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NAHOST/987: Im Atomstreit USA-Iran legt sich die Türkei quer (SB)


Im Atomstreit USA-Iran legt sich die Türkei quer

Erdogan weist auf die Einseitigkeit der Vorwürfe gegen Teheran hin


Im Atomstreit zwischen den USA und dem Iran stehen die Zeichen auf Sturm. Im April will Washington vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen eine vierte Runde von Sanktionen gegen den Iran verhängen lassen, die sich laut US-Außenministerin Hillary Clinton von der Wirkung auf die iranische Wirtschaft her als "erdrückend" erweisen sollen. Die Chancen, daß die Teheraner Führung in Reaktion auf diese Maßnahme im Atomstreit kapituliert und die Forderung der Amerikaner und ihrer Verbündeten nach Einstellung der Urananreicherung erfüllt, sind gleich null, denn dies käme einem Verzicht der Islamischen Republik auf ihr Recht als Unterzeichnerstaat des Nicht-Verbreitungsvertrages auf die Beherrschung des kompletten zivil-nuklearen Kreislaufs gleich und wäre folglich für die Iraner, Regierung und Opposition gleichermaßen, vollkommen inakzeptabel.

Das bedeutet, daß weitere Wirtschaftssanktionen die Konfrontation zwischen den USA und dem Iran zwangsläufig verschärfen und die Gefahr, daß es zu einer militärischen Auseinandersetzung am Persischen Golf kommt, erhöhen. In den USA scheinen auch diejenigen, die sich seit langem einen "Regimewechsel" in Teheran wünschen und deshalb eine gewaltsame Lösung des Atomstreits befürworten, die Oberhand zu gewinnen. Auf dem Jahrestreffen der mächtigen zionistischen Lobbygruppe American Israeli Public Affairs Committee (AIPAC) in Washington erklärte am 22. März Charles Schumer, der langjährige demokratische Senator aus New York, die Verhandlungen mit Teheran für "gescheitert".

Noch kriegslüsterner klang die Adresse des republikanischen Senators aus South Carolina, Lindsey Graham, an die versammelten AIPAC-Delegierten: "Meiner Meinung nach wäre ein Militärschlag, der die iranische Regierung an der Beschaffung einer Atombombe hindert, effektiver als der Umgang mit der iranischen Regierung, nachdem sie bereits eine besitzt. Und sollte jemals auf Militärgewalt zurückgegriffen werden, dann sollte dies auf entscheidende Weise erfolgen. Danach soll die Fähigkeit der iranischen Regierung, einen konventionellen Krieg gegen seine Nachbarn oder unsere Truppen in der Region zu führen, nicht mehr existieren. Sie sollten danach über kein Flugzeug, das fliegen kann, und kein Schiff, das schwimmen kann, verfügen." Auf dem Kapitol führen Schumer und Graham jene große Mehrheit der Senatoren und Kongreßabgeordneten an, die vom Präsident Barack Obama die Verhängung drastischer, unilateraler Wirtschaftssanktionen der USA gegen den Iran fordern, was gleichbedeutend mit einer Kriegserklärung wäre.

Währenddessen berichtete am 28. März die New York Times in zwei getrennten Artikeln von jüngsten Kriegsspielen im US-Sicherheitsapparat, die einen israelischen Überraschungsangriff auf die iranischen Atomanlangen und die möglichen Folgen desselben als Grundlage hatten, und von jüngsten Einschätzungen amerikanischer, europäischer und israelischer Geheimdienste - liest man etwas genauer, so stellt man fest, daß es reine Spekulationen sind -, denen zufolge Teheran sein angeblich existierendes Atomwaffenprogramm forciert betreibt. Am 29. März meldete die russische Nachrichtenagentur RIA Novosti unter Verweis auf die in Ostjerusalem auf arabisch erscheinende Zeitung Al Manar, israelische Kampfjets hätten Ende Februar unter Nutzung des Luftraums "zweier arabischer Länder am Persischen Golf, die territorial der Islamischen Republik nahe liegen und die mit Israel kooperieren," Angriffe auf bekannte iranische Atomanlagen simuliert.

Angesichts all dessen laufen die Bemühungen der USA und ihrer Alliierten um die Verabschiedung besagter Wirtschaftssanktionen durch den UN-Sicherheitsrat auf Hochtouren, wie die gestrigen Treffen Obamas und mit dem französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy in Washington und der G8-Außenminister in Gatineau im kanadischen Québec zeigen. Während der Kreml die Bereitschaft Rußlands, die Sanktionen gegen den Iran mitzutragen, inzwischen signalisiert hat, gibt sich die UN-Vetomacht China uneinsichtig und plädiert für ein Ende des Säbelrasselns und eine ernsthafte Suche nach einer diplomatischen Lösung des Atomstreits. Die selbstbewußte Haltung Pekings, die nicht zuletzt auf die stetig wachsenden Handelsbeziehungen zwischen der Volksrepublik und dem Iran vor allem im Energiesektor zurückzuführen ist, hat den Zorn der Hardliner im US-Kongreß erregt, die ihrerseits damit drohen, bei fortgesetzter Widerspenstigkeit in der Iranfrage China zum "Schurkenstaat" zu erklären.

Unterstützung erhält China derweil von der Türkei. Das NATO-Land, das bereits 2003 den USA die Gefolgschaft aufkündigte, als es sich weigerte, sich am Überfall auf den Irak zu beteiligen, setzt sich ebenfalls für eine Beilegung der Probleme des Westens mit dem Iran durch Gespräche ein. Nach den ständigen Zurückweisungen seitens der EU positioniert sich die Türkei zunehmend als regionale Führungsmacht und baut ihre Beziehungen zu Rußland, den arabischen Nachbarstaaten und dem Iran kontinuierlich aus. Gleichzeitig profiliert sie sich durch ihre kritische Position Israel gegenüber. Im Poker um die Öl- und Gasreichtümer Zentralasiens steht die Türkei gut da. Weil Rußland in den letzten Monaten einen Gutteil der künftigen Energielieferungen aus den ihm benachbarten, ehemaligen Sowjetrepubliken am Kaspischen Meer hat sichern können, regt Ankara an, die nun fehlende Öl- und Gasmengen für die geplante amerikanisch-europäische Nabucco-Pipeline aus dem Iran zu beziehen. Im Gegensatz zu den Amerikanern halten die Türken es nicht für zwingend erforderlich, das "Mullah-Regime" gestürzt zu haben, bevor man mit Teheran ins Geschäft kommt.

Auf der gemeinsamen Pressekonferenz mit Angela Merkel am 29. März in Ankara erteilte der türkische Premierminister Recep Tayyip Erdogan dem Aufruf der deutschen Kanzlerin nach einer Einreihung der Türkei, die derzeit als nicht-ständiges Mitgliedsland im UN-Sicherheitsrat vertreten ist, in die Anti-Iran-Front des Westens eine deutliche Absage. Nachdem Merkel öffentlich erklärt hatte, im Westen wäre man "glücklich" darüber, sollte "die Türkei im April zum Thema Iran zusammen mit den Vereinigten Staaten und der Europäischen Union votieren", erwiderte Erdogan, bezüglich der geplanten Resolution habe man in Ankara noch keine Entscheidung getroffen.

Unter Verweis auf die bisherigen drei Sanktionsrunden, die keinerlei Bewegung im Atomstreit bewirkt hatten, stellte er fest: "Wir sind der Ansicht, daß Sanktionen kein gesunder Weg sind und daß die beste Route die Diplomatie ist. ... Die Türkei teilt mit dem Iran eine 380 Kilometer lange Grenze, und er ist für uns ein wichtiger Partner, besonders im Energiesektor. Bei der Beurteilung unserer Beziehungen dürfen wir dies nicht vergessen."

Mit Blick auf die von den USA und der EU stets vorgetragene Sorge über die vom iranischen Kernenergieprogramm angeblich ausgehende Bedrohung ließ Erdogan einen versteckten Hinweis auf die destablisierende Wirkung des Atomwaffenarsenals des amerikanischen Verbündeten Israel, das sich weigerte, dem Nicht-Verbreitungsvertrag beizutreten oder die Inspekteure der Internationalen Atomenergieagentur (IAEA) ins Land zu lassen, auf die zwischenstaatlichen Beziehungen im Nahen Osten fallen. "Wir sind gegen Nuklearwaffen in unserer Region. Aber gibt es ein anderes Land in unserer Region, das Nuklearwaffen besitzt? Ja, gibt es. Und hat man es mit Sanktionen belegt? Nein." Angesichts dieser Konstellation bat Erdogan die internationale Gemeinschaft darum, Ankara zu erlauben, in Verhandlungen mit den Iranern "einen mittleren Weg" zur Beendigung des Atomstreits zu finden. Angesichts der aktuellen Entwicklung wird Erdogan über seinen "mittleren Weg" die iranische Führung um Präsident Mahmud Ahmadinedschad wahrscheinlich nicht aus der von ihr zum Teil selbstgewählten, diplomatischen Isolation geholt haben, bevor Ankara eine Entscheidung in der Sanktionsfrage wird fällen müssen.

31. März 2010