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NAHOST/1340: USA nehmen die Herausforderung des IS-Kalifats an (SB)


USA nehmen die Herausforderung des IS-Kalifats an

Militaristen in Washington treiben Präsident Obama vor sich her



Der Vormarsch der sunnitischen Extremistentruppe ISIS, die nach der blitzartigen Eroberung der Millionenstadt Mossul im Juni das Kalifat Islamischer Staat in den von ihr kontrollierten Gebieten Ostsyrien und Nordwestirak ausgerufen hat, hat in der Region und im Westen Erschrecken ausgelöst. Bei der NATO werden hektische Maßnahmen ergriffen, damit nicht weitere Teile des Nahen Ostens in die Hände der IS-Armee, deren Zahl auf bis zu 50.000 Mann geschätzt wird und die nach der Einnahme mehrerer Militärstützpunkte bei Mossul gigantische Mengen an schweren Waffen und Munition erbeutet hat, fällt. Es werden alle möglichen Aktionen in Erwägung gezogen, damit die IS-Kämpfer nicht weiter in das irakische Kurdistan eindringen und vor allem nicht Bagdad in ihre Gewalt bringen. Auf diese Weise soll auch dafür gesorgt werden, daß sich das Kalifat nicht weiter auf Jordanien und Saudi-Arabien ausweitet.

Die Fernsehberichte über zahlreiche Massaker, die in der nordirakischen Provinz Nineveh bei Christen und Yesiden eine ungeheure Flüchtlingswelle ausgelöst haben, waren es, die Präsident Barack Obama am 7. August dazu veranlaßten, erste US-Luftangriffe gegen IS-Stellungen im Norden des Irak anzuordnen. Seitdem nimmt das US-Militärengagement im Zweistromland, zweieinhalb Jahre nach dem Abzug der letzten amerikanischen Kampftruppen dort, nicht mehr ab, sondern steigert sich mit jedem Tag. Experten gehen davon aus, daß die USA bei einem längerfristigen Einsatz gegen den IS mit nicht weniger als 15.000 im Irak stationierten Militärangehörigen - Ausbilder, Verbindungsoffiziere, Sanitäter, Logistiker und Spezialstreitkräfte - auskommen werden.

Auf einen solchen Dauereinsatz richten sich die USA inzwischen ein. Waren es republikanische Hardliner wie die beiden Senatoren Lindsey Graham und John McCain sowie der Kongreßabgeordnete Peter King, die noch im Juni Amerika durch den IS akut bedroht sahen und nach einer großangelegten Strafexpedition zur Ausradierung des aufmüpfigen Kalifats schrien, so hat sich die Obama-Regierung deren Forderung inzwischen angeschlossen. Auslöser des Sinneswandels war die Veröffentlichung der brutalen Ermordung des US-Journalisten James Foley durch Kopfabschneiden vor wenigen Tagen. Die Schockwellen der schrecklichen Bluttat haben der Kritik der Republikaner am demokratischen Widersacher Obama, er unternehme zu wenig gegen die Dschihadisten um den neuen Kalifen Abu Bakr Al Baghdadi, medial einen ungeheuren Auftrieb verschafft. Etwas notdürftig versucht die Obama-Regierung die Führung in der Nahost-Politik wieder zu übernehmen - was ihr wegen der parallelen Krisen in Gaza und der Ukraine und der Tatsache, daß sich der Präsident selbst gerade nicht in der Hauptstadt aufhält, sondern mit seiner Familie Urlaub auf der Insel Martha's Vineyard vor der Küste von Massachusetts macht, nicht gerade leicht fällt.

In einer der frühesten Reaktionen auf das Internetvideo hat am 20. August Ex-CIA-Vizechef Michael Morell, der heute als Sicherheitskorrespondent für die Nachrichtenredaktion des Fernsehsenders CBS arbeitet, die Ermordung Foleys, die als Warnung und Drohung an die USA gedacht war, als den ersten Anschlag des IS gegen Amerika und damit quasi als Kriegserklärung bezeichnet. Auf einer Pressekonferenz am Ferienort am selben Tag bezeichnete Obama den IS wörtlich als ein "Krebgeschwur", das beseitigt werden müsse. Um die Regierung vor dem Vorwurf der Untätigkeit bzw. Nachlässigkeit in Schutz zu nehmen, gab gleichzeitig das Weiße Haus bekannt, daß die US-Spezialstreitkräfte vor wenigen Monaten in Syrien vergeblich eine Geheimoperation zur Rettung Foleys, der dort bereits 2012 entführt worden war, durchgeführt hatten. Demnach scheiterte die Mission deshalb, weil der Journalist sich nicht mehr an dem Ort befand, wo er angeblich monatelang festgehalten wurde, als die amerikanischen Elitesoldaten dort eintrafen.

Auf einer gemeinsamen Pressekonferenz am 21. August in Washington haben US-Verteidigungsminister Chuck Hagel und Generalstabschef Martin Dempsey demonstrativ den Fehdehandschuh des IS aufgegriffen. Hagel erklärte das gut finanzierte und schwer ausgerüstete Kalifat zur "akuten Bedrohung" aller amerikanischen Interessen weltweit. Dempsey kündigte eine Militärkampagne gegen den IS an, die sich nicht auf den Irak beschränken, sondern länderübergreifend ausfallen dürfte. "Wir haben es hier mit einer Organisation zu tun, die sich einer apokalytischen Endzeit-Strategievision verpflichtet fühlt und die deshalb besiegt werden muß. Kann sie besiegt werden, ohne sich mit dem Teil der Organisation, der in Syrien ansässig ist, zu befassen? Die Antwort lautet nein", so der Vorsitzende der Vereinigten Stabschefs.

Ob das nun bedeutet, daß sich Washington von seiner Politik des Regimewechsels in Damaskus abwendet, um gemeinsam mit den Streitkräften Baschar Al Assads den Kampf gegen den IS zu führen, ist unklar. Zwar wird über eine strategische Allianz zwischen den USA und dem Iran, um den Irak vor dem Kalifat zu retten, spekuliert, doch zu den erbittertsten Gegnern des IS gehört auch die libanesische Hisb-Allah-Miliz, die in den Augen der in Washington tonangebenden Neokonservativen lange Zeit als "A-Team" des globalen Terrorismus - O-Ton Richard Armitage - galt und möglicherweise immer noch gilt. Vor diesem Hintergrund besteht nach wie vor der Verdacht, daß der Einsatz der USA gegen den IS nicht wirklich ernst gemeint ist, sondern Washington lediglich als Vorwand dient, seine ordnungspolitischen Interessen im Nahen Osten noch aggressiver als bisher zu verfolgen.

23. August 2014