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ARTIKEL/459: Medizintechnik für ältere Menschen - Ankerplätze für die Aufmerksamkeit (Uni Erlangen)


uni.kurier.magazin - 110/September 2009
Wissenschaftsmagazin der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg

Ankerplätze für die Aufmerksamkeit
InformARTik: Technik, Kunst und Informatik

Von Stefan Soutschek, Andreas Maier, Stefan Steidl, Hellmut Erzigkeit,
Joachim Hornegger, Johannes Kornhuber


Der ganzheitliche Ansatz des Projekts "informARTik" soll älteren Menschen Medizintechnik und moderne Kommunikationstechnik näher bringen. Schon der Begriff "informARTik" selbst verdeutlicht die Verbindung von Technik, Informatik und Kunst. Kunstwerke sollen den Zugang zur modernen Kommunikationstechnik ermöglichen und zudem als Vehikel für den Transport klinisch relevanter Informationen dienen. Angestrebt wird die Entwicklung neuer, innovativer Methoden, um Aufmerksamkeit auf klinisch bedeutsame Bereiche zu lenken, Wissen zu vermitteln und Screening- und Diagnostik-Instrumente anzubieten. Kunstwerke in Verbindung mit technischen Hilfsmitteln sollen dabei die Attraktivität und Akzeptanz gerade bei älteren Menschen fördern und klinisch relevante Informationen übermitteln.


Ein Wink an virtuelle Fische

Ein erstes Beispiel aus dem Projekt "informARTik", das zeigt, wie Kunstwerke Aufmerksamkeit erregen und dabei gleichzeitig Wissen vermitteln können, ist ein interaktives, virtuelles Aquarium. Auf einem Bildschirm bewegt sich ein Schwarm Fische vor einem Aquariumshintergrund. Über eine in der Nähe des Bildschirms angebrachte Kamera wird ein Spiegelbild der Szene vor dem Bildschirm aufgenommen und transparent über die Szene gelegt. Erkennt die Software ein oder mehrere menschliche Gesichter in der Szene, so werden die Fische zu diesen hingezogen. Es entsteht so der Eindruck, dass die Fische den bzw. die Betrachter wahrnehmen und auf diese reagieren.

Zusätzlich verfügbare Interaktionsmöglichkeiten mit dem Kunstwerk bietet eine Gestensteuerung. Hier können die Fische durch das Zeigen einer Geste mit der Hand und durch Bewegungen der Hand vor dem Aquarium entweder angelockt, oder auch verscheucht werden. Durch die so gewonnene Aufmerksamkeit des Benutzers können während der Interaktion mit dem Aquarium für den Nutzer relevante Informationen, wie zum Beispiel anstehende Termine, auf einfache und attraktive Art vermittelt werden.


Das Problem der Akzeptanz

Die Akzeptanz und damit die Nutzung technischer Geräte stellt bislang ein generelles Problem dar, dem auch mit ausführlichen Gebrauchsanweisungen nur ungenügend Rechnung getragen wird. Diese Defizite scheinen zunächst ganz einfach durch selbsterklärende Bedienungsschritte oder "seniorengerechte" Vereinfachung der Funktionen überwindbar. Sieht man sich jedoch in Entwicklungsabteilungen von Haushaltsgeräteherstellern um, so überrascht, was schon alles erdacht und realisiert wurde: Es gibt bereits eine Fülle von "seniorengerechten", alltagstauglichen Geräten, wobei nur einzelne bis heute in den Markt eingeführt wurden und von einer breiten Käuferschicht angenommen werden.

Ein Problem dafür ist die Abhängigkeit der Entwicklung von Produkten und Dienstleistungen für die alternde Gesellschaft von deren Akzeptanz im Markt. Gegen eine allgemeine Akzeptanz "seniorengerechter" Produkte und Dienstleistungen steht unter anderem das noch immer in unserer Gesellschaft vorherrschende negative Image des Alters. Man wirbt erfolgreicher mit Jugend, Frische, Schönheit und Gesundheit - auch wenn es um Produkte geht, die primär älteren Menschen dienlich sind.

Um Akzeptanz bei den Zielgruppen erzielen zu können, bedarf es daher in einem ersten Schritt der Information und Aufklärung. Als wichtigstes Ziel gilt es dabei, ihre Aufmerksamkeit auf durch Krankheit veränderte Bereiche des Erlebens und Verhaltens zu richten, die häufig als normale Begleiterscheinungen des Alterns verharmlost werden. Dazu gehören vor allem Vergesslichkeit, Konzentrationsschwäche, gedrückte Stimmung und Antriebslosigkeit. Wenn es gelänge, den Aufklärungsstand zu erreichen, wie er heute schon bei Bluthochdruck oder Diabetes zu beobachten ist, könnte die Leistungsfähigkeit und Lebensqualität insbesondere älterer Menschen erhalten oder gar gesteigert werden. Zudem könnten altersassoziierte Krankheiten, wie Demenzen oder Depressionen, früher erkannt und damit effektiver behandelt werden.

In Ergänzung zu bereits von staatlicher wie industrieller Seite angebotenen Informations- und Hilfsangeboten gibt es aber bislang kaum Instrumente, die es ermöglichen, gleichermaßen als attraktives, die Aufmerksamkeit steigerndes "Werbemittel" und zusätzlich als sogenanntes Screening-Instrument anzubieten. Mit validierten Screening-Instrumenten lassen sich Risikofaktoren abschätzen, individuelle Leistungsprofile erstellen oder Frühsymptome beginnender Krankheiten erkennen.

Erste Beispiele, die zeigen sollen, wie solche Screening-Instrumente funktionieren können, wurden bereits im Rahmen des informARTik Projektes realisiert und evaluiert.


Der Computerisierte Syndrom-Kurztest

Grundlage für den ersten Demonstrator ist der Syndrom-Kurztest (SKT). Der SKT ist ein international validierter Test zur Erfassung von Gedächtnis- und Aufmerksamkeitsstörungen. Zur Zielgruppe des SKT gehören Patienten mit akuten oder chronischen, organisch bedingten kognitiven Störungen, beispielsweise Patienten mit leichten kognitiven Beeinträchtigungen (MCI) oder leichten bis mittelgradigen dementiellen Erkrankungen.

Der Test wurde zunächst computerisiert und anschließend hinsichtlich Akzeptanz und Benutzerfreundlichkeit klinisch evaluiert. Das Testmaterial des SKT, Bildvorlagen, Spielbrett und Spielsteine wurden in der neu entwickelten digitalen Variante durch einen mobilen Computer auf Arztseite und einen Touch-Screen auf Patientenseite ersetzt. Die Resonanz bei den an der Evaluation teilnehmenden Patienten war dabei als sehr positiv einzuschätzen.

Anhand dieses Demonstrators wird nun im Folgenden untersucht, ob es gelingt, ein interaktives Testsystem zur Erfassung von kognitiven Leistungsstörungen zu konstruieren, das für den Einsatz im telemedizinischen Bereich geeignet ist und vom Patienten weitestgehend selbständig ausgeführt werden kann. Dazu ist es erforderlich, dass der Test ohne Anwesenheit eines Arztes bzw. Fachpersonals durchführbar ist. Durch die Erweiterung um ein mit dem SKT synchronisiertes Sprachsignal könnten Anweisungen automatisch an den Patienten weitergegeben werden und dessen Antworten wiederum automatisch erfasst und ausgewertet werden. Dies erlaubt es, den SKT in der eigenen Wohnung durchzuführen und darüber hinaus auf einem bereits vorhandenen Fernsehgerät darzustellen.

Die ausgewerteten Testergebnisse werden anschließend in einer Datenbank zur Analyse hinterlegt und für den zuständigen Arzt zur weiteren Analyse zugänglich gemacht. So können bei auffälligen Testergebnissen sehr schnell Schritte zur weiteren Abklärung durch den Arzt eingeleitet werden. Durch wiederholte Tests ist es außerdem möglich, einen Trend des geistigen Zustandes über die Zeit zu erstellen, um so eine Diagnose zusätzlich zu unterstützen.


Der Ergo-Feeder

Neben der geistigen Fitness spielt auch die körperliche Fitness eine entscheidende Rolle im Leben älterer Menschen. Das gilt nicht nur, um sich Unabhängigkeit durch Mobilität zu erhalten, sondern fördert zum Beispiel die Sturzprävention. Auch hier existiert bereits ein Demonstrator, der auf intuitive und attraktive Art vermittelt, ob die durchgeführten Übungen auch den gewünschten Trainingseffekt erzielen. Dieser Demonstrator soll nicht einfach nur notwendige Informationen anzeigen, wie es bei einer Herzfrequenzuhr der Fall wäre, sondern darüber hinaus den Spaß an der Übung wecken und richtiges Training belohnen.

In einem ersten Schritt wird dazu bei einer beliebigen Übung, die vorher durch einen Arzt auf die Bedürfnisse des Einzelnen abgestimmt wurde, ein Elektrokardiogramm (EKG) aufgenommen. Die aus dem EKG berechnete Herzschlagfrequenz lässt Rückschlüsse auf die aktuelle physische Belastung zu. Auf Basis dieser Information sowie der Information des optimalen Trainingsbereichs für den jeweiligen Nutzer, wurde im Rahmen von InformARTik ein audiovisuelles Feedback-System implementiert. Das System meldet kontinuierlich, ob sich der Trainierende in seinem optimalen Leistungsbereich befindet oder in welche Richtung er das Training ändern muss, um dorthin zu gelangen.

Um das System zu starten, kann zwischen verschiedenen Medien, z.B. Musik oder Videos, ausgewählt werden. Diese werden nur dann in der richtigen Geschwindigkeit abgespielt, wenn sich der Nutzer in seinem optimalen Trainingsbereich befindet. Sollte sich der Nutzer zu stark belasten, erhöht sich die Geschwindigkeit und es wird zusätzlich der Hinweis gegeben, weniger stark zu trainieren. Im umgekehrten Fall wird die Abspielgeschwindigkeit gesenkt und der Hinweis auf mehr Anstrengung gegeben. Zusätzlich wird während der Übung kontinuierlich die Herzschlagrate und der optimale Trainingsbereich eingeblendet. Dieser Demonstrator zeigt, wie komplizierte Informationen, wie die erfassten Biosignale, auf einfache und attraktive Art dargestellt werden können.

Um kompliziertes und unnötiges Zusatzequipment zu vermeiden, werden diese Informationen sowie die ausgewählten Medien, wie auch schon beim SKT erwähnt, auf dem heute in nahezu jeder Wohnung vorhandenen Fernsehgerät dargestellt.


Modul für Modul

Alle bereits beschriebenen Demonstratoren wurden im Rahmen des Projektes "informARTik" in einer Beispielwohnung am Lehrstuhl für Mustererkennung installiert (vgl. Seite 32). Diese Wohnung soll zeigen, wie eine intelligente Wohnung mithilfe altersgerechter technischer Systeme angepasst werden kann, um die Wohnsituation älterer Menschen zu verbessern und damit ein längeres selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen.

Darüber hinaus ermöglicht uns die Integration der Demonstratoren in eine herkömmliche Wohnumgebung, die entwickelten Systeme in einem realen Umfeld zu testen, das dem späteren Einsatzort, eine normale Wohnung eines älteren Menschen, so nahe wie möglich ist. Um die Integration dieser Demonstratoren und damit auch die spätere Installation der daraus resultierenden Produkte zu vereinfachen, wurde bei der Entwicklung auf eine modulare Softwareumgebung geachtet. Dies bedeutet, dass einzelne Module nach und nach ohne großen Aufwand bei der Installation oder Nachrüstung integriert werden können. So kann das System mit den Bedürfnissen des Bewohners wachsen bzw. angeglichen werden, ohne dabei unnötig viele Zusatzgeräte aufbauen zu müssen. Auch alle weiteren Demonstratoren, die zukünftig im Rahmen des Projekts "informARTik" entstehen, werden als neues Modul implementiert und anschließend in die Beispielwohnung integriert und evaluiert.


Prof. Dr. Joachim Hornegger ist Inhaber des Lehrstuhls für Informatik 5 (Mustererkennung) der Universität Erlangen-Nürnberg. Andreas Meier und Stefan Seidl zählen zu seinen Mitarbeitern. Prof. Dr. Johannes Kornhuber ist Direktor der Psychiatrischen und Psychotherapeutischen Klinik am Universitätsklinikum Erlangen. Prof. Dr. Hellmut Erzigkeit ist an dieser Klinik für Klinische Psychologie zuständig. Stefan Soutschek ist Mitarbeiter an der Psychiatrischen und Psychotherapeutischen Klinik und zugleich in der Gruppe "Rechnersehen" des Lehrstuhls für Mustererkennung tätig.

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Quelle:
uni.kurier.magazin Nr. 110/September 2009, S. 36-38
Informations-Magazin der
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
Herausgeber: Der Rektor
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Februar 2010

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