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NAHOST/1382: Anschlag im Museum - Tunesien im Fadenkreuz des IS (SB)


Anschlag im Museum - Tunesien im Fadenkreuz des IS

Bürgerkrieg im Nachbarland Libyen macht sich in Tunesien bemerkbar


Der Überfall am 18. März auf das wenige Meter vom Parlamentsgebäude in Tunis liegende Bardo-Museum, der 17 ausländischen Touristen, ihrem Busfahrer und einem Polizisten das Leben kostete und 44 Menschen verletzt zurückließ, hat in Tunesien Ängste vor einer Destabilisierung des Landes ausgelöst. Nach einem stundenlangen Feuergefecht haben die tunesischen Sicherheitskräfte die beiden Angreifer in Militäruniform getötet. Es handelte sich nach offiziellen Angaben um zwei junge Tunesier namens Yaasine Laabidi und Hatem Khachnaoui. Wer sie zu der Bluttat veranlaßt hat, ist bislang unklar. Man vermutet, daß die Männer im Auftrag des Kalifats Islamischer Staat (IS), das weite Teile Syriens und des Iraks beherrscht und zunehmend in Libyen Fuß faßt, unterwegs waren.

Von Tunesien gingen jene Massenproteste aus, die sich 2011 auf die ganze Region zwischen Atlas-Gebirge und Persischem Golf ausbreiteten und die Bezeichnung Arabischer Frühling erhielten. Im Gegensatz zu dem daraus entstandenen Chaos in Bahrain, Ägypten, Libyen, Syrien, im Irak und Jemen haben die politischen Gruppierungen in Tunesien trotz anfänglicher Schwierigkeiten den Übergang von der Einparteienherrschaft Zine El Abidine Ben Alis zu einem demokratischen Mehrparteiensystem mit Gewaltenteilung und unabhängiger Justiz geschafft. In der neuen Verfassung, die 2014 einvernehmlich verabschiedet wurde, sind Männer und Frauen gleichberechtigt, während der Islam als Staatsreligion anerkannt wird, die Scharia als Rechtsquelle dagegen nicht. Damit es hierzu kommen konnte, haben sich die "gemäßigten" Kräfte innerhalb der mächtigen, islamischen Ennahda-Partei durchsetzen müssen.

Zwischen 2011 und 2014 war es in der tunesischen Gesellschaft zu einem Tauziehen zwischen Säkularisten und muslimischen Fundamentalisten gekommen. Die Attentate auf zwei prominente Gegner einer möglichen Islamisierung, Chokri Belaid und Mohammed Brahmis, im Jahr 2013 haben zu einer starken Mobilisierung der säkularen Kräfte geführt, die Befürworter der Scharia in Mißkredit gebracht und den gemäßigten Islamisten Auftrieb verliehen. Nach der Verabschiedung der Verfassung 2014 und der Bildung einer Technokraten-Regierung unter Premierminister Habib Essid im Februar 2015, die im neuen Parlament auch von den Abgeordneten der Ennahda-Partei getragen wird, hätte man gedacht, der demokratische Übergang Tunesiens wäre in trockenen Tüchern und die Gefahr eines Staatsstreichs durch das Militär wie in Ägypten oder eines Bürgerkrieges wie in Syrien gebannt. Der Überfall auf das Bardo-Museum zeigt, daß diese Annahme verfrüht war.

Die relative Stabilität Tunesiens in den vergangenen vier Jahren ist nicht zuletzt auf die Tatsache zurückzuführen, daß das Land einen Großteil seiner gewaltbereiten Jugend exportiert hat. Wie die US-Zeitungsgruppe McClatchy am 17. März unter Verweis auf Angaben der Vereinten Nationen und des Außenministeriums in Washington berichtete, sollen unter dem schwarzweißen Banner des IS in Libyen 4000 und in Syrien 3000 Tunesier kämpfen. Darüber hinaus sind Hunderte, wenn nicht sogar Tausende tunesischer Dschihadisten in den Ländern der Sahel-Zone wie Tschad, Niger und Mauretanien militärisch aktiv. Tunesier sollen 300 der rund 600 Kämpfer der Gruppe Ansar al Dine, die im Süden Algeriens und in Mali operiert, ausmachen.

Nach den Attentaten auf Belaid und Brahmis hatten die Behörden in Tunis den tunesischen Ableger von Ansar Al Scharia verboten. Deren Anführer Abu Ayyad Al Tunisi, der 2011 nach dem Sturz Ben Alis zusammen mit rund 300 Islamisten aus dem Gefängnis entlassen worden war, setzte sich daraufhin samt Gefolgschaft in das benachbarte Libyen ab. Dort soll er sich weiterhin aufhalten. Interessanterweise ist am 16. März bei Kämpfen zwischen IS-Anhängern und Milizionären der Regierung in Tripoli um die Kontrolle über die libysche Stadt Sirte, Ahmed Rouissi, einer der meistgesuchten "Terroristen" Tunesiens, ums Leben gekommen. Rouissi galt als Auftraggeber für die Ermordung von Belaid und Brahmis. In Sirte, derzeit Hochburg des IS in Libyen, soll er zuletzt ausländische Kämpfer ausgebildet haben.

Am 17. März meldete die Regierung Tunesiens, ihre Sicherheitskräfte hätten vier "Terrorzellen", die Freiwillige für den Heiligen Krieg in Libyen rekrutierten und über die Grenze schmuggelten, zerschlagen. Im Rahmen der großangelegten Operation wurden in Tunis und anderswo im Lande 22 Anhänger von IS bzw. Ansar Al Scharia verhaftet. Weitere zehn "Terroristen" wurden am versuchten illegalen Grenzübertritt nach Libyen gehindert und in Gewahrsam genommen. Vor diesem Hintergrund ist der Überfall auf das Bardo-Museum eine deutliche Botschaft der sunnitisch-salafistischen Szene, daß sie den Kampf um die Herrschaft in Tunesien noch lange nicht aufgegeben hat. Ähnlich wie der IS durch Anschläge auf die Infrastruktur der Ölindustrie Libyens die Wirtschaft dort zum Erliegen bringen will, haben es Tunesiens Islamisten nicht zufälllig auf den Fremdenverkehr, der sich nach den politischen Wirrungen von 2011 gerade erholte, abgesehen.

19. März 2015


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