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NAHOST/1454: Iraner werfen USA Nichteinhaltung des Atomdeals vor (SB)


Iraner werfen USA Nichteinhaltung des Atomdeals vor

Obama, Kerry und die Republikaner amüsieren sich auf Kosten Teherans


Immer mehr Iraner fühlen sich in Sachen Atomabkommen, das im Juli 2015 von Vertretern des Irans und der P5+1-Gruppe - das sind die fünf ständigen Mitgliedsstaaten im UN-Sicherheitsrat, also China, Frankreich, Großbritannien, Rußland und die USA, plus Deutschland, beschlossen wurde und im Januar dieses Jahres in Kraft trat, betrogen, speziell von den Amerikanern. Während der Iran die Teile seines Atomprogramms, die das Risiko einer militärischen Nutzung spaltbaren Materials in sich bargen, verändert oder beseitigt hat - zum Beispiel wurde schweres Wasser in die USA exportiert und der Plutonium-Reaktor in Arak umgebaut - wartet die Islamische Republik immer noch vergeblich auf die wirtschaftlichen Vorteile, welche die Öffnung zum Westen mit sich bringen sollte. Zwar sind die meisten Finanzsanktionen aufgehoben worden, doch aus Angst vor rechtlichen Problemen in den USA scheuen sich europäische Banken und Großkonzerne bislang, nennenswerte Geschäfte mit dem Iran zu tätigen. Hinzu kommt, daß gerade in den letzten Wochen die Gerichte in den USA den Iran zweimal zur Leistung gigantischer Schadensersatzzahlungen in "terroristischen" Fällen verurteilt haben, in denen für einen unabhängigen Beobachter eine Schuld oder Verantwortung Teherans nicht ohne weiteres erkennbar ist.

Vor dem Hintergrund des Atomvertrags und der damit beabsichtigten Beendigung der Konfrontation mit den USA konnten die Reformkräfte im Iran Ende Februar einen großen Erfolg bei den Parlamentswahlen erringen. Seitdem unternehmen diejenigen Kräfte in den USA, die dem Abkommen ablehnend gegenüberstehen, wirklich alles, um den Iranern ihren Glauben an die ehrlichen Absichten Washingtons auszutreiben. Damit erhalten wiederum im Iran die Hardliner, welche von vornherein die Versöhnungsgeste der Regierung Barack Obamas für eine Falle gehalten haben, Auftrieb.

Der erste schwere außenpolitische Rückschlag für die Reformer in Teheran um Präsident Hassan Rohani erfolgte, als am 9. März in New York US-Bezirksrichter George Daniel den Iran wegen dessen angeblicher Verwicklung in die Flugzeuganschläge vom 11. September 2001 zur Auszahlung von mehr als 10 Milliarden Dollar an die Opferfamilien verurteilte. Die Regierung in Teheran hatte sich kategorisch geweigert, sich gegen den nicht belegbaren Vorwurf einer Beteiligung an 9/11 zu verteidigen, wonach irgendwelche Al-Kaida-Leute vor dem 11. September 2001 möglicherweise über den Iran in die USA gereist sein könnten. Das Urteil von Daniels hat im Iran große Empörung ausgelöst; zumal es dieser Richter war, der 2015 eine zivile Klage der 9/11-Opferfamilien gegen Saudi-Arabien, aus dem nachweislich 15 der 19 mutmaßlichen Flugzeugentführer stammten, abgewiesen hatte.

Seit März beschweren sich Unternehmen und Banken in der EU öffentlich darüber, daß die nach wie vor feindliche Haltung in der amerikanischen Politik und Justiz gegenüber Teheran Geschäftsanbahnungen und -abschlüsse zwischen Europa und dem Iran unmöglich macht. Tatsächlich scheuen sich europäische Geschäftsleute, anvisierte Projekte im Iran zu realisieren aus Angst, sie könnten sich damit rechtliche Schwierigkeiten in den USA einhandeln. Für die Doppelzüngigkeit Washingtons spricht das Verhalten von US-Außenminister John Kerry, der bekanntlich den Atomdeal ausgehandelt hatte.

Während der ehemalige demokratische Senator aus Massachusetts seit Wochen nicht müde wird zu beteuern, die USA stünden dem europäisch-iranischen Handel nicht im Weg, prahlte er am 21. April gegenüber Mitgliedern der pro-israelischen Lobbygruppe J Street damit, daß die Kritik der republikanischen Opposition im Kongreß, der Iran könnte seit Januar auf sein bislang in den USA eingefrorerens Vermögen in Höhe von 55 Milliarden Dollar zugreifen, unangebracht sei. Teheran hätte bislang ganze drei Milliarden davon flüssig machen können, so Kerry. Vor diesem Hintergrund klingen die Zusagen des amerikanischen Chefdiplomaten, in den USA für größere Rechtssicherheit für europäische Konzerne zu sorgen, die mit iranischen Partnern ins Geschäft kommen wollen, mehr als hohl.

Bei den Iranern hat das Urteil des Obersten Gerichtshofs in den USA am 21. April im Fall Markazi gegen Peterson das Faß zum Überlaufen gebracht. Mit sechs zu zwei Stimmen entschieden Amerikas oberste Richter, daß die Familien der Opfer einer Reihe "terroristischer Verbrechen" im Nahen Osten, für die westliche Geheimdienste die libanesisch-schiitische Hisb-Allah-Miliz bzw. den Iran verantwortlich machen - allen voran der verheerende Bombenanschlag auf den Stützpunkt der US-Marineinfanterie 1983 in Beirut -, von Teheran eine Entschädigung in Höhe von rund zwei Milliarden Dollar erhalten sollen. Die Auszahlung habe unverzüglich aus den in den USA eingefrorenen Geldern der iranischen Zentralbank zu erfolgen, so das Gericht. Präsident Rohani hat am 27. April das Urteil aus Washington als einen "unverschämten Diebstahl", eine "rechtliche Schande" und eine "Fortsetzung der Feindseligkeiten gegen den Iran" bezeichnet. Irans höchste geistliche und politische Instanz, Ajatollah Ali Khamenei, bediente sich ebenfalls einer eindeutigen Sprache: "Amerika setzt Tricks ein und betreibt arglistige Täuschung. Auf Papier schreiben sie, daß Banken mit dem Iran kooperieren können, doch in der Praxis schüren sie Iranophobie, damit niemand mit dem Iran Handel treibt."

Während die Führung des Irans offen damit droht, die USA wegen der "Plünderung" iranischer Staatsgelder vor den Internationalen Gerichtshof in Den Haag zu zitieren, befürchten besonnene Beobachter, daß das Doppelspiel Washingtons gegenüber Teheran verheerende Folgen für die internationale Politik haben könnte. In einem Artikel, der am 22. April bei der US-Politzeitschrift The National Interest unter der Überschrift "U.S. Sanctions Spite Europe, Not Just Iran" erschienen ist, warf Paul R. Pillar, der von 1997 bis 2005 bei der CIA und von 2005 bis 2012 als Gastprofessor für internationale Politik an der renommierten Georgetown University in Washington arbeitete, der Obama-Regierung und dem von den Republikanern dominierten Kongreß vor, die Glaubwürdigkeit der USA nicht nur dem Iran und Europa, sondern auch der Volksrepublik China und Rußland gegenüber aufs Spiel zu setzen.

29. April 2016


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