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FORSCHUNG/138: "Sterben müssen wir alle - es ist nur die Frage, wie gesund wir sterben" (highlights - Uni Bremen)


highlights - Heft 33 / Sommer 2016
Informationsmagazin der Universität Bremen

"Sterben müssen wir alle - es ist nur die Frage, wie gesund wir sterben"


Internet der Dinge, Smart Home, Fitness-Armbänder, Arbeitsanzüge mit Sensoren: Die Digitalisierung durchdringt zunehmend unser unmittelbares Lebensumfeld - bis auf und unter die Haut, wenn es sein muss. Ein Gespräch mit Professor Michael Lawo vom Technologie-Zentrum Informatik und Informationstechnik (TZI) der Universität Bremen über das, was schon technisch möglich gemacht wurde oder bald gemacht wird.


Herr Lawo, das TZI forscht schon lange an tragbarer, zum Teil in Kleidung integrierter Computertechnik. Was ist das Ziel?

Uns ging es dabei nie um den Massenmarkt, sondern um industrielle Einsätze. Wie kann man die Wertschöpfung durch den Einsatz tragbarer Computer erhöhen und die Arbeit angenehmer und sicherer machen? Die große Herausforderung war immer, das während der Arbeit "beiläufig" benutzen zu können. Das System soll dabei durch Sensorik erkennen, in welchem Kontext ich arbeite, und mir dann passende Informationen bereitstellen. Zum Beispiel einem Arbeiter in der Produktion, auf der Bohrinsel oder auf einer Windkraftanlage.


Was davon hat es in den Alltag geschafft?

Auf jeden Fall die Datenbrille, medial repräsentiert durch die Google Glass. Immerhin hat Google mit Android das Betriebssystem festgelegt, das die Infos zahlreicher Sensoren und des Internets miteinander verbindet und auswertet. Wie sowas hinzubekommen ist, hat uns jahrelang beschäftigt. Einer der Kollegen, der in dem von uns koordinierten europäischen Projekt Wearlt@Work mitgearbeitet hat, hat das später bei Google stark vorangetrieben. Die populärer werdenden Fitness-Armbänder und ähnliche Dinge sind "Abfallprodukte" aus diesem Projekt. Die technologische Entwicklung und die Miniaturisierung, getrieben vom Smartphone-Boom, hat die Entwicklung von tragbarer Computertechnik beschleunigt.


Können tragbare Computertechnik und Sensornetzwerke alten Menschen helfen?

Sehr! Wir haben eine leichtere Bedienung von Computern durch Senioren schon vor vielen Jahren konzipiert. Und neue Technologien können schon heute Kranken und Alten ganz entscheidend helfen. Wir haben immer nach Lösungen gesucht, die die Lebensqualität erhalten, die den Betroffenen helfen, weiter zu Hause zu leben. Die mittlerweile miniaturisierte und günstige Sensorik ist dabei ein entscheidender Treiber - ein anderer, dass kommende Altengenerationen mit modernen Technologien deutlich vertrauter sind. Ein "Bremser" sind die ungeklärten Rechtsfragen. Fitness-Armbänder setzen sich gerade durch. Aber rein technologisch könnte man die Menschen bereits mit tragbaren medizinischen Geräten versehen. Sensoren können heute sogar schon Emotionen erkennen: Ist der Träger gut drauf oder depressiv? Aber die ethischen Fragen sind noch zu klären.


Werden die tragbaren medizinischen "Tracker" das Leben der Menschen beeinflussen?

Ja, denn sie verändern das Verhalten. Früher hat der Arzt versucht, Menschen von einer ungesunden Lebensweise abzubringen. Heute tun es viele Nutzer von Armbändern ganz von selbst. Die grafisch aufbereiteten Informationen zeigen ihnen: Ich bin zu dick, ich ernähre mich nicht gesund genug, ich bin heute 3.000 Schritte zu wenig gegangen. Das Fazit daraus: Sterben müssen wir alle - es ist nur die Frage, wie gesund wir sterben.


Ein viel diskutiertes Thema ist die Künstliche Intelligenz. Wie lange dauert es noch, bis Computer andere Computer bauen?

Daran glaube ich nicht. Gut, Computer sind mittlerweile besser im Schach oder im Go-Spielen, das sind Indikatoren, dass die Entwicklung weitergeht. Stichwort: maschinelle Lernverfahren. Bei Alltagssituationen sieht das Bild ganz anders aus. Im TZI befassen wir uns auch damit, wie Menschen verstehen, was zu tun ist - und wie das aufbereitet werden muss, damit es ein Computer als Anweisung versteht. Wenn ich einem Menschen sage: Räum das Zimmer auf, dann weiß er genau, was gemeint ist. Ein Roboter schaut einen da - im übertragenen Sinne - nur fragend an. Da sind wir immer noch im Bereich der Grundlagenforschung.


Eine Herrschaft der Maschinen ist nicht zu befürchten?

Zumindest nicht im apokalyptischen Sinne. Natürlich herrschen schon heute Maschinen über uns. Wenn das Flugzeug auf Autopilot geschaltet wird oder uns bald ein Google-Auto durch die Straßen chauffiert, wer hat denn dann das Sagen? Wenn es funktioniert, geben wir die Kontrolle ja gern an Maschinen ab. Und kein Mensch könnte heute ohne maschinelle Hilfe noch ein modernes Auto bauen. Aber dass die Maschinen sich irgendwann zu einer Autorität über uns aufschwingen, bleibt Science Fiction. Solange etwas von Menschen gemacht ist, ist es auch kontrollierbar.


Wie sieht die informationstechnisch unterstützte Welt in 20 Jahren aus?

Was heute schon ansatzweise möglich ist, ist dann selbstverständlich: Wir werden von einem Auto ohne Fahrer nach Hause gebracht. Die Wohnung ist schon beheizt, beleuchtet und das Abendessen brutzelt im Ofen. Der Stromverbrauch ist optimiert, die Jalousien schließen bei Dunkelheit von selbst, der Fernseher startet durch einen Sprachbefehl. Informationen sind noch leichter zugänglich. Und was heute noch an medizinischer Überwachung an das Krankenhaus gebunden ist, werden wir dann anwenderfreundlich zu Hause haben. Ein Arzt muss die medizinischen Daten nicht mehr feststellen, die bringt der Patient gleich mit. Kurzum: Wir werden unsere direkte Umgebung noch besser und intuitiver kontrollieren können.

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Quelle:
highlights - Informationsmagazin der Universität Bremen
Heft 33 / Sommer 2016, Seite 6-9
Herausgeber: Rektor der Universität Bremen
Redaktion: Kai Uwe Bohn, Universitäts-Pressestelle
Postfach 330440, 28334 Bremen
Telefon: 0421/218-601 50
E-Mail: presse@uni-bremen.de
Internet: www.uni-bremen.de/universitaet/presseservice/publikationen/highlights.html
 
"highlights" erscheint zweimal jährlich und ist erhältlich bei der Universitäts-Pressestelle.


veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Juli 2016

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