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ZOOLOGIE/899: Ameisenkolonien mit großer Verhaltensvielfalt sind erfolgreicher (idw)


Johannes Gutenberg-Universität Mainz - 01.07.2011

Ameisenkolonien mit großer Verhaltensvielfalt sind erfolgreicher

Neue Ergebnisse aus der Verhaltensforschung von Ameisen: Mainzer Forscher bringen erstmals empirischen Nachweis, dass Verhaltensvielfalt, die vermutlich die Grundlage der Arbeitsteilung im Ameisenstaat ist, die Fitness staatenbildender Insekten steigern kann


Sie überfallen andere Kolonien, plündern und rauben, töten die Bewohner und halten Gefangene als Sklaven: Ameisen gelten für gewöhnlich als die sozialen Lebewesen schlechthin, die bereit sind, alles für ihre eigene Gemeinschaft zu opfern. Anderen Kolonien gegenüber können sie allerdings ein äußerst aggressives Verhalten an den Tag legen. Die Evolution und das Verhalten von Ameisen, insbesondere das Verhältnis zwischen sozialparasitären Ameisen und ihren Sklaven, untersucht am Institut für Zoologie der Johannes Gutenberg-Universität Mainz die Arbeitsgruppe von Univ.-Prof. Dr. Susanne Foitzik. Die Mainzer Evolutionsbiologen haben nun festgestellt, dass Ameisenkolonien produktiver sind und mehr Nachwuchs großziehen, wenn die Arbeiterinnen einer Kolonie sich stark in ihrer Aggressivität unterscheiden. Diese Varianz im Aggressionsverhalten ist möglicherweise ein Teil ihrer Arbeitsteilung, die generell als eine Grundlage des Erfolgs von staatenbildenden Insekten gesehen wird.

Weltweit gibt es über 15.000 Ameisenarten und von ca. 150 mitteleuropäischen Arten lebt ein Drittel parasitär, also auf Kosten anderer Ameisenarten. Dazu gehören auch die Sklavenhalter-Ameisen, die an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz mit besonderem Interesse beobachtet werden. Die Art Temnothorax longispinosus gehört nicht zu den Sklavenhaltern, sondern kann selbst Opfer werden: Die versklavten Arbeiterinnen übernehmen dann für den Sozialparasiten die Futtersuche und die Aufzucht der fremden Brut. T. longispinosus lebt in Eichen-Mischwäldern im Nordosten der USA, wo sie ihre Nester in der Laubstreu in Eicheln, Nüssen und kleinen Zweigen baut. Sie bildet Kolonien mit durchschnittlich 35 Arbeiterinnen, die sich vorwiegend von toten Insekten ernähren. Die Arbeiterinnen sind mit 2 bis 3 Millimetern Länge sehr klein.

"Temnothorax ist für unsere Versuche besonders gut geeignet, weil ihre Kolonien relativ einfach im Labor zu halten sind und somit große Stichproben erreicht werden können", erklärt Andreas Modlmeier, der für seine Doktorarbeit die Persönlichkeit von Ameisen untersucht. Das "Personality"-Konzept hat gerade in den letzten Jahren wieder verstärkt Einzug in die Verhaltensforschung gefunden. "Wir gehen heute davon aus, dass es bei den Ameisen einen Kolonie-Charakter gibt, aber eben auch individuelle Persönlichkeitsmerkmale innerhalb einer Ameisenkolonie", erklärt Susanne Foitzik. Ein solches Merkmal ist die Aggressivität. Aggressive Kolonien fliehen beispielsweise seltener als andere.

Modlmeier hat in seinen Versuchen einzelne Ameisen mit toten Artgenossen zusammengebracht und beobachtet, wie häufig es zu aggressiven Interaktionen kommt. Dazu zählte er die Öffnung der Mandibeln, was eine Drohgebärde darstellt, Beißen, Zerren oder Stechen. Von 39 verschiedenen Kolonien wurden jeweils 10 Arbeiterinnen ausgesucht und anhand ihrer Größe, ihrer Aggressivität und ihres Explorationsverhaltens charakterisiert. Es zeigte sich, dass die Produktivität der Ameisenkolonien - gemessen als produziertes Gesamtgewicht an Nachkommen pro Arbeiterin - umso höher war, je stärker die Aggressivität der Ameisen innerhalb der Kolonie variierte, also je ausgeprägter der Unterschied zwischen den zehn Tieren im Hinblick auf ihre Aggressivität ausfiel. "Vielleicht sind Kolonien produktiver, wenn Aufgaben wie Nestverteidigung und Brutpflege unter spezialisierten Arbeiterinnen mit unterschiedlichen Aggressionsschwellen verteilt sind", vermutet Modlmeier. Tiere mit niedrigerer Aggressionsschwelle könnten sich im Wettbewerb und im Kampf mit anderen Kolonien engagieren, während weniger aggressive, soziale Arbeiterinnen die Nachkommen versorgen. Bemerkenswert: Unter den 39 Kolonien fand sich keine einzige, die hochgradig aggressiv war. "Komplett aggressive Kolonien gibt es nicht. Das scheint sich in der Natur nicht zu lohnen, sondern ein Nachteil zu sein", vermutet Modlmeier.

Zwar wurde bisher schon angenommen, dass zwischen den Variationen im Charakter bzw. dem Verhalten der Arbeiterinnen und der Arbeitsteilung in der Kolonie ein Zusammenhang besteht und dass dies möglicherweise die Grundlage für den ökologischen Erfolg der sozialen Insekten darstellt, allerdings wurde es bislang nicht bewiesen. Mit seiner Arbeit hat Modlmeier nun erstmals einen empirischen Nachweis erbracht, dass Verhaltensvielfalt, die vermutlich die Grundlage der Arbeitsteilung im Ameisenstaat ist, die Fitness staatenbildender Insekten steigern kann.

Die Forschungsarbeiten zum Verhalten und den Persönlichkeitsmerkmalen von Ameisen werden seit November 2010 in dem DFG-Projekt "The evolutionary significance of within- and between-colony variation in behavior, morphology, genetic composition and immuno-competence in ants" gefördert.

Weitere Informationen unter:
http://www.uni-mainz.de/presse/46660.php
- Pressemitteilung

http://www.bio.uni-mainz.de/zoo/evobio/
- Evolutionary Biology Group, JGU

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution218


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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Petra Giegerich, 01.07.2011
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Juli 2011