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INITIATIVE/032: 50 Jahre Arzneimittelhilfe des Deutschen Instituts für Ärztliche Mission (Difäm)


Deutsches Institut für Ärztliche Mission e.V. Tübingen
Gesundheit in der Einen Welt, Heft 1/2009

Für lebensnotwendige Medikamente sorgen
Medikamentenversand und pharmazeutische Entwicklungszusammenarbeit

Von Regina Seitz/Albert Petersen


"Arzneimittelhilfe sammelt keine Pillen mehr", gab das Difäm im Jahr 1996 bekannt. Nach 37 Jahren des Sammelns, Sichtens und Sortierens ging eine Ära zu Ende, die im Jahr 1959 begonnen hatte. Was aber kam danach? Brauchte die "arme" Welt keine Medikamente mehr? Auf 50 Jahre wirkungsvoller Projekte mit interessanten Lernprozessen blickt die Arzneimittelhilfe (AMH) des Difäm heute zurück.


Womit behandelt ein Arzt die Patienten, wenn die Regale in den Apotheken notorisch leer sind? Diese Situation kannte der ehemalige Difäm-Direktor Dr. Martin Scheel aus seiner Arbeit in Indien nur allzu gut. Die Missionskrankenhäuser waren damals vollständig abhängig von Medikamentensendungen aus Übersee. Ganz anders im Deutschland des Wirtschaftswunders: Medikamente waren wieder ausreichend vorhanden - aber auch die Erinnerung an die Nachkriegsjahre, geprägt von Hunger und Armut, war noch nicht verblasst.


Leere Regale in Übersee - volle Regale in Tübingen

Nach dem ersten Aufruf für Arzneimittelspenden 1959 quoll in den Folgejahren das so genannte Medikamentenhaus regelrecht über. Riesige Mengen mussten sortiert werden: nach Verfallsdatum und nach Krankheiten, gegen die sie eingesetzt werden konnten. Schon bald wurden den Verantwortlichen die problematischen Seiten dieser Spenden deutlich: sie verursachten viel Arbeit und hohe Folgekosten. Ohne ehrenamtliche Hilfe war der Versand in die weite Welt kaum möglich. Wichtige Medikamente gegen Tropenkrankheiten fehlten, sie mussten zugekauft werden, während andere Medikamente für den Einsatz in Übersee nicht geeignet waren. Auch auf der Empfängerseite gab es Probleme: Was sollte man mit Medikamenten tun, die nur deutsche Beipackzettel enthielten? Dr. Gisela Schneider, heutige Difäm-Direktorin, erinnert sich an viele Abend- und Nachtstunden in Afrika, die sie damit zubrachte, Medikamentensendungen zu sortieren. Der Bedarf an Medikamenten war dennoch groß, die Nachfrage wuchs, denn sie linderten den "alltäglichen" Notstand vieler kirchlicher Krankenhäuser.


Medikamentenversand in Katastrophengebiete

Parallel zu diesen Aktivitäten entwickelte sich die Nothilfe für Krisengebiete. Seit 1961 beauftragte die ebenfalls 1959 gegründete Aktion "Brot für die Welt" die AMH mit größeren Sendungen. Eine besondere Herausforderung stellte der Biafra-Krieg in Nigeria dar, der 1968 in einer Katastrophe mündete: 14 Millionen Menschen waren von Lebensmittellieferungen abgeschnitten. Zwei Millionen Menschen waren bereits schwer unterernährt. Sie waren Opfer eines regionalen Konfliktes, in dem weltpolitische und ökonomische Interessen vieler Nationen eine Rolle spielten. Die "Diakonie Katastrophenhilfe" und Caritas bauten eine Luftbrücke in die betroffene Region. Tonnen an Lebensmitteln und Medikamenten wurden nun versandt; vier Jahre lang war die AMH für den Einkauf und den Transport der medizinischen Güter zuständig. Ähnliche Ausmaße erreichte die Hilfe für 1,2 Millionen Flüchtlinge in Somalia zwischen 1980 und 1984.


Entwicklung ermöglichen: Herstellung vor Ort

Nicht nur Abhilfe bei Notständen schaffen, sondern Entwicklung fördern - das bedeutet pharmazeutische Entwicklungszusammenarbeit. Ein solches Projekt wurde in Rumänien 1993 erfolgreich umgesetzt. Viele Jahre lang wurden Medikamente und Geräte in die damaligen Ostblockstaaten versandt. Nach der politischen Wende erhöhte sich der Umfang, aber es wurde deutlich, dass eine strukturelle Verbesserung sinnvoller wäre. In Kooperation mit dem Auswärtigen Amt und nach intensiven Vorbereitungen wurden im September 1993 in Siebenbürgen zwei pharmazeutische Fabrikanlagen in Betrieb genommen. Eine dieser Anlagen produziert noch heute große Mengen an Infusionen für Universitätskliniken und andere Hospitäler in der Umgebung.

Ein ähnlicher Erfolg, politisch viel brisanter, konnte zwischen 1997 und 2004 in Nordkorea erzielt werden. In dieser Zeit lieferte die AMH pharmazeutische Rohstoffe nach Pjöngjang, die dort zu unentbehrlichen Medikamenten verarbeitet wurden. UNICEF verteilte diese an Krankenhäuser im gesamten Land. Stolz blickt Albert Petersen, Leiter der AMH, auf dieses Projekt zurück: "Nicht nur die Versorgungslage in den Krankenhäusern Nordkoreas konnten wir verbessern, sondern auch die Qualität der Medikamente. Wir hatten erreicht, dass ein ausländischer Experte das Laborpersonal schulen durfte. Wie sonst hätten wir sicherstellen können, dass die neue Tablettenpresse und die Laborgeräte fachgerecht bedient werden? Später besuchten drei Fabrikmitarbeiter eine Fortbildung in Thailand - das hatte es noch nie gegeben!"


Einfuhr verboten: Uganda geht neue Wege

1995 war das Entsetzen groß: Die Regierung von Uganda verbot die Einfuhr von medizinischen Artikeln. Jährlich hatte ein Stuttgarter Freundeskreis zwei solcher Container für das Rubaga Hospital auf den Weg gebracht. Was stand hinter dieser Entscheidung, der auch andere afrikanische Länder später folgten? Die ugandische Regierung hatte erkannt, dass Hilfssendungen die Entwicklung einer eigenen Infrastruktur blockierten. Und sie hatte Recht mit dieser Einschätzung. Schon nach kurzer Zeit berichtete die Chefärztin des Rubaga Hospitals, dass es nun lokal Medizin günstig zu kaufen gäbe.


Afrikanische Zentralapotheken entstehen

Medikamente vor Ort erwerben zu können, ist eine sinnvolle Alternative zum Import. Noch besser ist es, die Arzneimittelbeschaffung für Krankenhäuser und Gesundheitsstationen über so genannte Zentralapotheken zu steuern. Diese kennen den Gesamtbedarf, verhandeln die Preise mit den Lieferanten, bestellen kostengünstig größere Mengen und unterhalten in der Regel Lager mit Medikamenten und Verbrauchsmaterialien. Die AMH stärkt heute 25 kirchliche Zentralapotheken in Afrika und kauft in Uganda, Kenia und Malawi ein, um von dort in Krisengebiete wie Sudan, Somalia oder die D. R. Kongo zu liefern. Die kirchliche Zentralapotheke "Joint Medical Store" in Kampala, Uganda, war im Jahr 2008 mit rund 20 Millionen Dollar die umsatzstärkste im kirchlichen Bereich in Afrika.


Keine Kleinpackungen mehr: Leitlinien verändern die humanitäre Hilfe

Nach 37 Jahren des Sammelns, Sichtens und Sortierens wurden im Jahr 1996 die Tore des Medikamentenhauses für gespendete Kleinpackungen endgültig geschlossen. Zu problematisch und wenig wirkungsvoll war diese gut gemeinte Hilfe. Vorangegangen war die Entwicklung von Leitlinien für Arzneimittelspenden gemeinsam mit dem Pharmazeutischen Programm des Ökumenischen Rats der Kirchen. "Diese Vorarbeit der Kirchen hat uns sehr geholfen", erinnert sich Hans Hoogerzeil, Leiter des Medikamentenprogramms der Weltgesundheitsorganisation (WHO) im Jahr 2006. Denn kurz darauf veröffentlichte die WHO ähnliche Leitlinien. Auch das Auswärtige Amt wurde von der AMH beraten und integrierte sie 1997 in ihre "Empfehlungen für Arzneimittellieferungen in der Humanitären Hilfe". Seitdem muss sich jede Organisation, die Fördermittel der Regierung für Arzneimittel erhält, an diese Leitlinien halten. In den folgenden Jahren hat die AMH viele Gruppen, Vereine, Firmen, Apotheker und Ärzte beraten, wie sie sinnvolle pharmazeutische Hilfe in Übersee leisten können.

Entsprechend dieser Leitlinien wurden nun von allen größeren Hilfsorganisationen gesammelte Kleinpackungen durch Großpackungen mit internationaler Beschriftung ersetzt, die die AMH kostengünstig einkaufen konnte. Mehrere Organisationen setzten sich zum Ziel, vor allem unentbehrliche Arzneimittel für wirtschaftlich arme Länder in guter Qualität und zu günstigen Konditionen bereitzustellen.


Hausapotheke für Reisende nach Übersee

Unterstützung wurde auch für andere Zwecke nachgefragt: Auf Bitten mehrerer Missionsgesellschaften entwickelte das Difäm die "Tübinger Hausapotheke" - ein Standardset bestimmter Arzneimittel und Verbrauchsmaterialien, die für die Gesunderhaltung der Mitarbeitenden in Übersee nötig sind. Dieses Produkt der AMH hat sich bis heute stetig weiterentwickelt und wird von einer Vielzahl an Entsendeorganisationen genutzt.


Lobbyarbeit: Zugang zu Medikamenten sichern

Viele der Erfahrungen und Kenntnisse der Arzneimittelhilfe des Difäm wurden im internationalen Austausch gewonnen und weitergegeben. Besonders wichtig ist die Mitgliedschaft im Ökumenisch-Pharmazeutischen Netzwerk - 1981 entstanden aus einer Arbeitsgruppe des Ökumenischen Rats der Kirchen. Das Difäm war von Anfang an dabei, seit 2002 ist Albert Petersen Vorsitzender dieses Netzwerkes mit Sitz in Nairobi. Mit über 100 Mitgliedsorganisationen aus über 30 Ländern werden pharmazeutische Belange analysiert, politische Positionen erarbeitet und vertreten sowie gezielte Maßnahmen ergriffen. Ziel ist es, Armen und Benachteiligten einen besseren Zugang zu pharmazeutischer Versorgung und Gesundheitsdiensten zu schaffen.


Das Konzept der "Unentbehrlichen Medikamente"

Eine Liste mit so genannten "Unentbehrlichen Medikamenten" wurde 1977 von der Weltgesundheitsorganisation veröffentlicht: 208 Arzneimittel wurden nach Wirksamkeit, möglichen Nebenwirkungen, weltweiter Verfügbarkeit und Preis ausgewählt. Die bis heute gültige Kernthese des Konzepts ist: Wenige, aber sorgfältig ausgewählte unentbehrliche Arzneistoffe verbessern die Gesundheitsversorgung, vereinfachen den Umgang mit Arzneimitteln und reduzieren die Preise. Die Liste wird ständig aktualisiert. Ziel ist, dass diese Medikamente zu jeder Zeit in ausreichenden Mengen und in geeigneter Darreichungsform vorliegen und zu Preisen erhältlich sind, die sich die Menschen vor Ort leisten können. Seit 2007 existiert eine gesonderte Liste für Arzneimittel zur Behandlung von Kindern.


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Mit der Sortierung von Ärztemustern fing alles an.


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Quelle:
Gesundheit in der Einen Welt, Heft 1/2009, S. 4-5
Herausgeber: Verlag Deutsches Institut für Ärztliche Mission e.V.
Paul-Lechler-Straße 24, 72076 Tübingen
Tel: 07071/20 65 12, Fax: 07071/20 65 10
E-Mail: info@difaem.de
Internet: www.difaem.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Juli 2009