen Platz in der neuen Regierung in Aussicht gestellt. Sarradsch sprach von der Notwendigkeit "des Dialogs und der Versöhnung" und kündigte an, demnächst dem HoR in Tobruk einen neuen Entwurf des künftigen Kabinetts zukommen zu lassen. Sollte Hifter in der Namensliste als Verteidigungsminister auftauchen, dürfte das HoR dem GNA die seit Monaten vorenthaltene Anerkennung nicht länger verweigern. Danach steht die eigentliche Aufgabe der Zusammenarbeit zwischen den beiden Machtzentren im Kampf gegen den IS sowie zur Wiederherstellung der staatlichen Ordnung an.

1. Oktober 2016


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