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NAHOST/1179: Obamas Wiederwahl nach Botschaftermord in Gefahr (SB)


Obamas Wiederwahl nach Botschaftermord in Gefahr

Mysteriöse Mohammed-Persiflage schürt den "Kampf der Kulturen"



"Wir kamen. Wir sahen. Er starb" - mit diesem flapsigen Spruch und einem selbstzufriedenen Lächeln im Gesicht hat letztes Jahr bekanntlich US-Außenministerin Hillary Clinton den bestialischen Foltermord Muammar Gaddhafis durch eine Gruppe von der NATO unterstützter libyscher Rebellen kommentiert. Ganz anders war ihre Gemütsverfassung am 12. September, als sie zusammen mit Präsident Barack Obama im Rosengarten des Weißen Hauses vor den Washingtoner Pressekorps trat, um eine Stellungnahme zur Ermordung des US-Botschafters Christopher Stevens und drei seiner Mitarbeiter in Libyen abzugeben. Versteinerte Mienen trugen Obama und seine Chefdiplomatin. Außenamtschefin Clinton erklärte, das Schicksal von Stevens und seinen Kollegen hätte ihr "das Herz gebrochen". Obama verurteilte den "verabscheuungswürdigen" Überfall auf das US-Konsulat in Benghazi, sprach den Angehörigen der Opfer sein Beileid aus und versprach, die Täter, koste es, was es wolle, zur Strecke zu bringen. Um dem Versprechen demonstrativ Nachdruck zu verleihen, kündigte er die Entsendung zweier US-Lenkwaffenzerstörer zur libyschen Küste, einer Einheit von Marineinfanteristen zur Verstärkung der Sicherheitsmaßnahmen an der Botschaft in Tripolis und einer FBI-Sonderermittlungsgruppe, welche die Täter identifizieren und ausfindig machen sollen, an.

Für Obama ist der sechste gewaltsame Tod eines US-Botschafters im Dienst - der erste seit 1979 - ein großes Problem, das ihm eine zweite Amtszeit als Präsident kosten könnte. Bis zum Urnengang am 6. November sind es nur noch sieben Wochen. Vor dem republikanischen Herausforderer Mitt Romney, einem Investmentmanager und ehemaligen Gouverneur von Massachusetts, hat der Demokrat in allen Umfragen nur einen hauchdünnen Vorsprung. Die Sympathiewerte des charismatischen Obama übertreffen die des hölzern wirkenden Romney bei weitem, doch die schwächelnde US-Wirtschaft hat bei nicht wenigen amerikanischen Wählern die Sehnsucht nach einem Wechsel an der Staatsspitze aufkeimen lassen. In der Nahostpolitik wirft Romney Obama prinzipiell vor, zuviel Hoffnung in den "arabischen Frühling" zu setzen, Israel zu vernachlässigen und sich einer zu nachgiebigen Haltung gegenüber den "Terrorregimen" Bashar Al Assads in Syrien und Ajatollah Ali Khameneis im Iran zu befleißigen. Durch den Tod von Stevens sieht sich Team Romney - das mit lauter Kriegsfalken aus der früheren Regierungsmannschaft George W. Bushs gespickt ist -, in seiner Kritik nun bestätigt und dürfte sie in den kommenden Tagen und Wochen über alle Kanäle an den Mann zu bringen versuchen.

Inwieweit die Ermordung von Stevens mit den Tumulten gegen einen verunglimpfenden Film über den Islamgründer Mohammed zusammenhängt, der derzeit Proteste in der ganzen muslimischen Welt auslöst, ist unklar. Fest steht, daß sich die erste große Demonstration gegen den Mohammed-Film, die in Kairo stattfand, und der Angriff auf das US-Konsulat in Benghazi beide am 11. September, dem 11. Jahrestag der Flugzeuganschläge von New York und Arlington, zutrugen. In der ägyptischen Hauptstadt gelangten gewaltbereite Salafisten, die "Allahu Akbar" ("Gott ist der Größte") skandierten, auf das Gelände der US-Botschaft, rissen die amerikanische Staatsflagge vom Mast herunter und setzten sie in Brand. Anschließend zogen sie die schwarze Flagge der Al Kaida auf. An der Außenmauer der Botschaft wurde mit Sprühfarbe Osama Bin Laden, der nach der offiziellen Version Auftraggeber des 9/11-Anschlags gewesen und letztes Jahr auf Befehl Obamas von US-Spezialstreitkräften im pakistanischen Abbottabad liquidiert worden sein soll, gepriesen.

Anlaß der Proteste war der Bericht eines ägyptischen Fernsehsenders über einen 2011 in den USA gedrehten Mohammed-Film, von dem seit Juli eine fast 14minütige Kurzversion im Internet bei Youtube zu sehen ist. In der Billigproduktion wird Mohammed, den die Moslems auf der ganzen Welt als Prophet Gottes verehren, als sexbesessener Kinderschänder, Mörder und Dieb dargestellt, dessen Anhänger aus geistig minderbemittelten Einfaltspinseln bestehen. Über den Ursprung des Films herrscht bis zur Stünde völlige Unklarheit. Am 11. September hat sich der vermeintliche Regisseur Sam Bacile, unter dessen Namen der Clip bei Youtube reingestellt worden war, telefonisch bei der Nachrichtenagentur Associated Press gemeldet. Der Gesprächspartner von AP, der mit nahöstlichem Akzent gesprochen haben soll, behauptete, ein in Kalifornien ansässiger israelisch-amerikanischer Immobilieninhaber zu sein, der den Film mit fünf Millionen Dollar Spenden von jüdischen Geldgebern produziert habe. "Bacile" fuhr fort, der Film sei von vornherein dazu gedacht, die Moslems zu provozieren, denn der Islam sei "ein Krebsgeschwür" und die Menschheit sollte dies endlich erkennen. Angeblich aus Angst vor möglichen Racheakten erklärte "Bacile", er wolle bis auf weiteres untertauchen.

Inzwischen kommen erhebliche Zweifel an dieser Version auf. Im Handelsregister Kaliforniens ist kein Immobilienhändler namens Sam Bacile eingetragen. Und auch die israelischen Behörden bestreiten, jemals einen Ausweis für eine Person mit diesem Namen ausgestellt zu haben. Journalisten in den USA haben herausgefunden, daß letztes Jahr in einem kleinen Hollywood-Kino für lediglich einen oder mehrere Tage ein Streifen mit dem Namen "Innocence of Muslims" gezeigt wurde. Die Ausschnitte im Internet scheinen von diesem Werk zu stammen. Inzwischen haben sich mehrere Schauspieler, die im Film mitmachen, zu Wort gemeldet. Sie behaupten, diesen Streifen, "Desert Warriors", dessen Handlung ursprünglich vor 2000 Jahren in Ägypten angesiedelt gewesen sein soll, noch nie gesehen zu haben, und daß sämtliche Mohammed- und Islam-Bezüge in den Internet-Ausschnitten nachträglich bei einer Nachvertonung hinzugetan worden sein müssen.

AP hat herausgefunden, daß der Anruf "Baciles" von einem Mobiltelefon getätigt wurde, das auf den Namen Nakoula Basseley Nakoula registriert ist. Am 12. September nahm sie Kontakt mit dieser Person auf. Der 56jährige Nakoula, der koptischer Christ ägyptischer Herkunft und ein verurteilter Betrüger ist, bestritt, "Bacile" zu sein, gab jedoch zu, eine Rolle bei der Entstehung des Films gespielt zu haben. Am selben Tag sprach die Zeitschrift Atlantic mit einem christlichen Fundamentalisten namens Steve Klein. Dessen Angaben zufolge ist "Sam Bacile" nur ein Pseudonym. Klein erklärte, er und eine Gruppe amerikanischer Christen, die meisten von ihnen Evangelisten, aber auch einige Kopten, die ursprünglich aus dem Nahen Osten stammen, hätten den Film produziert. Auch Klein, der als Marineinfanterist im Vietnamkrieg kämpfte und heute Mitglied der Gruppe Courageous Christians United ist, gab zu, von Anfang an eine Kontroverse mit dem Film auslösen zu wollen. In Ägypten wurde man auf die Mohammed-Verunglimpfung erst aufmerksam, als Morris Sadek, ein koptischer "Menschenrechtsaktivist", der in den USA lebt und Beziehungen zum berüchtigten Islamhasser Pastor Terry Jones in Florida pflegt, Anfang September auf der eigenen Website einen Link zur Kurzversion bei Youtube setzte und dafür die Werbetrommel rührte.

Ob es nur ein Zufall war, daß am selben Tag - ausgerechnet dem Jahrestag der 9/11-Flugzeuganschläge - die Proteste in Kairo gegen den Mohammed-Film überkochten und der Überfall auf das US-Konsulat in der salafisten Hochburg Benghazi stattfanden? Man weiß es nicht. Nach einem entsprechenden Briefing durch die CIA erklärte der Vorsitzende der Geheimdienstausschusses des Repräsentantenhauses, Mike Rogers, am 12. September, daß der Angriff auf das US-Konsulat in der ostlibyschen Küstenstadt, der ebenfalls als Demonstration gegen den Mohammed-Film angefangen hatte, eine "geplante, koordinierte und gut durchgeführte Militäroperation" gewesen ist. Schließlich haben sich die mehrere Dutzend Angreifer, die unter anderem mit Panzerfäusten und Schnellfeuergewehren bewaffnet waren und die Botschaft niedergebrannten, ein mehrstündiges Feuergefecht mit dem US-Wachpersonal und libyschen Sicherheitskräften geliefert.

Westliche "Terrorexperten" meinen in dem blutigen Vorfall von Benghazi eine Vergeltungsaktion für die Tötung von Abu Yahya Al Libi, einem führenden Mitglied des Al-Kaida-"Netzwerkes", durch einen US-Drohnenangriff im Juni im pakistanischen Nordwasiristan zu erkennen. Sie verweisen auf einen entsprechenden Aufruf, der am 10. September im Namen des amtierenden Al-Kaida-Chefs und Bin-Laden- Nachfolgers Aiman Al Zawahiri im Internet erschienen war. So oder so bekommen im sogenannten "Kampf der Kulturen" auf beiden Seiten die Scharfmacher wieder Oberwasser.

Nach der Ermordung von Christopher Stevens droht Obama dasselbe Schicksal wie seinem demokratischen Vorgänger Jimmy Carter. Nach nur einer Amtszeit als Präsident verlor Carter 1980 die Wahl vor allem deshalb an Ronald Reagan, weil die monatelange Geiselnahme der US-Botschaftsangehörigen in Teheran im Zuge der islamischen Revolution im Iran ihn als Schwächling in den Augen der meisten amerikanischen Wähler erscheinen ließ. An der Aufrechterhaltung dieses Zerrbilds haben die Republikaner damals kräftig mitgewirkt. In Geheimverhandlungen haben Reagans "running mate", der Vizepräsident in spe George Bush sen., sowie Wahlkampfmanager William Casey, der mit dem Posten des CIA-Chefs belohnt werden sollte, mit den "Mullahs" abgemacht, daß diese die Geiseln erst nach der US-Präsidentenwahl Anfang November freilassen sollten. Das taten sie und bekamen im Gegenzug illegal von den USA Waffen für den Krieg gegen Saddam Husseins Irak - was später zum "Iran-Contra-Skandal" führte.

13. September 2012