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NAHOST/974: USA weiten ihren Raketenschild am Persischen Golf aus (SB)


USA weiten ihren Raketenschild am Persischen Golf aus

Washington bereitet einen eventuellen Waffengang gegen den Iran vor


Im sogenannten Atomstreit zwischen dem Westen und dem Iran hat es in den letzten Tagen den Hoffnungschimmer gegeben, daß eine friedliche Beilegung erzielt werden kann. Auf dem Weltwirtschaftsforum im schweizerischen Davos ließ am 29. Januar der neue Generaldirektor der Internationalen Atomenergieagentur (IAEA), Yukio Amano, wissen, daß die Gespräche über einen Austausch des iranischen Bestandes an niedrig angereichertem Uran gegen hochangereichertes für den Forschungsreaktor in Teheran, um daraus Isotope für medizinische Zwecke gewinnen zu können, immer noch fortgesetzt würden. Die Iraner hatte im letzten Jahr dem Plan der westlichen Mächte zugestimmt, jedoch eigene Vorschläge gemacht, wie die Übergabe zu erfolgen hätte, die aber von der Gegenseite nicht akzeptiert wurden. Am 31. Januar erklärte der iranische Außenminister Manouchehr Mottaki ebenfalls in Davos, Gespräche mit Vertretern Frankreichs und Brasiliens hätten "neue Ideen" zutage gefördert, welche zu einer für alle Seiten akzeptablen Kompromißlösung führen könnten. Am selben Tag zitierte die halbstaatliche Nachrichtenagentur ILNA den Chef der iranischen Atomenergiebehörde, Ali Akbar Salehi, dahingehend, daß Teheran "das bedeutsame Prinzip des Brennstoffaustausches akzeptiert" habe und lediglich "starke und verläßliche Garantien", daß die beschlossenen Vereinbarungen auch eingehalten werden, haben möchte.

Leider stehen diesem Hoffnungschimmer zahlreiche Hinweise gegenüber, daß diejenigen Kräfte in den USA, in Europa und in Israel, die seit Jahren auf eine militärische Konfrontation mit Teheran drängen, um dort einen "Regimewechsel" ähnlich denen in Kabul 2001 und Bagdad 2003 vollziehen zu können, kurz vor ihrem Ziel stehen. Am 27. Januar nutzten Israels Präsident und Premierminister, Shimon Peres und Benjamin Netanjahu, bei Auftritten anläßlich des internationalen Holocaust-Gedenktages - ersterer vor dem Bundestag in Berlin, letzterer im ehemaligen Konzentrationslager der Nazis im polnischen Auschwitz - die Gelegenheit, um in grellen Farben die angeblich vom Iran ausgehende Bedrohung für die Welt an die Wand zu malen.

Der 28. Januar stand medientechnisch ganz im Zeichen der großen Afghanistan-Konferenz in London. Zwar diskutierte man hier die bedeutende Frage nach einer Beendigung des Krieges durch etwaige Verhandlungen mit den Taliban, nichtsdestotrotz hob US-Außenministerin Hillary Clinton bei ihrer anschließenden Pressekonferenz vor allem die angebliche Notwendigkeit der Verhängung schwerer Sanktionen durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen gegen Teheran mit der Begründung hervor, die Regierung von Präsident Mahmud Ahmadinedschad hätte das großzügige Urananreicherungsangebot des Westens einfach ausgeschlagen. Fast zeitgleich verabschiedete der Senat in Washington mit großer Mehrheit ein Gesetz zur Verhängung unilateraler Wirtschaftsanktionen der USA gegen die iranische Energiebranche und alle ausländischen Unternehmen, die dort tätig sind. Da ein ähnliches Gesetz vor kurzem das Repräsentantenhaus passiert hat, dürfte der gemeinsame Entwurf beider Kongreßhäuser demnächst zur Unterschrift auf dem Schreibtisch von Präsident Barack Obama landen.

Am 29. Januar kam es ebenfalls in London zu dem mit Spannung erwarteten Auftritt Tony Blairs vor dem Untersuchungsausschuß, der seit letztem November unter der Leitung von Sir John Chilcot der Frage nach den Gründen für die Teilnahme Großbritanniens am Angriffskrieg der USA 2003 gegen den Irak nachgeht. Daß Blair die sattsam bekannten Argumente seiner neokonservativen Freunde in den USA auftischte - die veränderte geopolitische Sicherheitslage nach den Flugzeuganschlägen vom 11. September 2001 in New York und Arlington, die von "Massenvernichtungswaffen" in den Händen Saddam Husseins ausgehende Bedrohung und die Gefahr, daß Bagdad irgendwelche atomaren, biologischen oder chemischen Kampfstoffe eventuell der Al-Kaida-Terrortruppe Osama Bin Ladens zukommen lassen könnte - überraschte niemanden. Erstaunt und erschrocken hat viele Menschen hingegen die Tatsache, daß Blair bei seiner sechstündigen Vernehmung mehr als 58mal den Iran erwähnte und an einer Stelle die Islamische Republik offen zu einer größeren Gefahr für den Weltfrieden im Jahr 2010 als Saddam Hussein 2003 erklärte. Inwieweit solche Kriegstreiberei mit Blairs offizieller Position als Friedensbotschafter des Nahost-Quartetts zu vereinbaren ist, kann man sich fragen. Sie macht jedoch deutlich, daß der vor moralischer Überlegenheit und Güte strotzende Ex-Labour-Chef immer noch eine bedeutende Rolle auf der geopolitischen Bühne zu spielen gedenkt. Ebenfalls am 29. Januar hielt Hillary Clinton vor der französischen Offiziersschmiede École Militaire in Paris eine überraus aggressive Rede, in der sie eindringlich vor den "destabilisierenden Auswirkungen eines atomarbewaffneten Irans" warnte und die Regierung Chinas aufforderte, endlich den Weg zur Verhängung von UN-Sanktionen gegen Teheran freizumachen.

Wo Destabilisierung droht, kann bekanntlich das Pentagon nicht weit sein. Auf die Ermahnungen der ehemaligen First Lady folgte am 30. Januar in der Online-Version der Washington Post und ein Tag später in der Printausgabe der New York Times die Nachricht, daß die Obama-Regierung in den letzten Wochen eine drastische Aufrüstung am Persischen Golf beschlossen hat. Zwei Lenkwaffenzerstörer vom Typ Aegis, die in der Lage sein sollen, feindliche Mittelstreckenraketen vom Himmel zu holen, werden dort dauerhaft stationiert. Mehrere Batterien der modernsten Version des Patriot-Raketenabwehrsystems namens PAC-3 werden in den vier Golfstaaten Bahrain, Katar, Kuwait und den Vereinigten Arabischen Emiraten aufgestellt. Darüber hinaus arbeitet das US-Militär mit allen vier Staaten und Saudi-Arabien, das über eigene Patriotraketen aus den USA verfügt, daran, ihre kritische Infrastruktur - Ölraffinerien, Häfen, Entsalzungsanlagen u. v. m. - vor eventuellen Angriffe von Al-Kaida-"Terroristen" oder pro-iranischen, schiitischen Saboteuren zu schützen.

In dem betreffenden Artikel, der auf der Titelseite der New York Times erschienen ist, wurden nicht namentlich genannte Vertreter der Obama-Administration und des Pentagons zitiert, die drei Gründe für die jüngste Aufrüstung der USA am Persischen Golf anführten: erstens, um Druck auf Teheran auszuüben, zweitens, um den Israelis ein Gefühl der zusätzlichen Sicherheit zu verleihen, damit diese keinen unilateralen Überraschungsangriff auf die iranischen Atomanlagen starten, und drittens, damit die Golfstaaten nicht auf die Idee kommen, sie müßten sich jeweils auch eine eigene nukleare Abschreckung zulegen. Vor allem letzteres Argumente überzeugt wenig. Im Artikel selbst wird zugegeben, daß die Iraner - selbst wenn sie heimlich an der Entwicklung der Atombombe arbeiteten, was sie bekanntlich vehement bestreiten - mehrere Jahre davon entfernt wären, eine Rakete mit einem nuklearen Sprengstoff bestücken zu können. Die Golfstaaten verfügen nicht einmal über Kernkraftwerke, also dürfte die Verlegung der PAC-3-Batterien weniger mit deren potentiellem, noch nicht erwachten Streben nach Nuklearwaffen, als vielmehr mit dem Wunsch zusammenhängen, für den Fall, daß der Atomstreit eskaliert, entsprechendes Kriegsgerät vor Ort zu haben.

Zu der befürchteten Eskalation kann es jederzeit kommen. Dies läßt sich an der Hysterie erkennen, mit der vor allem Israels Politiker und Militärs auf die Möglichkeit reagieren, daß Rußland den Iranern das Raketenabwehrsystem S-300PMU1 verkaufen könnte. Jene Raketen, deren Batterien auf Lastwagen montiert werden und die eine Reichweite von 145 Kilometer haben sowie 2 Kilometer pro Sekunde schnell fliegen können, gelten als ausschließliche Defensivwaffen. Die Israelis und ihre Verbündeten drängen darauf, daß Rußland die Bestellung Teherans storniert, weil sie nicht wollen, daß sich der Iran im Notfall wirksam gegen feindliche Kampfflugzeuge und Raketen schützen kann. Was die Verlegung der PAC-3-Batterien nach Bahrain, Katar, Kuwait und die Vereinigten Arabischen Emiraten sowie die dauerhafte Stationierung zweier Aegis-Lenkwaffenzerstörer am Persischen Golf durch die Obama- Regierung betrifft, so sollte man nicht vergessen, daß in den Monaten vor dem Angriff auf den Irak im März 2003 George W. Bush und Tony Blair stets beteuerten, der angloamerikanische Truppenaufmarsch in der Region diene ausschließlich dazu, Druck auf Bagdad auszuüben, der Krieg sei keineswegs beschlossen worden. Also sind die Verlautbarungen Washingtons bezüglich sogenannter "Schurkenstaaten" stets mit höchster Vorsicht zu genießen.

1. Februar 2010