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NAHOST/1261: Syrien tritt Chemiewaffenkonvention bei (SB)


Syrien tritt Chemiewaffenkonvention bei

USA und Rußland streben Friedenskonferenz in Genf an



Nach jahrzehnterlanger Weigerung ist Syrien am 12. September der internationalen Chemiewaffenkonvention (CWK) formell beigetreten. Nur wenige Tage zuvor hatte Syrien einen angedrohten Raketenangriff der USA durch die Erklärung eines Verzichts auf seine Chemiewaffenbestände abwenden können. Zu dem dramatischen Schritt hatte Rußland, Syriens wichtigster Verbündeter und Rüstungslieferant, dem arabischen Land geraten. So hat Moskau verhindern können, daß aus dem Bürgerkrieg in Syrien ein Regionalinferno wurde. Die Unterbrechung der Eskalationsspirale hat erneut Hoffnungen auf eine Beilegung des Syrienkrieges im Rahmen einer Friedenskonferenz in Genf aufkommen lassen. Darüber verhandeln derzeit in der Schweizer Stadt die Außenminister der USA und Rußlands, John Kerry und Sergej Lawrow, zusammen mit dem Syrien-Sonderbeauftragten der Vereinten Nationen und der Arabischen Liga, dem ehemaligen algerischen Außenminister Lakhdar Brahimi.

Über die jüngste Entwicklung kann die US-Regierung froh sein. Nachdem sich Präsident Barack Obama Anfang September überraschend entschieden hatte, vom Kongreß eine Ermächtigung für die Militärintervention einzuholen, zeichnete sich zuletzt ab, daß es lediglich im Senat eine Mehrheit für das umstrittene Vorhaben des Weißen Hauses geben könnte. Im Repräsentantenhaus wäre dem Präsidenten mit Sicherheit eine schwere politische Niederlage beschert worden. Der Grund für die ablehnende Haltung der meisten Kongreßabgeordneten ist die Stimmung im Volk. Allen Umfragen zufolge lehnt die große Mehrheit der US-Bürger ein militärisches Eingreifen ihres Landes in das Blutvergießen in Syrien ab. Die Amerikaner sind nach teueren und wenig erfolgreichen Einsätzen in Afghanistan und dem Irak nicht nur kriegsmüde, sondern viele von ihnen haben trotz der Anti-Assad-Propaganda der großen Medien mitbekommen, daß zum guten Teil ausländische sunnitische Dschihadisten à la Al Kaida die Reihen der Rebellen füllen. Darüber hinaus hat die Obama-Regierung bis heute den Verdacht nicht ausräumen können, daß es vielleicht doch nicht die Assad-Truppen, sondern die Aufständischen selbst waren, die am 21. August in Ghouta, einem Stadtteil von Damaskus, mit Giftgas ein Massaker unter der Zivilbevölkerung verübt haben.

Die Befürworter einer US-Militärintervention, welche die in die Defensive geratenen Rebellen vor der Niederlage bewahren sollte, sind mit dem Ausbleiben einer amerikanischen Raketenangriffswelle auf die wichtigsten Stützpunkte und Waffenlager der syrischen Regierungstruppen extrem unzufrieden. Der notorische Kriegstreiber John McCain, republikanischer Senator aus Arizona, wirft Obama krasses Versagen vor. McCains demokratischer Kollege, Senator Carl Levin aus Michigan, der eher zu den zurückhaltenden Kriegern gezählt wird, hat sich in aller Öffentlichkeit gegen die Idee, der Präsident sollte in Fragen von Krieg und Frieden Rücksicht auf die Stimmung der einfachen Bürger nehmen, verwahrt und sich für eine Verabschiedung einer entsprechenden Syrien-Resolution durch beide Häuser des Kongresses ausgesprochen. Woher Levin dafür die Stimmen im Repräsentantenhaus zu bekommen gedenkt, weiß niemand. Selbst der enorme Druck der übermächtigen Lobby-Organisation American Israel Public Affairs Committee (AIPAC) hat im Unterhaus des Kongresses keine Mehrheit für einen Militärschlag zustandebringen können.

Die Kriegsbefürworter stellen das Einlenken der Syrer in der Chemiewaffenfrage und die Vermittlung Rußlands als Finte dar, mit der Moskau und Damaskus Washington ausmanövriert und den Sonderstatus der USA als Supermacht erfolgreich unterminiert haben. Die Assad-Gegner hatten gehofft, daß auf einen Raketenangriff der USA in Syrien eventuell Vergeltungsschläge der Hisb Allah auf Israel erfolgt wären, die dann die Gelegenheit für eine Großabrechnung mit dem "Mullah-Regime" in Teheran geboten hätten. Durch Syriens Entscheidung, sich von seinen Chemiewaffen zu trennen, ist der große Traum der Neokonservativen in den USA und ihre Likud-Freunde in Israel geplatzt.

Für diese Gruppe kommt es noch schlimmer. Derzeit bahnt sich ein Rapprochement zwischen der Regierung Obama und derjenigen des neuen gemäßigten iranischen Präsidenten Hassan Rohani an. Rußland will Vertreter des Irans bei der geplanten Syrien-Friedenskonferenz in Genf dabei haben. Es sieht derzeit alles danach aus, als würden Obama und Kerry hierfür ihre Zustimmung geben. Doch bevor es hierzu kommt, müssen schwierige Fragen der Erfassung und Beseitigung aller Chemiewaffen Syriens geklärt werden. Um dies zu torpedieren, setzen neocon-freundliche Medien bereits Gerüchte in die Welt, wonach die syrische Armee Teile ihrer Chemiewaffenbestände mit Hilfe der iranischen Revolutionsgarden über die Grenze in den von Schiiten dominierten Irak schafften. Mit der wenig plausiblen "Enthüllung" wartete am 12. September die saudische Tageszeitung Al-Watan unter Berufung auf syrische Rebellenkreise auf. Bekanntlich tut sich Saudi-Arabien seit über zwei Jahren finanziell und rüstungstechnisch als Hauptförderer der sunnitischen Dschihadisten in Syrien, welche die Regierung in Damaskus "Terroristen" nennt, hervor.

14. September 2013