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NAHOST/1352: Huthi-Vormarsch im Jemen beunruhigt Saudi-Arabien (SB)


Huthi-Vormarsch im Jemen beunruhigt Saudi-Arabien

Die arabische Welt gerät immer mehr aus den Fugen



Überschattet von den schrecklichen Ereignissen im Irak und in Syrien droht die Lage im Jemen jenen sunnitisch-schiitischen Konflikt anzuheizen, den die USA jedenfalls offiziell mit ihrer großen Staatenallianz gegen die salafistische "Terrormiliz" ISIS entschärfen wollten. Hinter dem Vormarsch der schiitischen Huthi-Rebellen, die Mitte September die jemenitische Hauptstadt Sanaa im Sturm eroberten und seitdem besetzt halten, vermutet Saudi-Arabien den Iran. Man kann davon ausgehen, daß die Saudis, denen eine wichtige Rolle im internationalen Anti-ISIS-Bündnis zukommt, auf Dauer keine Huthi-Herrschaft in Sanaa dulden werden. Im Gegenzug werden sie aller Wahrscheinlichkeit nach Al Kaida auf der arabischen Halbinsel (Al Qaeda in the Arabian Peninsula - AQAP), die das Pentagon seit Jahren mittels Drohnenangriffen bekämpft, massiv unterstützen.

Nach dem Ende des Kalten Krieges zwischen der NATO und dem Warschauer Pakt war es 1990 zur Vereinigung des islamisch-konservativ geprägten Nordjemens mit der Hauptstadt Sanaa und des sozialistischen Südjemens mit der Hauptstadt Aden gekommen. Ali Abdullah Saleh, der seit 1978 Präsident Nordjemens war, wurde Staatsoberhaupt des vereinten Staates. 1994 brach jedoch aufgrund politischer Differenzen ein kurzer, aber heftiger Bürgerkrieg aus, den der Nordjemen mit Hilfe Saudi-Arabiens und zahlreicher ehemaliger Mudschaheddin des Afghanistan-Krieges gewann. Frühere Regierungspolitiker Südjemens wurden entweder getötet oder setzten sich ins Ausland ab. 2011 mobilisierte sich im Rahmen des sogenannten Arabischen Frühlings auch im Jemen eine riesige Demokratiebewegung, mit der auch schiitische Huthis im Norden und Säkularisten im Süden ihre Hoffnung auf größere Mitsprache verbanden. Wegen der gesellschaftlichen Empörung über das blutige Vorgehen der staatlichen Sicherheitskräfte gegen oppositionelle Kundgebungen in Sanaa sah sich Saleh Ende 2011 zum Rücktritt gezwungen. 2012 trat sein früherer Stellvertreter, General Abed Rabbo Mansur Hadi, mit dem Versprechen, die verschiedenen ethnischen, politischen und religiösen Gruppen des Jemens versöhnen zu wollen, als neues Staatsoberhaupt an.

Hadi rief folglich die Konferenz des nationalen Dialogs ins Leben, die rund zwölf Monate tagte und Anfang 2014 mit dem Vorschlag der Gründung eines Bundesstaates zu Ende ging. Aus den bisherigen 22 Gouvernements sollten sechs Gliedstaaten mit Sanaa und eventuell auch Aden als Sonderbezirke hervorgehen. Der Ausgang des Nationalen Dialogs hat jedoch nicht zur Beruhigung der Lage geführt. Im Norden setzten sich die Kämpfe zwischen Regierungstruppen und Huthi-Rebellen fort, während die AQAP weiterhin im im Süden und Osten des Landes Anschläge und Überfälle auf Militäreinrichtungen und Angehörige des Sicherheitsapparats durchführte. Ende Juli haben die Huthi-Rebellen nach tagelangen schweren Kämpfen Amran, die Hauptstadt des gleichnamigen Gouvernements und Sitz des mächtigen Haschid-Stammes, zu dessen Mitgliedern Ex-Präsident Saleh zählt, eingenommen. Entgegen der Erwartungen zahlreicher Beobachter haben die Huthis, statt ihre Position in Amran erst einmal zu konsolidieren, zum Sturm auf Sanaa geblasen und dies nach zweitägigen Kämpfen am 21. September eingenommen. Dort fungieren die Huthi-Rebellen nun als Ordnungshüter, während Präsident Hadi eine neue Regierung der nationalen Einheit zusammenzimmern soll.

Der geringe Widerstand, auf den die Huthi-Rebellen bei der Einnahme der Hauptstadt gestoßen sind, deutet auf Uneinigkeiten bei den staatlichen Streitkräften hin. Man vermutet, daß zahlreiche Offiziere und Soldaten, die anstelle Hadis lieber Ex-General Ali Mohsen Al Ahmar als Präsident sähen, einfach auf eine Auseinandersetzung verzichtet haben. Al Ahmar war lange Zeit Salehs rechte Hand und zweitmächtigster Mann im Jemen. Zwischen beiden Männern kam es jedoch zum Zerwürfnis, als sich abzeichnete, daß Saleh statt Al Ahmar einen seiner beiden Söhne auf den Präsidentenstuhl wünschte. Nach dem Sturz Salehs hat Präsident Hadi Al Ahmar aus dem Militärdienst entlassen, weil er sich angeblich einer umfassenden Militärreform in den Weg gestellt hatte.

In Sanaa ist es in den letzten Tagen zu verschiedenen Kundgebungen gekommen. Während die Huthis ihrerseits mit Hisb-Allah-Fahnen und Bildern des obersten iranischen Geistlichen Großajatollah Ali Khamenei ihren militärischen Erfolg feierten, sind Tausende Nicht-Schiiten auf die Straße gegangen, um gegen den undemokratischen Mini-Putsch zu protestieren. Am 1. Oktober haben sich die Außenminister des Golfkooperationsrates, der aus den sunnitischen Monarchien Bahrain, Katar, Kuwait, Oman, Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten besteht, "besorgt" über die Lage im Jemen geäußert und sie als "Bedrohung" für die ganze Region Nahost bezeichnet. Man kann davon ausgehen, daß die Regierung in Riad längst Verbindung mit Al Ahmar aufgenommen hat und sich mit ihm über das weitere Vorgehen berät. Schließlich hat Präsident Salehs früherer Vertrauensmann in den achtziger Jahren islamische Fundamentalisten für die Teilnahme am Afghanistan-Krieg gegen die Sowjetunion rekrutiert und dieselben Leute 1994 erfolgreich im Bürgerkrieg gegen die Separatisten im Süden eingesetzt. Also ist demnächst im Jemen mit einem verstärkten Vorgehen der Al Kaida auf der arabischen Halbinsel gegen die Huthis zu rechnen, während im Hintergrund die Saudis und Al Ahmar die Fäden ziehen.

4. Oktober 2014