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LAIRE/1382: Islam - Landkarten und Deutungshoheit ... (SB)



In Österreich ist eine öffentliche Debatte über die Frage entbrannt, ob eine Landkarte, auf der muslimische Einrichtungen verzeichnet sind, die Menschen dieser Religion diskriminiert oder nicht. Die Landkarte war ursprünglich 2012 von der Universität Wien erstellt worden, was zwar damals schon Kritik hervorgerufen hatte, aber sehr viel weniger öffentliche Beachtung fand als gegenwärtig. Inzwischen ist die Karte von der Dokumentationsstelle Politischer Islam erweitert und mit der Überschrift "Islam-Landkarte. Islamische Vereine und Moscheen in Österreich" auf einer eigenen Internetseite zugänglich gemacht worden. [1]

Ende Mai waren auf der Karte 623 muslimische Organisationen, Verbände und Moscheen mit ihrem jeweiligen Hauptsitz in Österreich markiert. Am Rande der inzwischen nur noch eingeschränkt nutzbaren Internetseite waren Adressen und teils auch private Telefonnummern von Menschen bzw. Organisationen dieser Einrichtungen aufgeführt.

Da die für die aktuelle Veröffentlichung der Karte verantwortliche, im vergangenen Jahr ins Leben gerufene Einrichtung nicht etwa Dokumentationsstelle Islam heißt, sondern Dokumentationsstelle "Politischer" Islam bzw. im vollen Wortlaut "Österreichischer Fonds zur Dokumentation von religiös motiviertem politischen Extremismus (Dokumentationsstelle Politischer Islam)", liegt die Lesart durchaus nahe, dass die Landkarte die Verbreitung des politischen Islam oder diesem nahestehende Einrichtungen zeigen soll. Bezeichnenderweise wird in der internationalen und österreichischen Presse von "Landkarte des politischen Islam" geschrieben, sogar dann noch, wenn dies im Verlauf des Artikels zurückgenommen und gesagt wird, dass hier sämtliche islamischen Einrichtungen aufgeführt sind.

Die Reaktion von Teilen der Bevölkerung auf die Veröffentlichung spricht eine deutliche Sprache. Bereits kurze Zeit nach Aufkochen der Debatte Ende Mai, Anfang Juni in den Medien wurden vor einer Reihe der aufgelisteten muslimischen Einrichtungen Warntafeln mit der Aufschrift "Achtung! Politischer Islam in deiner Nähe" und klein darunter "mehr Infos auf islam-landkarte.at" sowie dem stereotypen Konterfei eines bärtigen Mannes mit muslimischer Kopfbedeckung aufgestellt.

Die österreichische Integrationsministerin Susanne Raab (ÖVP) und die für das Projekt unmittelbar Verantwortlichen wie Prof. Dr. Ednan Aslan verteidigen die Veröffentlichung der Karte und widersprechen dem unter anderem vom Verband Muslimische Jugend Österreich (MJÖ) erhobenen Vorwurf, diese sei diskriminierend.

Sicherlich wollen die Verantwortlichen nicht den Eindruck erwecken, sie hegten diskriminierende Absichten, doch so leicht können sie sich nicht aus der Affäre ziehen. Zunächst einmal ist festzustellen, dass die ursprüngliche Bedeutung von "diskriminieren", das auf lateinisch "discriminare" zurückgeht, keinen Zweifel an der beschriebenen Tätigkeit lässt. Mit dem Begriff ist "trennen, absondern, unterscheiden" gemeint. Wer wollte leugnen, dass eben das mit der Islam-Landkarte betrieben wird. Das geht selbst aus der Stellungnahme Aslans von Anfang Juni hervor. Er schrieb als Kommentar auf www.islam-landkarte.at/, dass er die politische Instrumentalisierung der Landkarte durch Rechtsextremisten bedauere, denn:

"Die Islamlandkarte wollte eine differenzierte Diskussion über das islamische Leben in Österreich ermöglichen und einen positiven Beitrag leisten. Es sollte die Vielfalt des islamischen Lebens in Österreich aufgezeigt werden - in all seinen Schattierungen."

Selbst noch in dieser um eine positive Rezeption bemühten Erklärung klingt der im wesentlichen trennende Charakter der Islam-Landkarte an, da von "Schattierungen" in der "Vielfalt" des islamischen Lebens und somit von Unterschieden die Rede ist. Das gilt sogar für das Postulat der Vielfalt. Denn um eine Vielfalt feststellen zu können, muss der Blick zuvor das Trennende gesehen haben. Wer beispielsweise die Vielfalt der Angebote an Obst an einem Marktstand bewundert, unterscheidet dazu in Erdbeeren, Melonen, Äpfel, Birnen, etc.

Noch deutlicher tritt das Trennende in den Erklärungen Raabs hervor, die beispielsweise gegenüber der Zeitung "Die Welt" sagte:

"Es geht hier keineswegs um einen Generalverdacht gegen Muslime (...) Es geht um den gemeinsamen Kampf gegen den politischen Islam als Nährboden für Extremismus." [2]

Anlässlich des Aufstellens von Warntafeln durch Rechtsextreme legte sie gegenüber oe24 nach: "Wir müssen als Gesellschaft weiterhin gegen den Extremismus von allen Seiten konsequent vorgehen." [3]

Damit betreibt Raab eine kaum verhohlene Gleichsetzung, indem sie rechtsextreme Gruppierungen wie die Identitären auf eine Seite und die auf der Islam-Landkarte aufgelisteten Einrichtungen auf die andere stellt. Und über allem thront die "Gesellschaft", als deren Verteidigerin sich die Politikerin in Stellung bringt. Sie redet damit gezielt an der Verunglimpfung durch die Islam-Landkarte vorbei. Als habe sich in den letzten Jahrzehnten keine kritische Kartographie entwickelt, wird von den Verantwortlichen ganz nach dem Motto, man wird ja wohl mal eine Karte veröffentlichen dürfen, der Eindruck erweckt, die Landkarte an sich sei wertneutral und bilde nur die Wirklichkeit ab.

Selbst beim Berufsstand der Kartographinnen und Kartographen, der eher zu konservativen Wertvorstellungen neigt, gilt spätestens seit den 1980er Jahren nicht mehr, dass Landkarten wertneutral die Wirklichkeit wiedergeben. Damals begann u.a. der Kartograph John Brian Harley die Repräsentation der Realität zu analysieren und stellte dabei fest, dass Karten soziale Wirklichkeiten beschreiben. [4] Mehr noch, unter dem Titel "Kritische Kartographie" wurde seitdem hinlänglich herausgearbeitet, dass und wie Karten soziale Wirklichkeiten nicht nur abbilden, sondern produzieren.

Über die Fachkreise hinaus wurde das Beispiel der Weltkarte diskutiert. Eine gekrümmte Oberfläche wie die der Erde lässt sich nicht eins zu eins auf einer ebenen Fläche darstellen. Die Kartographie muss bei den Längen- und Flächenverhältnissen immer Kompromisse eingehen, wenn sie eine Kugel auf eine Fläche projiziert. Die jeweiligen Ergebnisse sind dann interessengelenkt.

Im Diercke-Weltatlas, dem Schulbuch-Klassiker des vergangenen Jahrhunderts, wird die sogenannte Mercator-Projektion bevorzugt. Dabei wird Europa (das vermeintliche Zentrum der Welt) in die Mitte gerückt; und damit es flächenmäßig größer erscheint, läuft der Äquator nicht durch die Mitte der Darstellung, sondern rückt ein wenig mehr an den unteren Rand. Das hat zur Folge, dass Europa vom oberen Rand ebenfalls näher zur Mitte rutscht und größer erscheint. Aus der Sicht der damaligen Nutzer, der von Gerhard Mercator (5. März 1512 - 2. Dezember 1594) gezeichneten Karte, der europäischen Seefahrtnationen, eine nachvollziehbare, ihren Handels- und Kolonisierungsinteressen entgegenkommende Darstellung.

Eben deshalb steckt in einer Weltkarte eine politische Aussage. Das Bild von Europa im Mittelpunkt des Weltgeschehens verfestigt sich in den Köpfen und trägt, in der Summe mit weiteren Faktoren, zur Vorstellung der eigenen Überlegenheit über andere Völker bei. Würde man beispielsweise den Pazifik in den Mittelpunkt der Weltkarte rücken, läge Europa irgendwo links oben in der Ecke - eine zivilisatorische Randlage nahe dem unwirtlichen Nordpol. Nebenbei angemerkt: Die Menschen auf den pazifischen Inseln bezeichnen den Pazifik als "flüssigen Kontinent", um eine größere Anerkennung zu erfahren.

Die Islam-Landkarte soll, wie jede andere auch, nur einen Ausschnitt von etwas zeigen und den Blick auf bestimmte Aspekte lenken. Eine Landkarte "zeigt" auch das, was nicht auf ihr abgebildet wird. Geradezu legendär sind die See- und Landkarten, auf denen jene "Entdeckungsreisen" eingezeichnet sind, die dem europäischen Kolonialismus als Orientierungshilfe bei der Durchsetzung seiner Eroberungs-, Unterwerfungs- und dauerhaften Ausbeutungsinteressen zunächst vorausgingen und ihn später begleiteten. Der Besitz mancher Karten wurde in Gold aufgewogen, nicht nur wenn sie den mutmaßlichen Weg nach Eldorado zeigten.

Beispielsweise wurden einst die Karten Nordamerikas nicht in der Absicht gezeichnet zu verdeutlichen, dass dort bereits Menschen leben, denen ein Anrecht auf Ungestörtheit zuzuerkennen sei, sondern sie waren so gestaltet, dass sie den territorialen Zugewinn der jeweiligen, damals noch miteinander konkurrierenden europäischen Länder zeigten und, seltener, die Siedlungsräume der ursprünglichen Bevölkerung, die jedoch vorwiegend als Störfaktor und Gefahr auf dem Vormarsch der Weißen nach Westen dargestellt wurde.

Die ursprüngliche Bevölkerung war in Reservate gesteckt worden, also in Einrichtungen, deren Grenzen wiederum auf Karten festgehalten worden waren. In den Händen einer höheren Gewalt, die stets mit überlegenen militärischen Mitteln durchgesetzt wurde, bildeten solche Karten ein ausgezeichnetes Zwangsmittel. Sie waren Ausdruck der beanspruchten Verfügungsgewalt.

Nur weil die in der österreichischen Islam-Landkarte repräsentierte Gewalt vielleicht nicht sofort ins Auge springt, bedeutet das nicht, dass hinter dem Werk nicht die massive Gewalt staatlicher oder vom Staat initiierter Institutionen steckt. Nicht zufällig gehen die Begriffe "Gewalt" und "Verwaltung" etymologisch auf das gleiche Verb zurück, nämlich "walten". Gemeint ist damit "in Gewalt haben", "herrschen", "besitzen". Hier wird ein Verfügungsanspruch reklamiert, letztlich ein Übergriffsrecht der Verwaltung gegenüber den Subjekten, hier: sämtlichen muslimischen Einrichtungen. Ganz so, als erforderten diese von ihrem Wesen her eine administrative Sonderbehandlung. Passend dazu heißt es in der Sendung "Mit offenen Karten - Die Karten der anderen" vom Februar 2009 auf arte auf das Beispiel Chinas und Tibets bezogen:

"Nichts eignet sich besser als Verwaltungsmaßnahmen und Karten, wenn es darum geht, einen Keil zwischen eine historische Realität und eine Identität zu treiben." [5]

Übertragen auf das Beispiel der Islam-Landkarte wäre die rhetorisch gemeinte Frage zu stellen: Soll damit ein Keil zwischen islamische Einrichtungen im allgemeinen und jene des politischen Islam getrieben werden, wie behauptet, oder nicht doch zwischen die Mehrheitsgesellschaft und die islamischen Einrichtungen Österreichs im allgemeinen?

In dem Fall der Islam-Landkarte geht es zwar den unmittelbar Verantwortlichen erklärtermaßen nicht darum, alle islamischen Einrichtungen als potentiellen Nährboden für politischen Islam, wie er sich in Österreich und anderen europäischen und vor allem außereuropäischen Ländern in den letzten Jahren gewaltsam Gehör verschafft hat, zu markieren. Und doch ist das die - mindestens versteckte - Botschaft. Die Islam-Landkarte nicht als zutiefst diskriminierend auszuweisen, wäre geradezu als Bestätigung dessen anzusehen, weswegen sie so heftig kritisiert wird. Keine Frage, der politische Islam präsentiert sich als Feind der Demokratie, mit der Islam-Landkarte jedoch wird ein Feindbild produziert.


Fußnoten:

[1] www.islam-landkarte.at/

[2] https://tinyurl.com/69anmnzy

[3] https://www.oe24.at/oesterreich/chronik/wien/hier-montieren-identitaere-die-islamisten-warntafeln/479402701

[4] https://tinyurl.com/yvuxw5jh

[5] https://www.youtube.com/watch?v=YpvJymIpbGw

15. Juni 2021

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick zum 22. Juni 2021


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