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NAHOST/1124: Fatah und Hamas vertiefen Annäherung - Israel fürchtet Ende der Spaltung (SB)


Unverhohlene Drohungen nach dem Versöhnungstreffen von Kairo


Die Spaltung des palästinensischen Widerstands gegen das Besatzungsregime war neben der überlegenen Waffengewalt stets das wirksamste Werkzeug israelischer Regierungspolitik im Nahostkonflikt. So wurde die Hamas gezielt unterstützt und aufgebaut, um die Fatah unter Jassir Arafat zu schwächen. Als die Hamas zunehmend an Glaubwürdigkeit und Einfluß gewann wie auch entschiedener als die Fatah gegen die israelische Suprematie zu Felde zog, band man Mahmud Abbas und dessen Umfeld durch Druck und partielle Bevorteilung in die Kampagne der Ausgrenzung und Diskreditierung der politischen Führung im Gazastreifen ein. Die Klaviatur des Teilens und Herrschens fand ihre notwendige Entsprechung im vorteilsgestützten Kalkül der innerpalästinensischen Widerspruchslage: Das verbindende Element der Unterdrückung durch die Vorherrschaft Israels brach an den internen Herrschaftsverhältnissen und einer höchst ungleichen Verfügung über die Lebensbemittelung in Gaza und im Westjordanland. So wenig sich daher der Nahostkonflikt in einer bloßen Dichotomie von Krieg und Frieden ohne eine menschenwürdige Gestaltung des letzteren entschlüsseln läßt, sowenig kann von der langersehnten Befreiung palästinensischen Lebens ohne Umgestaltung gesellschaftlich organisierter Besitzstände und privater Aneignung die Rede sein.

Daß die Führung Israels und deren internationale Bündnispartner eine Versöhnung von Hamas und Fatah fürchten wie der Teufel das Weihwasser und sie mit allen zu Gebote stehenden Mitteln hintertreiben, liegt auf der Hand. Feindschaft zu sähen rechnet sich nur dann, wenn der Spaltpilz der Rache in den auseinanderdividierten Fraktionen dergestalt ein Eigenleben entwickelt, daß diese immer neue Gründe generieren, einander eher bis aufs Blut zu bekämpfen, als ihre tiefsitzenden Animositäten zugunsten eines Schulterschlusses gegen die Besatzungsmacht zurückzustellen. Solange Palästinenser Israel fürchten, aber ihre unmittelbaren Nachbarn aus der anderen Fraktion hassen, bleiben sie beherrschbar. Man darf in diesem Zusammenhang nicht vergessen, daß kein okkupierter Landstrich weltweit derart tief vom Geheimdienst des Gegners durchdrungen und derart weitreichend in seinen inneren Konflikten aufgeheizt und ausgesteuert wird wie Palästina.

Galten Fortbestand und Verschärfung innerpalästinensischer Fehden in der Vergangenheit über die Generationen hinweg nahezu als Selbstgänger, so blieben die Umwälzungen in der arabischen Welt nicht ohne Wirkung auf die Jugend im Gazastreifen. Deren Absage an den Streit der Väter und die Aufforderung an die Führungen von Hamas und Fatah, ihren Streit beizulegen und sich geschlossen im grundlegenderen Konflikt mit der Besatzungsmacht zu positionieren, setzt ein Signal. Eine Jugend ohne Perspektive fühlt sich nicht länger an die Verpflichtung gegenüber Führungskreisen verbunden, deren Pfründe, Machthunger und Bestechlichkeit sie als nicht unwesentliche Gründe ihrer eigenen Ohnmacht identifiziert und verwirft.

Als die rivalisierenden Palästinenserorganisationen Fatah und Hamas im Mai beschlossen, ihren Streit beizulegen und eine Aussöhnung herbeizuführen, löste dies einen Sturm der Entrüstung in israelischen Führungskreisen aus. Die über Jahrzehnte aufgebaute Architektur der Spaltung drohte überraschend der sicher geglaubten Kontrolle zu entgleiten und womöglich zusammenstürzen wie ein Kartenhaus, wenn der Bann erst einmal gebrochen war. Sand im Getriebe einer Annäherung der beiden Fraktionen schien diesen Prozeß jedoch zu bremsen und drohte ihn mit den sattsam bekannten Kontroversen zu vergiften. Nun haben Fatah und Hamas bei einem Spitzentreffen in Kairo ihr Bündnis bekräftigt: "Es gibt zwischen uns keinerlei Differenzen, und wir arbeiten als Partner mit geteilter Verantwortung", erklärte Mahmud Abbas vor Journalisten. Der Exilchef der Hamas, Chalid Maschaal, bestätigte dies mit den Worten: "Ich will unserem Volk und den arabischen und islamischen Staaten sagen, dass wir ein neues Kapitel der Partnerschaft aufgeschlagen haben, um die Lage der Palästinenser neu zu ordnen." [1]

Diese zweite und womöglich noch energischere Initiative zur Aussöhnung, die von jordanischer und ägyptischer Seite unterstützt wird, zog noch heftigere Reaktionen der israelischen Regierung als im Frühjahr nach sich. "Palästina ist verloren", verbreitete ein Sprecher von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu über Twitter. Mark Regev, ein Sprecher des Regierungschefs, erklärte: "Je mehr sich Abbas der Hamas annähert, um so weiter entfernt er sich vom Frieden. Die Einigung mit der Hamas sei eine Katastrophe für das palästinensische Volk und für die ganze Region, wurde Informationsminister Juli Edelstein zitiert. Abbas habe die Eskalation gewählt. Die neue Partnerschaft beweise, daß er die Aggressivität der Hamas und deren "Terrormethoden" akzeptiere und die Tötung unschuldiger Zivilisten unterstütze: "Die Autonomiebehörde ist von heute an in jedem Sinne eine Terrororganisation."

Palästina als verloren zu bezeichnen, muß wohl als Absage an einen Palästinenserstaat interpretiert werden. Da die israelische Regierung bislang ohnehin nichts unversucht gelassen hat, um einen eigenständigen und lebensfähigen palästinensischen Staat zu verhindern, ändert sich im Grunde zunächst nichts. Allerdings droht die Klassifizierung der Autonomiebehörde als "Terrororganisation" noch schärfere Sanktionen an, als sie bislang von israelischer Seite praktiziert wurden. Daß die rechtsgerichtete politische Führung Israels vor kaum einem Zwangsmittel zurückschreckt, um die Wiedervereinigung der Palästinenser zu verhindern, steht erfahrungsgemäß zu befürchten. Wenngleich sie keineswegs mit dem Rücken an der Wand steht, solange die israelische Bevölkerung mehrheitlich die Unterdrückung der Palästinenser gutheißt und die USA wie auch Deutschland ihr uneingeschränkt den Rücken stärken, steht doch die über Jahrzehnte durchgetragene Doktrin auf dem Spiel, es gebe auf palästinensischer Seite keinen Ansprechpartner für Friedensgespräche. Diese Formel der Spaltung hat ausgedient, sollten sich die bislang verfeindeten Fatah und Hamas tatsächlich zusammenraufen, so daß die israelische Führung um eine tragende Säule ihrer Herrschaftssicherung zu Lasten der Palästinenser bangen muß.

Die Annäherung der beiden Palästinenserorganisationen hatte im Frühjahr mit einem Abkommen begonnen, das eine gemeinsame Regierung und Neuwahlen in den Palästinensergebieten vorsieht. Der am 3. Mai unterzeichnete Vertrag galt als wichtiger Durchbruch zur Versöhnung der beiden verfeindeten Bewegungen. Er wurde bisher jedoch nicht umgesetzt, weil sich beide Seiten unter anderem nicht auf die Besetzung des Ministerpräsidentenamtes einigen konnten. Wie sich nun andeutet, könnte Abbas bereit sein, auf den von der Hamas abgelehnten bisherigen Regierungschef Salam Fajad zu verzichten. Abbas und Maschaal bekräftigten die Absicht, die überfälligen Präsidenten- und Parlamentswahlen im kommenden Mai abzuhalten, wobei der genaue Termin bei einem weiteren Treffen in Kairo am 15. Dezember festgelegt werden soll. [2]

Bei dem Gespräch ging es um fünf zentrale Punkte: eine Reform der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO), so daß Hamas und andere militante Fraktionen beitreten können, eine Reform der palästinensischen Sicherheitskräfte, ein verbindliches Datum für Neuwahlen, eine echte Versöhnung von Hamas- und Fatah-Mitgliedern sowie eine gemeinsame Strategie für die Gründung eines Palästinenserstaates. Ob sich beide Seiten wie vom palästinensischen Fernsehen berichtet auf ein gemeinsames politisches Programm geeinigt haben, muß sich zeigen. Fatah-Delegationsleiter Asam al-Ahmed sagte jedenfalls vor Journalisten, man habe eine Reihe weiterer Vereinbarungen getroffen. So sollen politische Gefangene binnen weniger Tage freigelassen und der Volkswiderstand gegen die israelische Besatzung verstärkt werden.

Zweifellos sind wesentliche Streitpunkte zwischen Fatah und Hamas wie das Verhältnis zu Israel, der einseitige Gewaltverzicht oder die Anerkennung früherer Friedensverträge damit nicht aus der Welt geschafft. Nach wie vor befindet sich die Annäherung in einem fragilen Stadium und bedarf internationaler Unterstützung, die ihr jedoch von der Bundesregierung offenbar versagt wird. Diese lehnt nach den Worten von Außenminister Guido Westerwelle den Kontakt zur Hamas trotz der Einigung ab. Allerdings sei die Bundesregierung mit Ägyptens größter Islamistengruppe, der Muslimbruderschaft, im Gespräch, schien Westerwelle die zugeschlagene Tür doch wieder einen spaltbreit zu öffnen. "Es ist kein Geheimnis, dass wir auf Arbeitsebene bereits mit einigen reden", zitierte die Financial Times Deutschland den Außenminister. Er habe "keine Berührungsängste", solange rote Linien beachtet würden, wie etwa Gewaltverzicht und das Bekenntnis zu Demokratie. Wie im Falle des Angriffskriegs gegen Libyen könnten die angedeuteten moderaten Töne Westerwelles darauf schließen lassen, daß er erneut einer Fraktion hiesiger Wirtschaftsinteressen das Wort redet, die um einer langfristigen Akzeptanz in arabischen Ländern willen Deutschland mit einer gemäßigten Außendarstellung besser repräsentiert sehen als mit dem uneingeschränkten Bekenntnis zu Bündnispflicht und israelischer Staatsräson.

Fußnoten:

[1] http://www.stern.de/politik/ausland/nahost-fatah-und-hamas-beschliessen-zusammenarbeit-1755199.html

[2] http://www.zeit.de/politik/ausland/2011-11/paleastinenser-einigung

25. November 2011