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NAHOST/1353: Uneinigkeit in den USA über Irak- und Syrien-Politik (SB)


Uneinigkeit in den USA über Irak- und Syrien-Politik

Trotz allen Streits in Washington geht die Kriegseskalation weiter



Vor vier Monaten unternahm die US-Luftwaffe erste Angriffe auf Stellungen des Kalifats Islamischer Staat im Irak. Einen Monat später begannen US-Luftangriffe auf IS-Ziele in Syrien. Das Ergebnis der amerikanischen Militärintervention, an der mehrere arabische Staaten sowie NATO-Mitgliedsländer beteiligt sind, fällt bislang mager aus. Eine genaue Anzahl der getöteten IS-Kämpfer ist ebensowenig bekannt wie die der zivilen Opfer. Zurückgedrängt wurden die sunnitischen Extremisten jedenfalls nicht. Im Irak kontrollieren sie nach wie vor weite Teile der Mitte und des Nordens des Landes, während sie weiterhin Bagdad bedrohen.

In Syrien haben die ausländischen Luftangriffe zu einer drastischen Auslese unter den Rebelleneinheiten geführt. Die "gemäßigten" Gruppen, die demnächst von den USA für 1,6 Milliarden Dollar Ausbildung und Rüstungshilfe erhalten sollten, werden in den letzten Monaten von dem IS und der Al-Kaida-nahen Al-Nusra-Front aufgerieben. Ihre Kämpfer stehen vor der Wahl, getötet zu werden oder sich IS bzw. Al Nusra anzuschließen. Die meisten von ihnen entscheiden sich für die zweite Alternative. Jedenfalls stellt die Flurbereinigung bei den syrischen Aufständischen die Durchführbarkeit des erklärten Plans der USA, mit Hilfe "moderater" Kräfte in Syrien zuerst die Islamisten zu bezwingen und danach die Regierung von Bashar Al Assad in Damaskus zu stürzen, erheblich in Frage.

In Washington liefern sich Demokraten und Republikaner sowohl gegen- als auch untereinander eine heftige Auseinandersetzung um die richtige Vorgehensweise im Irak und in Syrien. Ende November wurde nach nur eineinhalb Jahren im Amt Verteidigungsminister Chuck Hagel überraschend entlassen. Aus der nichtssagenden offiziellen Begründung für den "Rücktritt" Hagels wird niemand schlau. Gerüchten zufolge stand der Vietnamkriegsveteran im Kabinett von Präsident Barack Obama mit seiner vorsichtigen Haltung der Kriegstreiberfraktion um die Nationale Sicherheitsberaterin Susan Rice im Weg und mußte deshalb gehen. Als Nachfolger wird der frühere Stellvertretende Verteidigungsminister Ashton Carter gehandelt, der zu den Kriegsfalken bei den Demokraten zählt. 2003 unterstützte er öffentlich den angloamerikanischen Einmarsch in den Irak. 2006 rief Carter mit einem Gastkommentar in der Washington Post die damalige republikanische Regierung George W. Bushs dazu auf, einen präemptiven Luftangriff auf Nordkorea wegen Pjöngjangs Entwicklung von ballistischen Raketen und Atomwaffen durchzuführen.

Die Republikaner werfen Obama vor, mit dem Abzug der letzten US-Kampftruppen 2011 aus dem Irak das IS-Problem erst geschaffen zu haben. Mit diesem fadenscheinigen Argument sind sie als Sieger aus den Zwischenwahlen im November hervorgegangen, haben die Mehrheit im Senat erobert und ihre bereits bestehende Mehrheit im Repräsentantenhaus noch weiter ausgebaut. In der Außen- und Sicherheitspolitik werden die Republikaner von Senator John McCain aus Arizona angeführt, der einer alten Marineoffiziersdynastie entstammt, als Kampfpilot und Kriegsgefangener den Vietnamkrieg erlebte und sich selbst für denjenigen im US-Kongreß mit dem größten militärischen Sachverstand hält. Seit Wochen läuft McCain gegen das Versprechen Obamas, keine amerikanischen Bodentruppen in den Irak zu entsenden, Sturm.

Mit Senator Rand Paul aus Kentucky, dem jungen Anführer des isolationistischen Flügels bei den Republikanern, steht McCain seit Tagen im Streit. In Zusammenhang mit den Beratungen über den Verteidigungsetat 2015 in Höhe von insgesamt 585 Milliarden Dollar fordert Paul, der als potentieller Präsidentschaftskandidat der Republikaner für 2016 gilt, der Kongreß sollte formell dem IS den Krieg erklären. Auf diese Weise will Paul der US-Militärintervention im Nahen Osten zeitliche und sonstige Grenzen setzen. Das Vorhaben Pauls hat McCain, der für den totalen Krieg gegen IS plädiert, wiederholt als "verrückt" abgetan. Man kann davon ausgehen, daß sich im Kongreß die Befürworter einer unbegrenzten Mission gegen Paul und die Tea-Party-Fraktion unter den Republikanern sowie ihre Verbündeten beim kleinen pazifistischen Flügel der Demokraten durchsetzen werden.

Immerhin haben die US-Imperialisten in der Irak-Politik einen wichtigen Etappensieg zu verzeichnen. Am 4. Dezember gab Stuart Jones, der amerikanische Botschafter in Bagdad, bekannt, er habe mit der neuen irakischen Regierung um Premierminister Haider Al Abadi eine Einigung hinsichtlich rechtlicher Immunität für US-Militärangehörige erzielt. Wegen der Weigerung des früheren irakischen Regierungschefs Nuri Al Maliki, eine solche Garantie im Rahmen eines Stationierungsabkommens zu geben, haben die USA Ende 2011 ihre letzten Kampftruppen aus dem Zweistromland abgezogen. Seitdem hielt das Pentagon im Irak lediglich rund 5000 Soldaten bereit, die offiziell dem Schutz der gigantischen Botschaft in Bagdad dienten. Mitte November hat Obama die Zahl der amerikanischen "Militärberater" im Irak, unter denen sich nicht wenige Angehörige von Spezialstreitkräften befinden sollen, von 1600 auf 3100 fast verdoppelt. Nach der Einigung in der Immunitätsfrage dürften bald die ersten "Kampftruppen" folgen. Dafür werden McCain und die Stahlhelmfraktion im Kongreß schon sorgen, zumal laut eigenen Einschätzungen des Pentagons die für das kommende Jahr geplante Rückeroberung Mossuls, der mit zwei Millionen Menschen zweitgrößten Stadt des Iraks, die sich seit Juni in den Händen des IS befindet, ohne reguläre US-Bodentruppen entweder der Armee oder der Marineinfanterie nicht zu bewerkstelligen sein wird.

6. Dezember 2014