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NAHOST/1150: Al Kaida im Jemen militärisch auf dem Vormarsch (SB)


Al Kaida im Jemen militärisch auf dem Vormarsch

Im Jemen wird Kontraproduktivität des US-"Antiterrorkrieges" sichtbar



In keinem Land - bis auf Somalia vielleicht - ist die Kontraproduktivität des militärischen Ansatzes der USA auf dem Feld der "Terrorbekämpfung" so deutlich zu erkennen wie im Jemen. Dort wurden 2002 erstmals mutmaßliche "Terroristen" durch einen per Drohne durchgeführten Raketenangriff der CIA zur Strecke gebracht. In den darauffolgenden Jahren - insbesondere seit 2009 als der liberale Demokrat Barack Obama vom konservativen Republikaner George W. Bush das Amt des US-Präsidenten übernommen hat - ist die Anzahl der Drohnenangriffe auf Ziele im Jemen drastisch gestiegen. Im September 2010‍ ‍wurde dort mit dem in New Mexiko geborenen Al-Kaida-Propagandisten Anwar Al Awlaki erstmals ein Bürger der USA, der unter "Terrorverdacht" stand, mittels einer Hellfire-Rakete umgebracht, statt daß man ihn verhaftete und vor einem ordentlichen Gericht die Beweise gegen ihn überprüfte, wie es eigentlich in der amerikanischen Verfassung vorgeschrieben ist.

Als Ergebnis des jahrelangen militärischen Treibjagd von Pentagon und CIA im bettelarmen Stammland Osama Bin Ladens erhalten Al Kaida auf der arabischen Halbinsel (Al Qaeda in the Arabian Peninsula - AQAP) und ihre Schwesterorganisation Ansar Al Scharia starken Zulauf und übernehmen über immer mehr Teile des Jemens die Kontrolle. Im Süden, östlich der Hafenstadt Aden, existieren bereits mehrere islamische Emirate, in denen die Behörden der Zentralregierung in Sanaa nicht mehr das Sagen haben, sondern die islamische Gesetzgebung Scharia in einer streng-salafistischen Auslegung ausgeübt wird. Im vergangenen Monat hat Obama neue Richtlinien bezüglich des Einsatzes bewaffneter Drohnen im Jemen gebilligt. Demnach muß für den Abschuß einer Rakete kein konkreter Verdachtsmoment mehr vorliegen; allein untypische Bewegungen in dem unter Observation stehenden Gebiet reichen den Verantwortlichen bei der CIA und den US-Spezialstreitkräften aus, um einen Raketenangriff auf beliebige Personen zu befehlen. In einem Land, wo praktisch jeder Mann eine Waffe bei sich trägt, dürfte die Zivilbevölkerung unter der neuen Regelung einen noch höheren Blutzoll als bisher entrichten.

Die Ereignisse der jüngsten Tage machen den falschen Weg, der im Jemen beschritten wird, deutlich. Bei einer Militärzeremonie in der Hauptstadt Sanaa am 5. Mai erklärte General Abed Rabo Mansour Hadi, der im Februar mit diplomatischer Schützenhilfe Washingtons den langjährigen Machthaber Ali Abdullah Saleh als Präsidenten ablöste, daß die jüngste Offensive der staatlichen Streitkräfte gegen Al Kaida und Ansar Al Scharia nur der Auftakt eines langen Kampfes sei, der nicht enden werde, "bis jedes Dorf und jeder Bezirk von Terroristen gesäubert worden" ist. Hintergrund für die kämpferische Rede Hadis war, daß es ihm in den Tagen zuvor gelungen war, eine Reihe von Mitgliedern des Saleh-Klans, die wichtige Posten im Sicherheitsapparat besetzten, durch eigene Leute zu ersetzen.

Am 6. Mai meldeten die jemenitischen Behörden, daß Fahd Mohammed Ahmed Al Kuso, der in Verbindung mit dem Anschlag auf den US-Lenkwaffenzerstörer Cole und der Tötung von 17 Besatzungsmitgliedern im Hafen von Aden im Jahr 2000 mit fünf Millionen Dollar Kopfgeld auf der Fahndungsliste des FBI stand, bei einem Raketenangriff in der von Aufständischen kontrollierten Provinz Schabwa getötet wurde. Al Kuso war nach Angaben der New York Times an die Stelle Awlakis bei der AQAP nach dessen plötzlichem Ableben letztes Jahr als "external operations chief", heißt Leiter der Auslandsoperationen, getreten. Am 7. Mai wartete die Nachrichtenagentur Associated Press mit der spektakulären Nachricht auf, daß die CIA wenige Tage zuvor einen geplanten Anschlag auf eine amerikanische Passagiermaschine vereitelt hatte, mit dem die AQAP dem vor einem Jahr nach offiziellen Angaben im pakistanischen Abbottabad getöteten Bin Laden gedenken wollte. Die Bombe war in der Unterhose des Selbstmordattentäters, bei dem es sich nach jüngsten Erkenntnissen um einen Doppelagenten der CIA handelte, versteckt. Im Dezember 2009 war der Nigerianer Umar Farouk Abdulmutallab, dessen angeblich von der AQAP konstruierter Sprengsatz wegen einer Fehlzündung nicht explodierte und der nach der Landung einer aus Amsterdam kommenden Maschine in Detroit festgenommen werden konnte, als erster und bisher einziger "Unterhosenbomber" in die Geschichte eingegangen.

Doch während im Washingtoner Kongreß Politiker wie der islamophobische Republikaner Peter King aus New York die Vereitelung eines potentiellen Anschlags gegen den zivilen Luftverkehr der USA als großartigen Erfolg im "globalen Antiterrorkrieg" priesen, verzeichneten die Gegner westlicher Einmischung im Jemen weitere Geländegewinne. Gleich am Tag nach dem tödlichen Raketenangriff auf Al Kuso hatten Kämpfer der Ansar Al Sharia einen nahe Zinjibar, Hauptstadt der südlichen Provinz Abyan, gelegenen Stützpunkt der jemenitischen Streitkräfte überrannt, 32 Soldaten umgebracht, 40 weitere verletzt, einige als Geiseln mitgenommen sowie Waffen und Munition erbeutet. Seit vergangenem Jahr versucht die jemenitische Regierung Abyan den Aufständischen zu entreißen - bisher ohne Erfolg. Bereits Ende April sollen die militanten Islamisten bei schweren Kämpfen gegen die Regierungstruppen in der Nähe der südlichen Stadt Lawdar sogar 20 Panzer in die Finger bekommen haben. Nach Angaben von Ansar Al Scharia war der jüngste Überfall bei Zinjibar als tatkräftige Antwort auf die Kampfansage von Präsident Hadi gedacht.

9.‍ ‍Mai 2012