Schattenblick →INFOPOOL →MEDIZIN → SOZIALES

STUDIE/276: Frauen wünschen sich immer weniger Nachwuchs (Demografische Forschung)


DEMOGRAFISCHE FORSCHUNG - Aus Erster Hand - Nr. 2/2010

Frauen wünschen sich immer weniger Nachwuchs
Dennoch bleibt Zwei-Kind-Familie das Ideal in Österreich

Von Tomás Sobotka


Zwar sind die Fertilitätsraten in vielen Teilen Europas auf deutlich unter zwei Kinder pro Frau gefallen, doch die gewünschte Kinderzahl bleibt üblicherweise bei oder sogar über zwei. Diverse Mehrländerstudien zeigen, dass Österreich eine Ausnahme ist und eventuell einen neuen Trend setzt.


Goldstein, Lutz und Testa hatten in ihrer Analyse der Eurobarometer-Umfrage von 2001 den Schluss gezogen, dass in Österreich und in (West-)Deutschland sowohl die gewünschten als auch die idealen Familiengrößen inzwischen auf besonders niedrige Werte gefallen sind.

Solche Umfragen stützen sich jedoch auf relativ kleine Stichproben (etwa 1000 Interviews pro Land), was ihre Aussagekraft für Detailanalysen einschränkt, für die man größer angelegte Umfragen benötigt. In Österreich werden Frauen zwischen 20 und 40 Jahren seit 1986 (verheiratete Frauen sogar schon seit 1976) in einem Mikrozensus alle fünf Jahre befragt, wie viele Kinder sie sich insgesamt wünschen. Dieser Datensatz, für gewöhnlich mit etwa 5000 verwertbaren Antworten pro Umfrage, macht die Entwicklung der beabsichtigten Familiengröße nach Alter, Geburtsjahrgang und Bildungsstand im Zeitverlauf sichtbar.

In einer neuen Studie[1] des Vienna Institute of Demography werden die Daten von vier Erhebungswellen des österreichischen Mikrozensus der Jahre 1986 bis 2001 analysiert. Der jüngste Mikrozensus (2006) enthielt zwar ebenfalls Fragen zur gewünschten Kinderzahl, unterschied sich aber methodologisch von den früheren Wellen, so dass er in diese Analyse nicht einbezogen wurde.

Zunächst wurden die Frauen zu ihrem Kinderwunsch allgemein befragt ("Haben Sie den Wunsch, irgendwann in Ihrem weiteren Leben (noch) ein oder mehrere Kind(er) zu bekommen?"), danach über die gewünschte Kinderzahl. Das sind scheinbar einfache Fragen, doch die Absichten bezüglich der Anzahl von Kindern bleiben selten lebenslang gleich: Bei vielen Befragten ändern sie sich im Laufe der Zeit. Die Absicht, Kinder zu bekommen, schwankt in Bezug auf Veränderungen im Partnerschaftsstatus und im Gesundheitszustand, sie verändert sich mit der Anzahl bereits geborener Kinder und auch mit dem Alter, was oft zur Abwärtskorrektur einer ursprünglich größeren Familienplanung führt. Außerdem sind viele Menschen unsicher bezüglich der Kinderzahl in ihrer Lebensplanung und können dazu gar keine eindeutige Antwort geben.

Der österreichische Mikrozensus erlaubt daher den Befragten, diese Unsicherheit mit einer ungefähren Antwort auszudrücken (zum Beispiel: "Ich wünsche mir 2 bis 3 Kinder"). Diese Option macht die Berechnung der mittleren beabsichtigten Familiengröße als Summe der derzeitigen und zusätzlich gewünschten Kinderzahl schwieriger. Die neue Studie schlägt eine "Mittelvariantenschätzung" vor, die den Mittelpunkt solcher ungefähren Antworten ermittelt (zum Beispiel 2,5 Kinder für die Antwort "2 bis 3"); zudem wird angenommen, dass Frauen, die wort geben, keine (weiteren) Kinder haben wollen.

Die untersuchten Daten bestätigen, dass die von Frauen in Österreich beabsichtigte Fertilität im Mittel unter dem Bestandserhaltungsniveau von etwa 2,1 Kindern pro Frau liegt (Abbildung 1). Die verschiedenen Befragungswellen in Abbildung 1 zeigen ein sehr ähnliches Bild des Wandels in der gewünschten Familiengröße nach Geburtsjahrgängen. Schon für die Anfang der 1950er Jahre gebozahl leicht unter 2, und dieser Abwärtstrend setzte sich fort, bis die Jahrgänge Anfang der 1970er ein Mittel von 1,7 Kindern pro Frau erreichten. Da zudem nicht alle Frauen ihre Absichten auch umsetzen, lag dieser Wert immer noch höher als die endgültige Kinderzahl, die für Ende der 1960er Jahre geborene Frauen auf 1,6 geschätzt wird.

Durch die Kombination aller Umfragen von 1986 bis 2001 können die sich ändernden Absichten der 1961 bis 1965 geborenen Frauen im Laufe ihres Lebens verfolgt werden (siehe Abbildung 2). Als junge Erwachsene hatte fast die Hälfte von ihnen vor, zwei Kinder zu bekommen, während über 20 Prozent unsicher waren oder ungefähre Antworten gaben. Nur fünf Prozent beabsichtigten, kinderlos zu bleiben. Auch in höherem Alter blieb die "normative" Zwei-Kind-Familien-Orientierung bestimmend: 40 Prozent der Frauen wollten weiterhin zwei Kinder. Allerdings gewannen die übrigen Familienmodelle an Bedeutung: Im Alter von 36 bis 40 Jahren stieg der Prozentsatz von Frauen, die die "Minimalfamilie" mit einem Kind oder eine größere Familie mit drei oder mehr Kindern anstrebten, jeweils auf 20 Prozent. Auch der Wunsch nach Kinderlosigkeit nahm zu: Elf Prozent der Frauen wollten keine Kinder haben. Zugleich sank der Anteil der Unentschlossenen deutlich - außer bei kinderlosen Frauen, unter denen die Unentschlossenheit mit etwa 32 Jahren einen Gipfel erreichte und auch danach hoch blieb (hier nicht dargestellt). Die Verteilung der letztendlich realisierten Familiengröße lag sehr nahe bei der im Alter von 36 bis 40 genannten Absicht - außer bei Kinderlosigkeit: Wesentlich mehr Frauen (17 Prozent) blieben ohne Kinder als der Anteil, der ursprünglich angegeben hatte, sich keine Kinder zu wünschen.

Ein Blick auf die bereits realisierte und zusätzlich gewünschte Kinderzahl im Alter von 36 bis 40 Jahren (in der Umfrage von 2001 erhoben) ergibt beträchtliche Unterschiede nach dem Bildungsgrad (Abbildung 3): Die mittlere gewünschte Familiengröße erreichte nur bei Frauen mit Primärschulbildung zwei Kinder und nahm mit steigendem Bildungsgrad ab (1,64 Kinder pro Frau mit Universitätsabschluss). Der Gradient bei den künftigen Absichten war noch ausgeprägter: Frauen mit niedriger Bildung hatten ihre Familiengründung mit 36 bis 40 Jahren weitgehend abgeschlossen, während unter jenen mit Universitätsbildung über 20 Prozent der gewünschten Gesamtkinderzahl (0,36 Kinder pro Frau) in diesem Alter noch unerfüllt war. Damit drohte diesen Frauen ein hohes Risiko, ihre Absichten gar nicht mehr zu umzusetzen, da nach dem 35. Lebensjahr das Risiko der Unfruchtbarkeit stark zunimmt.

Diese Studie bestätigt, dass der Kinderwunsch von Frauen in Österreich mindestens seit den 1980er gesunken ist. Bereits Frauen der Jahrgänge, die selbst während des Babybooms in den 50er und 60er Jahren geboren wurden, hatten einen verringerten Kinderwunsch. Dies ist erstaunlich, da in der Forschung bisher davon ausgegangen worden ist, dass vor allem Frauen aus kleineren Familien sich selbst auch weniger Kinder wünschen.

Vor allem die Frauen mit höherer Bildung wollen weniger Kinder und verschieben ihren Kinderwunsch in ein höheres Alter. Dies birgt ein erhöhtes Risiko der Unfruchtbarkeit, bevor die gewünschte Familiengröße erreicht ist. Da der Anteil hochqualifizierter Frauen in Österreich noch immer zunimmt, ist davon auszugehen, dass die Kinderwunschzahlen weiter niedrig 2,2 bleiben werden - es sei denn, es käme zu einer Trendumkehr unter hochgebildeten Frauen.

Für Österreich gibt es jedoch noch aktuellere Umfragen[2], etwa den Generations and Gender Survey 2008, der mit anderen Fragen deutlich höhere gewünschte Familiengrößen ermittelt als die hier untersuchte Mikrozensus-Umfrage.

Ob dies auf anders formulierte Fragen, andere Methoden der Stichprobenziehung oder eine tatsächliche Trendumkehr beim Kinderwunsch zurückzuführen ist, bleibt einstweilen ungeklärt. Ist die österreichische Erfahrung von niedrigen gewünschten Familiengrößen einmalig? Neueste Daten zu jungen Erwachsenen in Tschechien, Ungarn, den Niederlanden, Spanien und Großbritannien weisen darauf hin, dass auch andere Länder bereits Rückgänge in der beabsichtigten Familiengröße auf unter zwei Kinder pro Frau verzeichnen. Jedoch ist noch unklar, ob es sich hier um ein längerfristiges Muster handelt.

Kontakt:
Tomas.Sobotka@oeaw.ac.at



[1] Sobotka, T.:
Sub-replacement fertility intentions in Austria.
European Journal of Population 25(2009)4: 387-412.

[2] Buber, I. und N. Neuwirth (Hrsg.):
Familienentwicklung in Österreich: erste Ergebnisse des "Generations and Gender Survey (GGS)" 2008/09.
Institut für Demographie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften / Österreichisches Institut für Familienforschung der Universität Wien, Wien 2009, 39 pp.

Goldstein, J., W. Lutz and M.R. Testa:
The emergence of sub-replacement family size ideals in Europe.
Population Research and Policy Review 22(2003)5-6: 479-496.



Im Schattenblick nicht veröffentlichte Abbildungen:

Abb. 1: Durchschnittliche gewünschte Familiengröße und realisierte Kinderzahl von Frauen in Österreich, Geburtsjahrgänge 1949-79. Quelle: Mikrozensus 1986-2001. Anmerkung: Ergebnisse wurden geglättet, um Fluktuationen auszugleichen (5-Jahres-Durchschnitte).

Abb. 2: Gewünschte Kinderzahl nach Alter von Frauen in Österreich, Geburtsjahrgänge 1961-65.Quellen: Mikrozensus 1986-2001; realisierte Familiengrößen beruhen auf eigenen Berechnungen der Daten aus der Volkszählung 2001 und statistischen Daten aus den Jahren 2001-07.

Abb. 3: Bereits realisierte und zusätzlich gewünschte Kinderzahl von 36- bis 40-jährigen Frauen in Österreich nach Bildungsgrad.


*


Quelle:
Demografische Forschung Aus Erster Hand 2010, Jahrgang 7, Nr. 2
Herausgeber:
Max-Planck-Institut für demografische Forschung in Kooperation mit dem
Institut für Demographie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Wien,
und dem Rostocker Zentrum zur Erforschung des Demografischen Wandels
Konrad-Zuse-Str. 1, 18057 Rostock
Telefon: +49 (381) 2081-143, Fax: +49 (381) 2081-443
E-Mail: redaktion@demografische-forschung.org
Internet: www.demografische-forschung.org

Demografische Forschung Aus Erster Hand erscheint viermal jährlich.


veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Juli 2010