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NAHOST/1345: Die USA und der Iran im Kampf gegen IS vereint? (SB)


Die USA und der Iran im Kampf gegen IS vereint?

Annäherung zwischen Washington und Teheran gestaltet sich schwierig



Die internationalen Bemühungen, den Vormarsch des Kalifats Islamischer Staat zu stoppen, das die sunnitische Extremistengruppe ISIS Ende Juni in dem von ihr kontrollierten Ostsyrien und Nordwestirak ausrief, haben mit der Zerschlagung des Belagerungsrings um die Kleinstadt Amerli, 150 Kilometer nördlich von Bagdad, und der Rettung von 15.000 schiitischen Turkomanen dort am 31. August einen wichtigen Erfolg gezeitigt. An den blutigen Kämpfen gegen die IS-Dschihadisten nahmen die staatlichen Streitkräfte des Iraks, Peschmergas des irakischen Kurdistans und zahlreiche schiitische Milizionäre vom Asaib Ahl al-Haq teil. (Letztere paramilitärische Gruppierung ging 2006 aus der Mahdi-Armee Muktada Al Sadrs hervor; ihr wird eine enge Verbindung zu den iranischen Revolutionsgarden nachgesagt.) Unterstützung erhielten die IS-Gegner am Boden von der Luftwaffe der USA, des Iraks und - unbestätigten Berichten zufolge - des Irans. Als Auftakt einer Allianz zwischen dem Iran und den USA gegen die IS-Bedrohung wird die Schlacht von Amerli vermutlich nicht in die Geschichtsbücher eingehen. Nach 35 Jahren Entfremdung und Konfrontation sind das Mißtrauen zwischen Teheran und Washington zu groß und die Positionen der beiden Staaten in einer Reihe von gewichtigen Fragen zu unterschiedlich.

Nach dem Sturz Saddam Husseins 2003 und Muammar Gaddhafis 2011 sowie angesichts des erbitterten Bürgerkrieges in Syrien ist der Iran quasi der einzige Staat geblieben, der immer noch den Kampf der Palästinenser gegen Israel unterstützt - und zwar nicht nur rhetorisch wie Jordanien und Saudi-Arabien oder finanziell wie Katar, sondern auch mit Waffen. Wegen der Kontakte Teherans zur palästinensischen Widerstandsbewegung Hamas in Gaza und zur schiitischen Hisb Allah im Libanon gilt die Islamische Republik als größte Bedrohung des Staates Israel. Einen Tag nach dem Ende des jüngsten Gazakrieges hob das Außenministerium in Teheran am 27. August demonstrativ hervor, daß der "palästinensische Widerstand das zionistische Regime in die Knie gezwungen" habe. Bereits am 23. August meldete die iranische Armee den Abschuß einer vermutlich aus Aserbaidschan in den iranischen Luftraum eingedrungenen israelischen Drohne über der Urananreicherungsanlage Natans.

Seit drei Jahren stärken der Iran und die Hisb-Allah-Miliz zusammen mit Rußland dem "Regime" Baschar Al Assads in Syrien den Rücken. Ungeachtet des Aufkommens des IS ist bislang keine Abkehr der USA von ihrem erklärten Ziel eines "Regimewechsels" in Damaskus zu erkennen. Die Mutation des ISIS, der einst Al Kaida im Irak hieß, zur "größten Bedrohung der nationalen Sicherheit" der USA (O-Ton Verteidigungsminister Chuck Hagel) hat Washington bislang nur strategische Vorteile gebracht. Erstens befinden sich die syrischen Streitkräfte, die lange Zeit in der Offensive waren, wieder in Bedrängnis. Zweitens, treten die USA wieder verstärkt als regionale Ordnungsmacht auf und haben Premier Nuri Al Maliki, der Washington vor drei Jahren ein Stationierungsabkommen für seine Truppen im Irak verweigerte, zum Rücktritt zwingen können. Durch Rüstungshilfe für Bagdad und Erbil, der Hauptstadt des irakischen Kurdistans, sowie die Entsendung von Militärberatern und Spezialstreitkräften kann das Pentagon im Zweistromland wieder jene Rolle spielen, die Washington bereits 2003 beim angloamerikanischen Einmarsch vorschwebte.

Seit 2011 hat der Iran erhebliche Anstrengungen unternommen, um die staatlichen Streitkräfte Syriens bei der Aufstandsbekämpfung zu unterstützen. Hierzu gehören massive Rüstungslieferungen, die Ausbildung von schiitischen Freiwilligen im Irak sowie die Versorgung der Hisb-Allah-Miliz mit Waffen und Munition. Teheran müßte es sich sehr gut überlegen, welche Last es bei der Bekämpfung des IS in Syrien und im Irak zu tragen bereit ist. Ein noch größeres, nicht mehr verdecktes, sondern offenes Militärengagement in den beiden Nachbarstaaten könnte der Islamischen Republik ihr eigenes "Vietnam" bescheren. Ein solches Szenario wäre den israelisch-freundlichen Neokonservativen in Washington nur recht. Folglich wäre Teheran besser beraten, kein Zweckbündnis mit den USA einzugehen, sondern der Regierung Barack Obamas nahezulegen, daß sie die Türkei und Saudi-Arabien, die bekanntlich die wichtigsten Förderer der Aufständischen in Syrien sind, in die Pflicht nimmt, das von ihnen geschaffene Problem IS wieder aus der Welt zu schaffen. Bisher fallen die Hilferufe Washingtons an Ankara und Riad in der IS-Problematik recht verhalten aus, was den Verdacht nahelegt, daß den Amerikanern andere strategische Ziele im Nahen Osten wichtiger als die Bekämpfung der Männer Abu Bakr Al Baghdadis sind.

Währenddessen treten die Gespräche zwischen Teheran und der Gruppe P5+1 - die fünf ständigen UN-Vetomächte China, Frankreich, Großbritannien, Rußland und die USA sowie Deutschland - auf der Stelle. Im November hatte man sich auf eine Lockerung der internationalen Wirtschaftssanktionen gegen vorübergehende Einstellung der Urananreicherung im Iran geeinigt. Eine Lösung des Atomstreits bis zum geplanten 20. Juli hatte man trotz Annäherung in vielen Detailfragen nicht erreicht, weshalb eine Verlängerung der Verhandlungsfrist um weitere drei Monate vereinbart wurde. Am 23. August haben die Iraner in Isfahan eine neue Anlage in Betrieb genommen, in der ihre Bestände an Uranhexafluorid in das militärisch unbrauchbare Urandioxid verwandelt werden. Am 27. August hat Ali Akbar Salehi, der Direktor der iranischen Atomenergiebehörde, den Umbau des Schwerwasserreaktors in Arak bekanntgegeben, um die dort produzierte Menge an Plutonium drastisch zu reduzieren.

Statt Teherans Entgegenkommen zu würdigen, verhängte das Weiße Haus am 29. August neue Finanzsanktionen gegen den Iran. Begründet wurde der Schritt mit der Weigerung der iranischen Führung, Fragen bezüglich früherer Experimente zu beantworten sowie den IAEA-Inspektoren Zugang zu einigen Militäranlagen zu gewähren. Ihrerseits weisen die Iraner die Behauptung, sie hätten einst Atomwaffenforschung betrieben, als eine böswillige Unterstellung zurück, die auf fragwürdigen Dokumenten auf einem Laptop ungeklärter Herkunft basierten. Jedenfalls hat die Verhängung weiterer Sanktionen durch die Obama-Administration große Enttäuschung in Teheran ausgelöst. Auf einer Pressekonferenz am 30. August hat Präsident Hassan Rohani der Idee einer Zusammenarbeit seines Landes mit den USA zwecks Stabilisierung des Iraks eine Absage erteilt und offen Zweifel an der Vertrauenswürdigkeit der Amerikaner geäußert. Rohani, der in Schottland studiert hat und als pro-westlicher Reformer gilt, bezeichnete die neuen US-Sanktionen als "illegal" und äußerte den Wunsch, daß Washington doch irgendwann einmal einen Schritt unternehme, der Vertrauen schaffe, statt Mißtrauen zu erzeugen. Doch zu solch einer freundlichen Geste ist Obama wegen der im US-Kongreß herrschenden Mullah-Phobie politisch leider nicht in der Lage.

1. September 2014