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NAHOST/1253: Chemiewaffenbesitz diskreditiert Syriens Rebellen (SB)


Chemiewaffenbesitz diskreditiert Syriens Rebellen

Einseitige Beschuldigungen lassen Heuchelei des Westens erkennen



Auf der Suche nach einem Vorwand zur offenen militärischen Intervention in den Bürgerkrieg in Syrien und um die Regierung in Damaskus unter Druck zu setzen, spielen die USA und ihre Verbündeten Frankreich, Großbritannien, Israel und die Türkei das Thema Chemiewaffen hoch. Und weil seit dem Überfall der Truppen Saddam Husseins auf das Dorf Halabja während des Iran-Irak-Krieges 1988 der Einsatz von chemischen Kampfstoffen "gegen die eigene Bevölkerung" medial als Inbegriff mörderischer Staatsgewalt gilt, werden Washington, Paris, London und Ankara nicht müde, dem von ihnen ohnehin auf indirektem Wege bekämpften "Regime" Baschar Al Assads derlei Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu unterstellen. Deshalb waren die Regierungen Barack Obamas, Francois Hollandes, David Camerons und Recep Tayyip Erdogans so entsetzt, als die renommierte UN-Ermittlerin Carla del Ponte Anfang April vorab erklärte, laut den bis dahin durchgeführten Befragungen und Untersuchungen spreche alles dafür, daß die bisherigen Fälle der Verwendung chemischer Kampfstoffe in Syrien nicht auf die Assad-treuen Truppen, sondern auf die von der NATO und den arabischen Golfstaaten unterstützten Rebellen zurückgehe.

Das war nicht das Ergebnis, das sich die Vetomächte Frankreich und Großbritannien im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen erhofften, als sie im März die Entsendung von UN-Inspekteuren in die Region erwirkten. Inzwischen hat die vom brasilianischen Diplomaten Paulo Pinheiro geleitete UN-Untersuchungskommission das Ergebnis ihrer Ermittlungen vorgelegt. In dem am 4. Juni veröffentlichten Bericht heißt es, es gäbe "ausreichenden Grund" zur Annahme, daß bei Angriffen der syrischen Streitkräfte auf Rebellenstellungen am 19. März in Aleppo und Damaskus, am 13. April in Aleppo und am 29. April in Sarakeb in der Provinz Idlib "toxische Chemikalien in begrenztem Ausmaß" eingesetzt worden seien. Auch wenn es zudem im Bericht heißt, daß es "anhand des vorliegenden Beweismaterials nicht möglich gewesen" sei "die genauen chemischen Substanzen, die Abschußsysteme oder den Täter festzustellen", lassen Briten und Franzosen in ihrer einseitigen Beschuldigung der Regierung in Damaskus nicht nach - eine Haltung, die sich in der tendenziösen Berichterstattung der westlichen Presse niederschlägt.

Die Medien Europas und Nordamerikas haben sich ähnlich wie der französische Außenminister Laurent Fabius auf einen am 27. Mai veröffentlichten Exklusivbericht von Le Monde gestürzt, in dem die verantwortlichen Redakteure allein auf der Basis von Aussagen mehrerer Rebellen den Einsatz von Chemiewaffen seitens der regulären syrischen Armee nachgewiesen haben wollten. Bezeichnend dagegen ist die mangelnde Resonanz im Medienbetrieb der NATO-Staaten auf zwei erstaunliche Vorfälle, die sich in den letzten Tagen in der Türkei und im Irak ereignet haben und bei denen es sich um Umtriebe der syrischen Aufständischen auf dem Feld der chemischen Kampfstoffe handelt.

Am 29. Mai hat die Polizei bei Razzien in Adana und zwei weiteren grenznahen türkischen Städten zwölf Mitglieder der Al-Kaida-nahen, syrischen Al-Nusra-Front festgenommen sowie größere Mengen schwerer Waffen und - last but not least - zwei Kilogramm Sarin sichergestellt. Dies berichtete am 30. Mai die seriöse, englisch-sprachige türkische Zeitung Today's Zaman, die dem Imperium des enorm einflußreichen konservativ-islamischen Predigers Fethulla Gülen zugerechnet wird. Es besteht der Verdacht, daß die Al-Nusra-Front das hochgiftige Sarin für einen spektakulären Falsche-Flaggen-Anschlag entweder in der Türkei oder in Syrien geplant hatte.

Bereits am 11. Mai hat die Explosion zweier Autobomben in der grenznahen türkischen Stadt Reyhanli 50 Menschen getötet und Hunderte verletzt. Die türkische Regierung um Premierminister Erdogan hat sofort Syrien für das Massaker an unschuldigen Zivilisten verantwortlich gemacht, gleichwohl eine Nachrichtensperre über die Stadt und ihre Umgebung verhängt. Inzwischen weiß man, warum Ankara zu der umstrittenen Maßnahme gegriffen hat. Ende Mai hat die linke türkische Hackergruppe Redhack geheime Polizeidokumente veröffentlicht, aus denen hervorging, daß der Doppelanschlag das Werk syrischer Rebellen war und daß die türkische Polizei bereits im Vorfeld die dabei verwendeten Autos unter Beobachtung gehalten hatte. Da stellt sich natürlich die Frage, warum der Doppelangriff nicht verhindert wurde? Aus Gründen des geopolitischen Opportunismus vielleicht? Es fällt jedenfalls auf, daß lediglich der russische Außenminister Sergej Lawrow Ermittlungen gefordert hat, um zu klären, wie die nicht-staatlichen Assad-Gegner in den Besitz von hochgiftigem Sarin gelangen konnten, während seine westlichen Amtskollegen hierzu schwiegen.

Die Antwort auf die Frage, woher das Sarin kam, haben am 1. Juni vielleicht die Behörden im Irak geliefert. An diesem Tag haben die irakischen Sicherheitskräfte nach mehrmonatiger Beobachtung fünf Männer festgenommen, die in Bagdad drei illegale Werkstätten für die Herstellung von Sarin- und Senfgas eingerichtet hatten. Nach Angaben von Mohammed al-Askari, dem Sprecher des irakischen Verteidigungsministeriums, hat man bei den Razzien auch ferngesteuerte Kleinflugzeuge sichergestellt, mit denen die "Terroristen" das Giftgas über das jeweilige Zielgebiet zu versprühen beabsichtigten. Bei den Festgenommenen handelte es sich laut Al-Askari allesamt um Angehörige von Al Kaida im Zweistromland, die mit der Al-Nusra-Front personell und organisatorisch aufs engste verflochten ist. Zwar hat die BBC auf ihrer Website über die Aufdeckung der Giftgasküchen in Bagdad berichtet, doch die weltweiten Schlagzeilen, die der Vorgang verdient hätte, sind ausgeblieben. Offenbar sind im Syrien-Konflikt Chemiewaffen für Politik und Medien des Westens nur dann von Interesse, wenn sich daraus Anti-Assad-Propaganda machen läßt.

4. Juni 2013