Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → REDAKTION

NAHOST/1360: US-Bodentruppen demnächst wieder im Irak? (SB)


US-Bodentruppen demnächst wieder im Irak?

Der Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten gerät außer Kontrolle



Im September 2002 hat der Generalsekretär der Arabischen Liga, der ehemalige ägyptische Außenminister Amr Moussa, die Regierung von US-Präsident George W. Bush vor einem Einmarsch in den Irak gewarnt, weil ein solcher Schritt im Nahen Osten "das Tor zur Hölle öffnen" würde. Bush und sein britischer Verbündeter Premierminister Tony Blair glaubten es besser zu wissen und stürzten im Frühjahr 2003 unter der fadenscheinigen Begründung, der Irak stelle wegen des angeblichen Besitzes von Massenvernichtungswaffen eine nicht hinnehmbare Bedrohung für die ganze Welt dar, das "Regime" Saddam Husseins. Zwölf Jahre später hat sich die Prophezeiung Moussas bewahrheitet. Der Brand, den angloamerikanische Kreuzzügler im Zweistromland gelegt haben, hat die ganze Region erfaßt.

Besonders im Irak, in Syrien und Libyen, aber auch zunehmend im Libanon, Jemen und in Ägypten tobt der Bürgerkrieg, den die sunnitisch-salafistischen Kämpfer der "Terrormiliz" des Islamischen Staates (IS) zu einem Feldzug gegen alle Nicht-Gläubigen, allen voran Schiiten und Christen, und gegen ausländische Einmischung führen. Nicht umsonst haben IS-Milizionäre im letzten Jahr in dem von ihnen kontrollierten Ostsyrien und Nordwestirak demonstrativ mit einem großen Bagger die zwischenstaatliche Grenzanlage beseitigt und dabei die nach dem Ersten Weltkrieg von Frankreich und Großbritannien gezeichneten Staatsgrenzen für ungültig erklärt. Bei der Anti-IS-Allianz mischt sich in die große Empörung über die jüngste Schandtat der Gegenseite, nämlich die Ermordung durch Verbrennung bei lebendigem Leib des jordanischen Kampfpiloten Moaz Al Kasasbeh, der nach dem Absturz seiner Maschine im Norden Syriens in Gefangenschaft geraten war, eine gewisse Ratlosigkeit, wie die Religionskrieger gestoppt werden sollen.

In Jordanien hat die Veröffentlichung des grausigen Videos der letzten Minuten im Leben Al Kasasbehs die Öffentlichkeit schockiert. Es herrschte zunächst große Einheit zwischen Monarchie und Bevölkerung. Um in den Augen seiner Untertanen nicht als Schwächling dazustehen, hat König Abdullah II, der nach der Veröffentlichung besagten Videos im Internet einen Staatsbesuch in Washington vorzeitig abgebrochen hatte und nach Amman zurückgekehrt war, am 4. Februar eine eigene Drohung wahrgemacht und zwei zum Tode verurteilte "Terroristen" durch den Strang hinrichten lassen. Die drastische Vergeltungsmaßnahme wurde von vielen Jordaniern als berechtigt und angemessen empfunden, könnte sich aber langfristig als Bumerang erweisen.

Eine der beiden Hingerichteten war die Irakerin Sajida Al Rishawi, die 2006 wegen ihrer Teilnahme an den koordinierten Bombenanschlägen auf das Radisson SAS Hotel, das Grand Hyatt Hotel und das Days Inn in Amman, die 2005 60 Menschen das Leben kosteten und 115 weitere schwerverletzt zurückließen, schuldig gesprochen war. Es handelte sich damals um die erste Operation von Al Kaida im Irak gegen Ziele außerhalb des Zweistromlands. Angeblich hat man die drei genannten Hotels deshalb anvisiert, weil dort viele westliche Gäste verkehrten. Bei dem Anschlag auf das Radisson SAS Hotel jagte sich Al Rishawis Ehemann Ali Hussein Ali Al Shamari in einem gefüllten Tanzsaal in die Luft und riß 38 Mitglieder einer Hochzeitsgesellschaft mit in den Tod. Al Rishawi sollte ebenfalls bei der Aktion ihr Leben dem heiligen Krieg opfern, nur hatte ihr Sprengstoffgürtel nicht funktioniert. Den Auftrag zu den sogenannten "2005 Amman Bombings" soll der Gründer von Al Kaida im Irak, der 2006 von den US-Streitkräften getötete Abu Musab Al Sarkawi, selbst erteilt haben. Rishawis Bruder, Mubarak Atrous Al Rishawi, soll ein enger Vertrauter Al Sarkawis gewesen sein, bis auch er 2004 im Irakkrieg ums Leben gekommen war. Zwei weitere Brüder sollen bei Kämpfen mit den Amerikanern in der Islamisten-Hochburg Falludscha gefallen sein.

Die Hinrichtung von Rishawi könnte unter strenggläubigen Sunniten zu einem starken Mobilisierungseffekt zugunsten des IS führen. Rishawi und ihre Brüder entstammten einer sehr frommen Familie in der Stadt Al Khalidiya in der irakischen Provinz Anbar. Die Rishawis wiederum sollen einem der stärkten sunnitischen Stämme im Westen Iraks, der auch an Syrien und Jordanien grenzt, angehören. Und weil Al Kaida im Irak die Vorläuferorganisation des IS gewesen ist, war die Freilassung Rishawis für die militanten sunnitischen Islamisten im Irak und Syrien stets ein wichtiges Anliegen.

Vor seinem Tod hatte Sarkawi öffentlich geschworen, Rishawi aus jordanischer Gefangenschaft zu befreien. Als Abu Bakr Al Baghdadi im Juni vergangenen Jahres in der Großen Moschee von Al Nuri in Mossul vor seine Anhängern trat, den Islamischen Staat ausrief und sich selbst zu dessen Kalifen ernannte, hat er auch das Schicksal der gefangenen weiblichen IS-Mitglieder angesprochen und deren Befreiung versprochen. Bei den tagelangen Verhandlungen, die im Januar Unterhändler der Regierungen in Amman und Tokio mit IS-Verbindungspersonen über die Freilassung von Leutnant Al Kasasbeh und den japanischen Journalisten Kenji Goto führten, wollten die Islamisten im Gegenzug sowohl 200 Millionen Dollar als auch die Freilassung von Sajida Al Rishawi. Nach dem Ableben aller drei Gefangenen - am 31. Januar hat der IS das Video von der Enthauptung Gotos veröffentlicht - ist es mit diesem Handel endgültig vorbei.

Auch wenn aus Jordanien derzeit nur martialische Töne zu vernehmen sind - in der Nacht vom 4. auf den 5. Februar sollen Kampfjets des Königreichs bei Angriffen auf IS-Stellungen im Irak mindestens 50 Dschihadisten getötet haben -, kann die Situation schnell umschlagen. In Jordanien gibt eine kleine, aber lautstarke Minderheit, die mit dem IS und dessen Zielen sympathisiert. Welche Ängste der IS den arabischen Monarchien einflößt, zeigt die am 4. Februar bekanntgewordene Tatsache, daß die Luftwaffe der Vereinigten Arabischen Emirate, die neben Jordanien, Bahrain und Saudi-Arabien zur Anti-IS-Koalition gehört, keine Operationen mehr über dem Irak oder Syrien fliegt, seit Al Kasasbeh mit seiner F-16-Maschine am 24. Dezember in der Gegend von Raqqah nahe der irakisch-syrischen Grenze abgestürzt ist.

In der US-Hauptstadt Washington macht sich große Unzufriedenheit über den fehlenden Fortschritt im Kampf gegen den IS breit. Die Republikaner werfen Präsident Barack Obama vor, die Kampagne gegen die Islamisten im Nahen Osten nicht energisch genug voranzutreiben. Die beiden einflußreichen Senatoren John McCain und Lyndsey Graham verlangen bereits die Entsendung von 10.000 US-Bodentruppen in den Irak, um der Armee dort den Rücken zu stärken. Selbst US-Verteidigungsminister Chuck Hagel und Generalstabschef Martin Dempsey sind dieser Anregung nicht mehr prinzipiell abgeneigt. Das Problem ist jedoch, daß die irakische Armee, die hier unterstützt werden sollte, lediglich auf dem Papier existiert. Auf irakischer Seite sind es in den vergangenen Monaten hauptsächlich kurdische Peschmerga und schiitische Milizen, die die Hauptlast des Kampfes gegen den IS tragen.

Bei einer Anhörung vor dem Repräsentantenhaus in Washington am 3. Februar hat Generalleutnant William Mayville, der Operationsleiter im US-Generalstab, eine Versöhnung der 20 Millionen Sunniten des Iraks mit der schiitisch dominierten Zentralregierung in Bagdad als Voraussetzung für einen Sieg gegen den IS genannt. Doch auf eine solche Aussöhnung werden die Amerikaner vermutlich lange warten müssen. Dies zeigt die beunruhigende Meldung der irakischen Zeitung Asharq Al-Awsat. Diese hatte ebenfalls am 3. Februar berichtet, daß sechs irakische Abgeordnete aus der zentral gelegenen Provinz Diyala, darunter Parlamentspräsident Salim Al-Jabouri, Todesdrohungen erhalten hätten, sollten sie ein Massaker im Dorf Barwanah, bei dem in der vergangenen Woche 70 sunnitische Männer von schiitischen Milizionären ermordet wurden, untersuchen lassen.

5. Februar 2015


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang