Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → REDAKTION

NAHOST/962: Auf das Massaker in Gaza folgt das Schlachten Goldstones (SB)


Dem Untersuchungsbericht ergeht es ähnlich wie den Palästinensern


Nach dem Massaker der israelischen Angriffsarmee im Gazastreifen steht nun das Schlachten des Goldstone-Berichts auf dem Programm. Daher kann es nicht überraschen, daß auch im Krieg der Worte größte Kaliber aufgefahren werden, um die Einwände gegen das Blutbad und seine Urheber zu pulverisieren. Zwangsläufig bleibt die vielzitierte Wahrheitsfindung und Gerechtigkeit auf der Strecke, wenn die dominierenden Mächte ihre Definitionsgewalt durchsetzen. Recht behält am Ende, wem es gelingt, die eigene Version mit brachialer Wucht in Stellung zu bringen. Wahrheit bleibt, wie schon der Wortsinn sagt, was man bevorzugt, Gerechtigkeit die Sicherung des eigenen Besitzstands. Wer dabei von vornherein den kürzeren zieht, liegt auf der Hand.

Im Verlauf der dreiwöchigen "Operation gegossenes Blei" wurden zwischen dem 27. Dezember und 18. Januar rund 1.400 Palästinenser, darunter Hunderte Zivilisten, und 13 Israelis getötet, wobei letztere zum Teil durch Feuer der eigenen Seite starben. Allein auf Grundlage dieser Zahlen und ohne nähere Kenntnis der Umstände könnte jedes Kind vom Prinzip her beurteilen, was sich im Gazastreifen abgespielt hat. Wenn eine Armee drei Wochen lang wüten kann, ohne nennenswerte Verluste hinnehmen zu müssen, während die Gegenseite einen derart hohen Blutzoll erleidet, waren die Angreifer haushoch überlegen und die Verteidiger so schwach, daß man schlechterdings nicht von Krieg sprechen kann. Dies bestätigten im übrigen auch heimkehrende israelische Soldaten, die ihrer Verwunderung darüber Ausdruck verliehen, daß die Palästinenser über keinerlei schwere Waffen verfügten und militärisch nahezu hilflos waren.

Der Verdacht, die viertstärkste und vermutlich modernste Armee der Welt habe weitgehend verteidigungsunfähige Gegner und zahlreiche Zivilisten abgeschlachtet, erwächst schon aus dieser Konstellation. Er wird erhärtet durch zahlreiche Medienberichte aus der islamischen Welt wie auch Untersuchungen des Roten Kreuzes, internationaler Hilfsorganisationen und nicht zuletzt der Vereinten Nationen. Der Goldstone-Bericht kommt zu dem Schluß, es seien Kriegsverbrechen und vermutlich auch Menschenrechtsverletzungen verübt worden, wobei er auch Vorwürfe gegen die palästinensische Seite erhebt.

Wie nicht anders zu erwarten, war die UNO-Vollversammlung in der Debatte über den Goldstone-Bericht tief gespalten. Zur Abstimmung stand eine Resolution der arabischen Länder, in der sowohl Israelis als auch Palästinenser zu einer "unabhängigen" und "glaubwürdigen" Untersuchung möglicher Menschenrechtsverletzungen während der israelischen Offensive zum Jahreswechsel 2008/2009 aufgefordert werden.

Der libysche Diplomat und Präsident der Vollversammlung, Ali Treki, rief die Mitgliedsstaaten zur geschlossenen Unterstützung auf: "Lassen Sie uns im Interesse der Menschenrechte zusammenstehen." Verstöße gegen internationales Recht müßten geahndet werden: "Ohne Gerechtigkeit kann es keinen Fortschritt im Friedensprozeß geben." Hingegen lehnte die israelische UNO-Botschafterin Gabriela Shalev den Bericht erneut als falsch und einseitig ab: "Wir sind dem Frieden verpflichtet. Aber wir müssen unser Recht auf Selbstverteidigung behalten." Wie Shalev sagte auch der palästinensische UNO-Beauftragte Rijad Mansur die grundsätzliche Bereitschaft zu, die Vorwürfe aufzuklären. "Wir wollen aber deutlich machen, daß es absolut keine Gleichsetzung von Besatzern und Besetzten geben darf", betonte Mansur. [1]

Israel nimmt mit dem Recht des Stärkeren für sich in Anspruch, seine Interessen mit allen Mitteln zu verteidigen. Das gilt insbesondere für den Gazastreifen, der völkerrechtswidrig in ein Freiluftgefängnis verwandelt worden ist, das man nur deswegen nicht offen als Vernichtungslager bezeichnet, weil man den leidigen Streit um die Verfügungsgewalt über bestimmte Begriffe kennt, der die tagtägliche Drangsalierung und Dezimierung durch Hunger, verseuchtes Wasser, Krankheiten und nicht selten auch Bomben und Granaten verschleiern soll.

Wie groß das Interesse an dieser Kontroverse ist, unterstrich die Zahl von 50 Ländervertretern auf der Rednerliste der Vollversammlung. Die Resolution sieht vor, die Dokumentation des südafrikanischen Juristen und früheren Chefanklägers der UNO-Tribunale für das ehemalige Jugoslawien und Ruanda, Richard Goldstone, an den UNO-Sicherheitsrat weiterzuleiten. Auf seiten Israels befürchtet man, daß der Bericht auf diesem Weg schließlich vor den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag gelangt. Aus diesem Grund hat die israelische Regierung die sogenannte Staatengemeinschaft zur Opposition gegen den Goldstone-Bericht aufgefordert. "Die Palästinenser manipulieren die internationalen Institutionen, um Israel zu schwächen und zu kritisieren", hatte der israelische Vize-Außenminister Danny Ajalon während eines Sondertreffens mit dem diplomatischen Korps in Jerusalem behauptet. [2]

Um zu verhindern, daß die Palästinenser vor internationalen Institutionen Gehör finden, sprangen die USA als wichtigster Bündnispartner Israels in die Bresche. Am Vorabend der Debatte in der UNO-Vollversammlung hatte das US-Repräsentantenhaus den Goldstone-Bericht als "hoffnungslos unausgewogen und einer weiteren Beachtung oder Legitimität unwürdig" kritisiert. Eine entsprechende Resolution wurde von den Abgeordneten mit 344 zu 36 Stimmen verabschiedet. Sie forderten US-Präsident Barack Obama und Außenministerin Hillary Clinton auf, einer "Unterstützung oder Erörterung" des UNO-Berichts "unmißverständlich" eine Absage zu erteilen.

Der Fraktionschef der Demokraten, Steny Hoyer, nannte das Dokument "unfair, unausgewogen und fehlerhaft" im Hinblick auf die Beurteilung des israelischen Militäreinsatzes Anfang des Jahres. Hingegen erklärte sein Parteikollege Brian Baird, der gegen die Resolution gestimmt hatte: "Ich war im Gazastreifen und habe den gesamten Goldstone-Bericht gelesen. In ihm sind einige Dinge enthalten, die - auch wenn sie unangenehm sind - stimmen und nicht unter den Teppich gekehrt werden dürfen."

Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch erklärte dazu, der Kongreß dürfe Untersuchungen zu dokumentierten Vorwürfen strafrechtlich relevanter Aktivitäten nicht entmutigen. Die im Repräsentantenhaus verabschiedete Resolution, die den Goldstone-Bericht verurteilt, enthalte sachliche Fehler und trage dazu bei, die Verantwortlichen für schwerwiegende Verstöße sowohl auf seiten Israels als auch der Palästinenser vor Strafverfolgung zu schützen, sagte Sarah Leah Whitson, die Direktorin für den Nahen Osten und Nordafrika. [3]

Richard Goldstone, der zuvor schon die Kritiker seines Berichts namentlich in Kreisen der Obama-Administration angemahnt hatte, ihre Einwände zu spezifizieren und vor allem zu begründen, blieb man erneut eine Antwort schuldig. Um nicht Schlimmeres annehmen zu müssen, hatte der Sonderbeauftragte des UNO-Menschenrechtsrats die Vermutung in den Raum gestellt, man habe den Report seiner Kommmission offenbar gar nicht gelesen. Daraus erklärt sich die Wortwahl des demokratischen Abgeordneten Baird, er habe den Bericht gelesen und überdies dessen Inhalt bei einem Besuch des Gazastreifens bestätigt gefunden.

In einem offenen Brief an den Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten des US-Repräsentantenhauses listete Goldstone nicht weniger als 16 Fälle auf, in denen die verabschiedete Resolution seinen Bericht entstellt habe. Wenngleich es das gute Recht des Repräsentantenhauses sei, den Bericht zu bewerten, enthalte die Resolution doch "ernsthafte sachliche Ungenauigkeiten und Fälle, in denen Informationen und Stellungnahmen aus dem Kontext gerissen" seien. [4]

Das Problem ist offensichtlich weder eine fehlende oder unzulängliche Möglichkeit, sich über die Fakten zu informieren, noch eine fehlerhafte oder unfaire Bilanz des Goldstone-Berichts. Auch wenn es nicht immer in aller Deutlichkeit ausgesprochen wird, erklären Israel und die USA, sie dürften im Namen der eigenen Sicherheit massakrieren, wen immer sie wollen, ohne dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden.

Anmerkungen:

[1] Krieg im Nahen Osten. UN ringen um faire Antwort auf Goldstone- Bericht (04.11.09)
http://www.abendblatt.de/politik/article1258449/UN-ringen-um-faire- Antwort-auf-Goldstone-Bericht.html

[2] Gaza-Offensive. US-Kongress kritisiert Goldstone-Bericht (04.11.09)
http://derstandard.at/fs/1256743983777/Gaza-Offensive-US-Kongress- kritisiert-Goldstone-Bericht

[3] UN General Assembly to take up Goldstone report on Gaza war crimes (05.11.09)
http://www.csmonitor.com/2009/1104/p02s13-usfp.html

[4] U.N. Set to Endorse Inquiry Into Possible War Crimes in Gaza (05.11.09)
New York Times

5. November 2009