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NAHOST/1372: Iraks Armee startet Großoffensive gegen IS in Tikrit (SB)


Iraks Armee startet Großoffensive gegen IS in Tikrit

USA über starkes iranisches Militärengagement im Irak unglücklich


Am 1. März hat die irakische Armee mit einer Operation zur Rückeroberung von Tikrit, der Heimatstadt des 2003 gewaltsam von den Streitkräften Großbritanniens und der USA gestürzten Präsidenten Saddam Hussein, begonnen. An der Aktion nehmen nach Regierungsangaben 20.000 Soldaten und rund 7000 schiitische Milizionäre teil. Ihnen stehen etwa 13.000 Kämpfer des Kalifats Islamischer Staat (IS) gegenüber. Seit der spektakulären Offensive im vergangenen Sommer, bei der der IS die zweitgrößte Stadt des Iraks, Mossul, und weite Teile der Mitte und des Nordwestens des Iraks eroberte, ist es den staatlichen Streitkräften trotz mehrmaligen Versuchs nicht gelungen, sie aus Tikrit, das nur 130 Kilometer nördlich von Bagdad liegt, zu vertreiben. Dies soll nun endlich geschehen. Die Erstürmung von Tikrit, die auch von Kampfjets der irakischen Luftwaffe unterstützt wird, ist Teil einer größeren Offensive, mit der die Regierung in Bagdad die Kontrolle über die gesamte zentralirakische Provinz Salah ad-Din zurückerlangen will. Parallel zum Angriff auf die Provinzhaupstadt Tikrit gehen Armeeverbände und schiitische Milizionäre gegen IS-Stellungen in Ad-Dawr und anderen Städten vor.

Die Großoperation in Salah ad-Din wird sowohl von innerirakischen Spannungen zwischen Sunniten und Schiiten als auch von der Rivalität zwischen den USA und dem Iran überschattet. Bei einer Pressekonferenz am Vorabend der Offensive, am 28. Februar in Samarra, der größten Stadt der Provinz, appellierte Premierminister Haider Al Abadi an die sunnitischen Mitbürger, die bislang den IS unterstützt haben, ihre Position zu revidieren: "Ich rufe alle, die sich in die Irre haben führen lassen oder einen Fehler begangen haben, dazu auf, ihre Waffen niederzulegen und sich dem Volk und den Sicherheitskräften anzuschließen, um ihre Städte zu befreien." Denjenigen, die auf Seiten des IS gekämpft haben, versprach Al Abadi eine Amnestie. Gleichzeitig stellte er fest, daß dafür nun die "letzte Chance" gekommen sei. Hauptadressaten des Appells des Regierungschefs waren die Angehörigen jener sunnitischen Stämme, die sich seit einigen Jahren im Aufstand gegen Bagdad befinden und dem IS angeschlossen haben sowie die ehemaligen Angehörigen der Streitkräfte Saddam Husseins, die seit 2003 aus dem Untergrund operieren und vor einiger Zeit ein Bündnis mit den Salafisten eingegangen sind.

In seiner Rede sah sich Al Abadi offenbar dazu genötigt, von den Angehörigen der an der Operation beteiligten schiitischen Milizen wie der Badr-Brigade in aller Offenheit zu verlangen, daß sie "Rücksicht auf Zivilisten" nehmen. In den letzten Monaten ist es bei der Rückereroberung von Städten und Dörfern durch die Armee Bagdads immer wieder zu Vorfällen gekommen, bei denen schiitische Milizionäre sunnitische Einwohner wegen des Verdachts, es könnte sich bei ihnen um IS-Sympathisanten oder -Informanten handeln, massakriert haben. Solche Vorkommnisse sind dem erklärten Ziel der Regierung, Sunniten, Schiiten und Kurden zu versöhnen und den Staat Irak vor dem religiös-ethnischen Verfall zu bewahren, mehr als abträglich.

Leider sind weiter Massaker an der sunnitischen Zivilbevölkerung zu befürchten. Am 1. März berichtete Margaret Griffis bei antiwar.com unter Verweis auf eine anonyme Quelle im irakischen Offizierskorps von der Existenz einer Sondereinheit namens "Speicher Rachekommando", deren Auftrag bei der Großoffensive offenbar lautet, "Mitglieder der Stämme Albu Adschil und Albu Nasir in Saddam Husseins Geburtsort Al-Auscha zu eliminieren." Angehörige beider Stämme sollen mit dem IS "bei der Ermordung Hunderter Soldaten in Camp Speicher im vergangenen Sommer kollaboriert haben".

Bemerkenswert an der angelaufenen Operation ist die Tatsache, daß Regierung und Parlament des Iraks nach Informationen der russischen Nachrichtenagentur Sputnik Generalmajor Qassem Suleimani, dem Kommandeur der Al-Quds-Einheit der Iranischen Revolutionsgarden, den Oberbefehl erteilt haben. Beim Bürgerkrieg in Syrien hat Suleimani als Militärberater die Streitkräfte Baschar Al Assads vor der Niederlage bewahrt und sie wieder zu einer schlagkräftigen Truppe gemacht. Seit dem vergangenen Jahr ist er im Auftrag Teherans für die militärische Hilfe des Irans für die irakische Armee zuständig und koordiniert deren Zusammenarbeit mit den schiitischen Milizen.

Die starke Rolle des Irans bei der Offensive in der Provinz Salah ad-Din soll in den USA, deren Luftwaffe seit dem vergangenen September Luftangriffe auf IS-Positionen im Irak und in Syrien fliegt, "Sorgen um den wachsenden Einfluß" Teherans im Zweistromland ausgelöst haben. Dies berichtete am 2. März die Zeitung USA Today. Angesichts der Tatsache, daß die USA den irakischen Streitkräften derzeit Waffen und Munition im großen Umfang liefern und ihnen rund 4000 Militärberater zur Seite gestellt haben, ist man in Washington verärgert, daß Bagdad nicht einmal um eine Unterstützung der US-Luftwaffe für die Offensive in Salah ad-Din gebeten hat.

Der unterschiedliche Umgang des Iraks mit dem Iran und den USA ist der anhaltenden Konfrontation zwischen Teheran und Washington geschuldet. Obwohl die USA und der Iran den IS im Irak bekämpfen, weigern sich beide Parteien ihre militärischen Aktivitäten dort zu koordinieren. Schließlich stehen sie im syrischen Bürgerkrieg auf unterschiedlichen Seiten. Teheran will "das Regime" Assad retten, Washington es stürzen. Aktuell verhandeln Vertreter der Regierungen Barack Obamas und Hassan Rohanis in Genf intensiv um eine Lösung im Streit um Irans Atomprogramm. Angeblich liegt eine Einigung in greifbarer Nähe. Entgegen dem allgemeinen Eindruck geht es hierbei nur vordergründig um den möglichen Griff Teherans nach der Atombombe, sondern vielmehr darum, ob die USA bereit sind, den Iran als Regionalmacht im Nahen Osten anzuerkennen und ihre Beziehungen zu Teheran wieder zu normalisieren. Diese Bereitschaft Washingtons wird derzeit im Zentralirak auf eine harte Probe gestellt. Möglicherweise ist die überraschende Aussage Obamas vom 2. März, ein Scheitern der Atomverhandlungen sei wahrscheinlicher als ein Erfolg, als Reaktion des Weißen Hauses auf die starke iranische Beteiligung an den Kämpfen in Tikrit zu deuten.

3. März 2015


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