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NAHOST/1083: Irans Atombombe - laut Seymour Hersh ein Popanz (SB)


Irans Atombombe - laut Seymour Hersh ein Popanz

Amerikas Enthüllungsjournalist Nummer eins warnt vor Iranophobie


Seit einigen Tagen geistert wieder die vom iranischen Atomprogramm angeblich ausgehende Bedrohung durch die Presse. Ausgelöst wurde die jüngste Episode dieser zum Sterben langweiligen, weil vollkommen durchsichtigen Dauerbezichtigungskampagne, an der sich Politik und Medien im Westen stets mit neuem Eifer beteiligen, durch die Veröffentlichung eines Berichts der Internationalen Atomenergieagentur (IAEA) am 25. Mai, in dem es hieß, deren Inspekteure verfügten über "Beweise", daß die Iraner Experimente mit Urandeuterid, das bei einer Kernwaffe als Zünder für die Kettenreaktion verwendet werden kann, und Studien über die mögliche Ausrüstung der Shahab-3-Rakete mit einem nuklearen anstelle eines konventionellen Sprengkopfs durchgeführt hätten.

Welche "Beweise" das nun sein sollen, darf der Uneingeweihte natürlich nicht erfahren, denn die westlichen Geheimdienste, von denen sie offenbar stammen, pochen auf Quellenschutz und führen das Argument der "nationalen Sicherheit" ins Feld. Die Regierung in Teheran, die vergeblich auf den friedlichen, rein zivilen Charakter des iranischen Atomprogramms insistiert, hat natürlich die jüngsten Vorwürfe der IAEA als haltlos und politisch motiviert abgetan. Nichtsdestotrotz oder vielleicht gerade deswegen erklärte Israels stellvertretender Regierungschef und Minister für Strategische Angelegenheiten, Moshe Ya'alon, am 31. Mai, kurz vor seinem Abflug nach Moskau gegenüber der russischen Nachrichtenagentur Interfax, die "zivilisierte Welt" müsse etwas unternehmen, gegebenenfalls einen "präemptiven Angriff" durchführen, um die Gefahr einer iranischen Atombombe zu beseitigen.

Zur Erhellung des jahrelangen Streits um Existenz oder Nicht-Existenz eines iranischen Atomwaffenprogramms trägt Seymour Hersh in seinem jüngsten Artikel für die Zeitschrift New Yorker bei, der unter der Überschrift "Iran and the Bomb" in der Printausgabe vom 6. Juni erscheint, jedoch für Abonnenten bzw. gegen Bezahlung bereits am 31. Mai in elektronischer Form im Internet zu lesen war. In dem Artikel, der auf Gespräche mit nicht namentlich genannten Personen im US-Sicherheitsapparat basiert, enthüllt Hersh, warum die jüngste National Intelligence Estimate von diesem Jahr zum Thema Iran streng unter Verschluß gehalten wird. Das Fazit der neuen NIE bestätigt diejenige von 2007, die schon damals die Kriegsfalken in der Regierung George W. Bush und Dick Cheney in Rage versetzt hatte. Das heißt, es gibt immer noch keine stichhaltigen Beweise dafür, daß die Iraner Spaltmaterial zu militärischen Zwecken beiseitegeschafft hätten oder heimlich Atomwaffenforschung betrieben.

Das habe man laut Hersh nicht nur aus der elektronischen Überwachung, der Satellitenaufklärung und von iranischen Informanten erfahren; Elitesoldaten des Joint Special Operations Command (JSOC) hätten in Steinen und an Straßenschildern in der Nähe verdächtiger Anlagen winzig kleine Radioaktivitätsensoren plaziert, die wider Erwarten nichts registriert hätten. Vor diesem Hintergrund wirft Hersh Barack Obamas Regierung und dem Kongreß in Washington vor, "die Erkenntnisse der US-Geheimdienste bezüglich des Nuklearprogramms des Irans systematisch falsch darzustellen, indem sie dauernd behaupten, daß ein Bewaffnungspogramm laufend stattfindet oder daß die Absicht zur Durchführung desselben im wesentlichen feststeht."

Für den Vorwurf Hershs, die Obama-Regierung stelle die vom Iran ausgehende Bedrohung genauso übertrieben wie seinerzeit die Bush-Administration diejenige von Saddam Husseins Irak dar, hatte man im Weißen Haus nur ein müdes, herablassendes Lächeln übrig. Wie Jennifer Epstein am 31. Mai auf dem Blog Playbook der Onlinezeitung Politico berichtete, hat der Pulitzerpreisträger mit seinem jüngsten Beitrag bei der derzeitigen US-Regierung "ein kollektives Augenrollen" ausgelöst - ganz als sei Hersh nicht mehr bei Trost. Epstein zitierte ein nicht namentlich genanntes Mitglied der Obama- Administration unter anderem mit den Worten: "Wir haben der Welt stets klar offengelegt, was wir über das iranische Nuklearprogramm wissen. Teheran hält sich seine Optionen ungeachtet der Tatsache offen, daß die Völkergemeinschaft das Gegenteil verlangt."

Was die Behauptung, alles "stets klar offengelegt" zu haben, betrifft, kann man anderer Meinung sein. Die Hinweise für die angeblichen Bemühungen Teherans um den Bau eines Atomsprengkopfs, der auf eine iranische Rakete paßte, stammen größtenteils von einem Laptop, von dem es bekanntlich heißt, er wäre aus der Islamischen Republik herausgeschmuggelt worden. Die Iraner sollen Fragen zum Inhalt des Laptops beantworten, von dem sie behaupten und worauf es nicht wenige Hinweise gibt, daß er ein Produkt westlicher Geheimdienste im allgemeinen, des israelischen im besonderen sein könnte. Gleichzeitig dürfen die Iraner angeblich aus Gründen des Quellenschutzes die fraglichen, angeblich vom Laptop stammenden Dokumente nicht selbst in Augenschein nehmen. Diese Handhabung, die gegen grundsätzliche Rechtsprinzipien verstößt, liegt vermutlich darin begründet, daß die Dokumente nicht auf Farsi, sondern offenbar auf Englisch verfaßt wurden - was natürlich dafür spricht, daß sie gar nicht erst aus dem Iran stammen.

Gegen die angeblich transparente Informationspolitik der Obama-Regierung spricht auch deren juristische Verfolgung James Risens, dem ein Gefängnisaufenthalt droht, sollte er sich in den nächsten Tagen nicht bereit erklären, die Informanten für sein 2006 erschienenes Buch "State of War - The Secret History of the C.I.A and the Bush Administration" namentlich zu identifizieren. Darin hatte der preisgekrönte Reporter von der New York Times unter anderem über die hochpeinliche, weil grandios mißlungene Operation Merlin der CIA berichtet. Mit jener Aktion wollte Anfang des letzten Jahrzehnts der US-Auslandsgeheimdienst über einen russischen Mittelsmann den Iranern defekte Pläne zum Bau einer Atombombe unterjubeln und auf die Weise deren Bemühugen darum um Jahre zurückwerfen. Der wunderbare Plan ging aber ziemlich schief, als der Mittelsmann die Fehler in den Blaupausen entdeckte, die Iraner bei der Übergabe auf sie aufmerksam machte bzw. sie behob. Wenn der Iran tatsächlich über eine Anleitung zur Konstruktion einer funktionierenden, per Rakete zu befördernden Kernwaffe verfügt, dann Dank der schlauen Köpfe in Langley, Virginia.

1. Juni 2011