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NAHOST/1248: Syriens Bürgerkrieg erreicht erstmals Beirut (SB)


Syriens Bürgerkrieg erreicht erstmals Beirut

Hisb-Allah-Hochburg Südbeirut von zwei Raketen getroffen



Die Ausweitung des Bürgerkrieges in Syrien auf die Nachbarländer hat in den frühen Morgenstunden des 26. Mai eine neue gefährliche Stufe erreicht, als zwei Raketen im südlichen Beirut, Hochburg der schiitischen Hisb Allah, einschlugen. Die eine Rakete landete auf dem Gelände eines Autohändlers, die andere traf den Balkon einer unbewohnten Wohnung in einem mehrstöckigen Familienhaus. Beide Geschosse richteten lediglich Sachschaden an. Abgefeuert wurden die Raketen nach Angaben der libanesischen Behörden von einem Waldstück am Berg Libanon, der nordöstlich der Hauptstadt liegt und von christlichen und sunnitischen Wohngegenden umgeben ist. Bisher hat sich niemand zu dem Anschlag bekannt. Die Täter werden jedoch bei den syrischen Rebellen oder in deren sunnitischen Unterstützerkreisen im Libanon vermutet.

Bereits seit einer Woche liefern sich in Tripoli, der zweitgrößten Stadt des Libanons, alewitische und schiitische Milizionäre mit sunnitischen Salafisten Feuergefechte. Mehr als 30 Menschen sind dem Gewaltausbruch dort zum Opfer gefallen, rund 200 wurden verletzt. 80 Kilometer Luftlinie entfernt in östlicher Richtung dringen syrische Truppen, unterstützt von Kämpfern der Hisb-Allah-Miliz, in die grenznahe Stadt Al Kusair vor und stehen nach eigenen Angaben kurz davor, die Rebellen dort endgültig zu besiegen. Die schweren Kämpfe um Al Kusair sind von großer strategischer Bedeutung. Gelingt es der syrischen Armee, die Grenzstadt zurückzuerobern, kann sie das Einschleusen von Waffen und ausländischen Dschihadisten über die Schmuggelroute von der Hafenstadt Tripoli über den Norden Libanons nach Syrien hinein unterbinden. Gleichzeitig kann sie die Straße offenhalten, die Damaskus über die östlich von Al Kusair liegende Großstadt Homs mit der syrischen Mittelmeerprovinz Latakia, Hochburg der Minderheit der Alewiten, zu der Präsident Baschar Al Assad und seine Familie gezählt werden, verbindet. Damit bleibt dem Assad-Klan die Option eines Rückzugs nach Latakia - wo nicht zufällig die russische Flotte in Tartus ihren einzigen Überseehafen unterhält - und der Gründung eines alewitischen Ministaats offen.

Dem Beschuß des südlichen Beiruts gingen Drohungen syrischer Rebellenkommandeure wie auch am Tag davor eine Grundsatzrede von Hasan Nasrallah voraus. Hatte der Generalsekretär der Hisb Allah bisher die Linie vertreten, seine Milizionäre würden lediglich die schiitischen Dörfer an der Grenze zum Libanon und die für Schiiten besonders wichtige Sayyidah-Zainab-Moschee in Damaskus vor salafistischen Übergriffen schützen, so hat er bei der Fernsehansprache am 25. Mai deren Auftrag weit umfassender definiert. Nasrallah hat die Hisb-Allah-Miliz zu nichts geringerem als der Aufrechterhaltung des syrischen Staats in seiner jetzigen Form mit einer säkularen Zentralregierung in Damaskus und mit der Fortsetzung der Militärallianz mit dem Iran verpflichtet.

In der Rede anläßlich des 13. Jahrestages des von der Hisb Allah erzwungenen Abzugs der israelischen Armee aus dem Südlibanon erklärte Nasrallah Syrien zum "Rückgrat" des Widerstandes gegen imperialistische Aggressionen im Nahen Osten. Die Hisb Allah werde nicht erlauben, daß dieses "Rückgrat gebrochen" werde oder "still sitzen, während Syrien in die Hände der Amerikaner, der Israelis" und der amerikanischen Verbündeten in der Region - gemeint waren die Türkei, Katar und Saudi-Arabien - "fällt", so Nasrallah. Er warf den USA und Israel vor, Syrien neben den Irak, Pakistan und Somalia mittels sunnitischer Fanatiker - "Takfiris" - zu destabilisieren. "Wenn Syrien fällt, werden auch die Westbank, Gaza und Jerusalem fallen. Wir werden in eine sehr dunkle Phase eintreten", sagte er, die Salafisten würden alle, die entweder keine Moslems seien oder ihre strenge Auslegung des Korans nicht befolgen, vertreiben oder umbringen, während Israel und die USA allen Ländern der Region ihren Willen aufzwingen. Damit es dazu nicht kommt, kündigte Nasrallah eine "neue Phase" des Widerstands an, die letztendlich zum Sieg führen würde.

Während Vertreter der Freien Syrischen Armee bestritten, die beiden Raketen auf das schiitische Südbeirut abgeschossen zu haben, reagierten sunnitische Politiker des Libanons, allen voran Ex-Premierminister Saad Hariri, mit Hohn auf die Rede Nasrallahs. Hariri, den man seit Jahren im Libanon nur selten gesehen hat und der seinen Jet-Set-Lebensstil mit abwechselnden Aufenthalten in Paris und Riad von Saudi-Arabien pflegt, warf Nasrallah vor, den Libanon in den syrischen Bürgerkrieg hineinzuziehen. Der Vorwurf Hariris ist mehr als durchsichtig, sind es doch dessen eigene Anhänger im Norden Libanons, die seit mehr als zwei Jahren den Nachschub an frischen Rekruten und neuen Waffen für die Rebellen in Syrien gewährleisten. Der Anführer der sunnitisch-libanesischen Future Movement warf sich zudem in die Pose des Militärexperten mit der Prognose: "Der Widerstand (Hisb Allah - Anm. d. SB-Red.) hat seinen politischen und militärischen Selbstmord in Kusair angekündigt." Seit einigen Tagen versuchen die Rebellen in Syrien, ihre Bodenverluste bei Kusair damit zu erklären, sie seien Teil eines genialen Schachzugs. Man hätte die syrische Armee und die Hisb Allah in die Stadt gelockt, um ihnen die entscheidende Niederlage zu bereiten. Die nächsten Tage werden zeigen, welche von beiden Seiten mit ihrer Einschätzung der Lage bei der Schlacht um Kusair richtig liegt.

27. Mai 2013