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NAHOST/964: Lösung des Atomstreits mit dem Iran zum Greifen nahe (SB)


Lösung des Atomstreits mit dem Iran zum Greifen nahe

Obama offenbar um Entspannung mit dem Iran bemüht


Im Streit um das iranische Atomprogramm, das der Regierung in Teheran zufolge ausschließlich zivilen Zwecken wie der Energieproduktion dient, hinter dem jedoch bestimmte Kreise im Westen die heimliche Entwicklung von Nuklearwaffen seitens der Islamischen Republik postulieren, zeichnet sich allmählich eine Lösung ab. Bei den jüngsten beiden Verhandlungsrunden Anfang und Mitte Oktober in Genf zwischen der Gruppe 5+1 - die fünf ständigen Mitgliedsländer des Sicherheitsrats, das heißt China, Frankreich, Großbritannien, Rußland und die USA, plus Deutschland - auf der einen Seite und dem Iran auf der anderen haben die Unterhändler eine Formel gefunden, wie die Ängste um den Bau einer iranischen Atombombe mittelfristig besänftigt werden können und die Zeit für eine umfassendere Versöhnung zwischen Washington und Teheran gewonnen werden kann, die sich seit der Islamischen Revolution und dem Sturz des Schahs 1979 feindlich gegenüberstehen. Dieser Formel zufolge sollen die Iraner bis Ende des Jahres knapp über 800 ihrer rund 1000 Kilogramm schwach - zu drei Prozent - angereichertes Uran-235 ins Ausland exportieren und später anstelle diesen Materials rund 200 Kilo auf 20 Prozent angereichertes zurückbekommen, um es in einen Testreaktor in Teheran einführen und daraus Isotope für medizinische Zwecke gewinnen zu können.

Die iranische Delegation in Genf hat diesem Kompromißvorschlag unter dem Vorbehalt zugestimmt, daß die Regierung in Teheran das letzte Wort habe. Seit einigen Wochen kommen jedoch aus der iranischen Hauptstadt unterschiedliche Signale. Offenbar ist sich die iranische Führung selbst uneinig darin, ob man sich auf den Deal einlassen soll oder nicht. Dies hängt unter anderem mit den politischen Turbulenzen im Iran nach der umstrittenen Wiederwahl von Präsident Mahmud Ahmadinedschad im Juni ab, die von schweren Manipulationsvorwürfen überschattet wurde. Auch wenn westliche Geheimdienste noch lange nicht soweit in die wochenlangen Proteste gegen den Wahlausgang verwickelt gewesen sein mögen, wie die Hardliner in Teheran es einem glauben lassen möchten, so haben die von den westlichen Medien gefeierten Bemühungen um eine "grüne Revolution" bei der iranischen Regierung sehr wohl die Ängste vor einem von außen gesteuerten "Regimewechsel" geschürt. Des weiteren dürfte der verheerende Bombenanschlag, mit dem die angeblich von der CIA unterstützte, sunnitische Separatistengruppe Jundullah am 18. Oktober - und damit am Vorabend der letzten Verhandlungsrunde in Genf - in der iranischen Provinz Sistan-Belutschistan 49 Menschen, darunter mehrere der ranghöchsten Offiziere der iranischen Revolutionsgarden tötete, das Vertrauen Teherans in den guten Willen der Amerikaner nicht gerade gestärkt haben.

Mit dem Export des größten Teils des iranischen Vorrats an angereichertem Uran soll der Islamischen Republik für einige Zeit jene Möglichkeit genommen werden, die vor allem von israelischen Sicherheitsfanatikern und ihren neokonservativen Verbündeten in den USA hochgespielt wird, nämlich daß die Regierung in Teheran von einem Tag auf den anderen den Austritt aus dem Atomwaffensperrvertrag erklärt, besagtes Material auf Waffentauglichkeit anreichert und daraus einen Nuklearsprengkopf herstellen läßt. Eigentlich ist das Szenario mehr als abstrus, erstens weil der Nicht-Verbreitungsvertrag beim Austritt auch eine Frist von einem Monat vorsieht und zweitens weil die Iraner anschließend immer noch ein gutes Stück Arbeit vor sich hätten, das schwach angereicherte Uran auf mehr als 90 Prozent anzureichern. Beide Faktoren bedeuten, daß die internationale Staatengemeinschaft noch genügend Zeit hätte, Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Wobei sich natürlich die Frage stellt, was man meint, was die Iraner mit der einen Atombombe anstellen könnten. Etwa Israel damit angreifen? Dafür fehlen ihnen die Voraussetzungen. Der Bau einer Atombombe ist nicht dasselbe wie der eines Atomsprengkopfes und der dazu passenden ballistischen Rakete. Ohnehin wären die Iraner nur in den Vorstellungen unverbesserlicher Rassisten so verrückt, Israel, das über rund 200 Nuklearwaffen verfügt und mit der Supermacht USA verbündet ist, atomar anzugreifen.

Nichtsdestotrotz spielt die Idee eines Exports des iranischen Vorrats an schwach angereichertem Uran-235 eine nicht unwichtige Rolle beim derzeit diskutierten Kompromißvorschlag. Im Iran selbst ist man von der Vorstellung, dasjenige Uran, in dessen Anreicherung man soviel Zeit und Energie investiert hat, aus der Hand zu geben, nicht besonders angetan. Man scheint akzeptieren zu können, daß das Materiel nach Rußland kommt und dort angereichert wird. Über die geplante Rolle Frankreichs, das aus dem Material aus Rußland die Brennstäbe für den kleinen Reaktor in der medizinischen Forschungsanlage in Teheran herstellen soll, ist man aufgrund früherer schlechter Erfahrungen weniger glücklich. In den siebziger Jahren hat der Iran unter anderem für den Bau von fünf französischen Kernkraftwerken im Iran rund 1,2 Milliarden Dollar an Paris bezahlt. Nach dem Sturz des Schahs haben die Franzosen den Deal storniert, das Geld jedoch behalten. Auch die harte Linie, die in letzter Zeit der französische Präsident Nicolas Sarkozy im "Atomstreit" mit Teheran verfolgt, läßt bei den Iranern Zweifel an dessen Absichten aufkommen. Diese Aspekte erklären jedenfalls, warum die Iraner bislang eine Involvierung Frankreichs ablehnen und ihrerseits vorschlagen, ihren Uran-Vorrat nicht auf einmal außer Landes zu geben. Statt dessen regt man, nur die Hälfte wegzugeben und erst nach deren Rückerhalt - in Form mittelangereicherter Brennstäbe für den medizinischen Gebrauch - die zweite Hälfte zu exportieren. Darüber hinaus werden Stimmen laut, der Iran dürfe gar kein Uran aus der Hand geben, ohne gleichzeitig aus dem Ausland Material für die Herstellung medizinischer Isotope zu erhalten.

Interessant in diesem Zusammenhang ist das Verhalten der Obama-Regierung, das mitnichten auf die ständigen Drohungen von Außenministerin Hillary Clinton, im Falle eines Scheiterns der Verhandlungen schwere Wirtschaftssanktionen gegen den Iran zu verhängen, reduziert werden kann. Wie das Nachrichtenmagazin Time vor einiger Zeit berichtete, soll es Obama selbst gewesen sein, der im Frühsommer den Bedarf der Iraner nach Isotopen für die Krebsbehandlung als Gelegenheit zum Entgegenkommen erkannte und in den darauffolgenden vier Monaten insgesamt "dreimal während geheimer, multilateraler Verhandlungen persönlich eingegriffen" hat, um den Kompromißvorschlag voranzutreiben. Am 9. November hat Obamas Botschafter bei der Internationalen Atomenergieorganisation (IAEO) in Wien, Glyn Davies, Verständnis für den schwierigen Entscheidungsprozeß in Teheran gezeigt und die Hoffnung zum Ausdruck gebracht, daß die Iraner dem vorliegenden Kompromiß zustimmen.

Im Iran selbst gibt es erste Anzeichen, daß die Zeit gekommen ist, das Kriegsbeil zu begraben. Anläßlich des 30. Jahretages der Erstürmung und Besetzung der US-Botschaft in Teheran, welche die 444tägige Geiselnahme für die dort stationierten Mitarbeiter des State Department einleitete, hat Großajatollah Hussein Montaseri, einst Berater vom Revolutionsführer Khomeini, als erster hoher Geistlicher der Islamischen Republik das damalige Handeln der iranischen Studenten verurteilt, vor allem weil es die Beziehungen zwischen beiden Ländern so nachträglich vergiftet hat.

10. November 2009