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ARTIKEL/496: Obdachlose - Krankheit, Tod und Trauer unter den Wohnungslosen in Hamburg (SHÄB)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 7/2011

Obdachlose

Krankheit, Tod und Trauer unter den Wohnungslosen in Hamburg


Eine Broschüre informiert und zeigt Lösungsmöglichkeiten auf, wie die Versorgung verbessert werden könnte.


Sie sterben oft allein, ohne Trost und ein letztes Gespräch: Krankheit, Tod und Trauer wird bei wohnungslosen Menschen kaum thematisiert. Bis heute gibt es bundesweit keine Erhebung darüber, wie viele Menschen "Platte machen" und ohne Unterkunft auf der Straße leben. In Hamburg leben derzeit rund 2.000 alleinstehende Wohnungslose in öffentlicher Unterbringung und 1.029 Menschen auf der Straße. Hinzugerechnet werden muss die Dunkelziffer. Das Gesundheitssystem mit seinen Krankenhäusern, Kliniken, Altenheimen und Hospizen ist auf diese Randgruppe in unserer Gesellschaft nicht eingestellt. Kranke und sterbende Frauen und Männer ohne ein festes Dach über dem Kopf werden gar nicht oder unzureichend versorgt.

Über die Mängel des Gesundheitssystems und den würdevollen Umgang mit Krankheit, Tod und Trauer informiert eine Broschüre, die von den Mitgliedern des "Regionalen Knotens" der Hamburgischen Arbeitsgemeinschaft für Gesundheitsförderung (HAG) erarbeitet wurde. Der Direktor des Instituts für Rechtsmedizin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE), Prof. Klaus Püschel, hat daran ebenso mitgewirkt wie Ärzte und Mitarbeiter der Wohnungslosenhilfe. Die Broschüre "Sterbende Menschen begleiten. Krankheit, Tod und Trauer in den Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe" beinhaltet auch Fallbeispiele.

32 Prozent der verstorbenen Wohnungslosen werden tot in Unterkünften aufgefunden, jeder Vierte stirbt in einer Klinik, rund jeder Fünfte beendet sein Leben im öffentlichen Raum. Und sie sterben jung: Ihr durchschnittliches Todesalter liegt bei 46,5 Jahren - drei Jahrzehnte früher als medizinisch gut versorgte Bürger. Da ihre Todesursache meist unbekannt ist, werden sie in die Leichenhalle des Instituts für Rechtsmedizin am UKE gebracht und dort untersucht. "In Studien konnten wir zeigen, dass viele Wohnungslose an Krankheiten wie instabiles Herz-Kreislaufsystem, Erkrankungen der Lunge, Herzinsuffizienz oder Bronchitis verstarben, die gut zu behandeln gewesen wären", sagte Püschel.

Viele von ihnen nehmen erst ärztliche Hilfe in Anspruch, wenn "nichts mehr geht". Mit Arzt-Sprechstunden in den Wohnungsloseneinrichtungen konnte diese Hemmschwelle zwar gesenkt werden, doch das komplizierte Gesundheitssystem mit seiner Praxisgebühr hindert gerade schwer erkrankte Wohnungslose daran, eine dringend erforderliche Behandlung in einem Krankenhaus wahrzunehmen. In der Broschüre wird zudem der Grundsatz "ambulant vor stationär" kritisiert, der gerade bei wohnungslosen Menschen mit Schmerzen und ohne ein unterstützendes soziales Netzwerk zu einer unzureichenden Gesundheitsversorgung führt. Regina Barthel aus dem Geschäftsbereich Wohnen des Trägers "fördern und wohnen" verweist vor allem auf die schwierige Aufgabe für die Mitarbeiter in den Einrichtungen: "In unseren Unterkünften sterben jedes Jahr ungefähr 30 Bewohner, die keine Angehörigen haben. Wie gehen wir als Profis damit um? Was können, was müssen wir tun, damit das Leben nicht noch früher endet?" Die Broschüre will Mut machen, sich mit dem Tabuthema Tod in den Einrichtungen auseinanderzusetzen und auch zu akzeptieren, dass manche Wohnungslose nicht bereit sind, sich in einer Klinik behandeln zu lassen. "Wohnungslose sterben jung. Im Stellenschlüssel der Wohnungslosenhilfe ist Sterben nicht vorgesehen. Vom medizinischen Hilfesystem werden die Betroffenen zumeist nicht erreicht. So entstehen Situationen in denen die Sterbenden, aber auch die Mitarbeiter allein gelassen sind", ergänzt Dr. Frauke Ishorst-Witte, Hausärztin für wohnungslose Menschen beim Diakonischen Werk Hamburg.

Wie die rechtlichen Bestimmungen im Gesundheitssystem und vorhandene Angebote für die Versorgung wohnungsloser Menschen besser genutzt werden können, zeigen die eigens gekennzeichneten Kapitelabschnitte in der Broschüre auf. Ziel der Herausgeber: Die Schwächen des Gesundheitssystems und Lösungsmöglichkeiten für die Weiterentwicklung aufzeigen; die Mitarbeiter in den Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe auf stärkende Wege im Umgang mit dem Tod verweisen und das Leiden und Sterben wohnungsloser Menschen mehr in den Fokus der öffentlichen Wahrnehmung rücken. Zum Regionalen Knoten: Er deckt Versorgungslücken im Handlungsfeld Gesundheit und Wohnungslosigkeit auf und fördert die Zusammenarbeit der Hilfesysteme. Er ist in die Geschäftsstelle der HAG integriert und Teil des Bundesprojektes "Gesundheitsförderung bei sozial Benachteiligten" (www.gesundheitlichechancengleichheit.de.
(PM/Red)

Download der Broschüre "Sterbende Menschen begleiten" über die Internetseiten www.hag-gesundheit.de und über
www.gesundheitliche-chancengleichheit.de

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Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 7/2011 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2011/201107/h11074a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt Juli 2011
64. Jahrgang, Seite 62 - 63
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der
Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein
Redaktion: Dr. Franz Bartmann (V.i.S.d.P.)
Bismarckallee 8-12, 23795 Bad Segeberg
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 27. August 2011

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