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NAHOST/1121: Syrien nimmt Vermittlungsplan der Arabischen Liga an (SB)


Syrien nimmt Vermittlungsplan der Arabischen Liga an

Assad warnt seine Kritiker vor einem zweiten Afghanistan


Am 2. November hat die Regierung in Damaskus einem Plan der Arabischen Liga, mittels dessen die Unruhen in Syrien, die seit sieben Monaten anhalten und mehrere Tausend Menschen das Leben gekostet haben sollen, zugestimmt. Während syrische Exilgruppen behaupten, der größte Teil der Opfer wären Zivilisten, gibt die Regierung in Damaskus die Anzahl der Polizisten und Soldaten, die von bewaffneten Aufständischen bei Überfällen oder infolge von Bombenanschlägen getötet worden sein sollen, mit mehr als 1000 an. Der Plan der Arabischen Liga ist vielleicht die letzte Chance, den Ausbruch eines regelrechten Bürgerkrieges in Syrien zu verhindern, der schwere Folgen für die gesamte Region hätte. Nicht umsonst hat Syriens Präsident Bashar Al Assad im Vorfeld des Treffens der Arabischen Liga vor einem "Erdbeben" gewarnt, sollten einige ausländische Mächte ihre Bemühungen nach einem "Regimewechsel" in Damaskus fortsetzen.

Für die Regierung in Damaskus ist die Annahme des Deeskalationsplans der Arabischen Liga ein kalkuliertes Risiko. Schließlich stehen tonangebende Mächte in der Regionalorganisation wie Saudi-Arabien und Jordanien im Verdacht, gewaltbereite Salafisten von der sunnitischen Moslembruderschaft bei der Destabilisierung Syriens finanziell und waffentechnisch zu unterstützen. Die Saudis waren zudem diejenigen, die im vergangenen März dafür sorgten, daß die Arabische Liga den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen wegen der damaligen Unruhen in Libyen anrief. Den Hilferuf aus Kairo, dem Sitz der Arabischen Liga, nutzen die UN-Vetomächte und NATO-Mitglieder USA, Großbritannien und Frankreich, um sich vom Sicherheitsrat ein Mandat zur Verhängung einer Flugverbotszone erteilen zu lassen. Zum vermeintlichen Schutz der libyschen Zivilbevölkerung hat dann die NATO-Luftwaffe über Monate die Truppen Muammar Gaddhafis zusammengeschossen, während am Boden Spezialstreitkräfte aus den USA, Großbritannien, Frankreich, Jordanien und Katar - ebenfalls ein Mitglied der Arabischen Liga - den Rebellen zum Sieg verhalfen.

Eine ähnliche Entwicklung droht in Syrien. Vor wenigen Tagen hat der hauptsächlich von im Exil lebenden und vom Westen unterstützten Oppositionellen gegründete Syrische Nationalrat die Verhängung einer Flugverbotszone verlangt, um das angeblich unverhältnismäßige Vorgehen der Truppen Assads gegen Regimegegner zu unterbinden. Nicht zufällig traf sich am Rande des Sondertreffens der Arabischen Liga in Kairo Mahmud Dschibril, der Chef des Übergangsrats in Libyen, mit Vertretern des Syrischen Nationalrates. Wenige Tage zuvor hatte das von Gaddhafi "befreite" Libyen demonstrativ als erstes Land den Syrischen Nationalrat als einzige legitime Regierung Syriens anerkannt.

Die Bereitschaft Damaskus', sich auf die Forderungen der Arabischen Liga - Abzug aller Armeeverbände aus den Städten, Freilassung aller politischen Gefangenen, Aufnahme eines Dialogs zwischen Regierung und Opposition und Entsendung von internationalen Beobachtern - einzulassen, scheint vor allem dazu zu dienen, Zeit zu gewinnen. Nach der Großdemonstration für Assads Reformkurs, an der am 29. Oktober in Damaskus Hundertausende Menschen teilnahmen, glaubt die Regierung Syriens offenbar, das Schlimmste überstanden und die Aufständischen weitestgehend besiegt zu haben. Ob diese Einschätzung zutrifft, ist eine andere Sache. Berichte der letzten beiden Tage über Kämpfe in der Rebellenhochburg Homs, bei denen mehr als 20 Menschen ums Leben gekommen sein sollen, erwecken vielmehr den Eindruck, daß für die Rebellen und ihre Unterstützer im Ausland - zu denen der pro- saudische, ehemalige Premierminister des Libanons, Saad Hariri, und dessen Anhänger gezählt werden können - die Eskalationsstufe nach oben offen ist.

Von daher kommt dem Interview, das Assad dem britischen Sunday Telegraph gab und in dessen jüngster Ausgabe vom 30. Oktober erschienen ist, große Bedeutung zu. Darin hat Assad seine Kritiker wie US-Präsident Barack Obama und dessen Außenministerin Hillary Clinton vor der Gefahr gewarnt, Syrien weiterhin zu destabilisieren: "Wollen Sie ein weiteres Afghanistan bzw. zehn Afghanistans erleben? Jedes Problem in Syrien wird die gesamte Region in Brand setzen. Wenn der Plan darin besteht, Syrien aufzuteilen, dann wird das zur Aufteilung der ganzen Region führen."

Nicht zufällig dürfte Assads Wahl als Interviewpartner und Überbringer der dramatischen Botschaft auf Andrew Gilligan gefallen sein. Als Reporter für die BBC hat Gilligan wenige Wochen nach dem angloamerikanischen Einmarsch in den Irak 2003 enthüllt, daß die Regierung Tony Blairs vorsätzlich und gegen besseres Wissen die von Saddam Husseins "Massenvernichtungswaffen" ausgehende Bedrohung über alle Maßen aufgebauscht hatte, um dem völkerrechtlich illegalen Überfall den Anschein der Legitimität zu verleihen. Nur wenige Wochen nach der spektakulären Enthüllung, welche den Lügenbaron Blair in schwere politische Bedrängnis brachte, wurde Gilligans Quelle, der britische Bio- und Chemiewaffenexperte Dr. David Kelly, in einem Wald in der Nähe seiner Wohnung in Südengland tot aufgefunden.

4. November 2011