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STUDIE/608: Jeder Vierte fürchtet, wegen fehlender Informationen nicht den richtigen Arzt zu finden (idw)


Bertelsmann Stiftung - 07.05.2018

Jeder Vierte fürchtet, wegen fehlender Informationen nicht den richtigen Arzt zu finden


Wie gut ist mein Hausarzt im Vergleich zu anderen? Ist dieser Orthopäde oder Frauenarzt spezialisiert und erfahren genug, um meine Krankheit gut zu behandeln? Achtet man in der Praxis auf Hygiene, sind alle nötigen medizinischen Geräte vorhanden?

Bisher findet man als Patient vor dem Gang in die Arztpraxis kaum Antworten auf solche Fragen. Arztsuchportale mit solchen Informationen wären in Deutschland umsetzbar, viele Daten sind vorhanden. Aber: Es fehlt der politische Wille und ein Gesamtkonzept.


Gütersloh, 07. Mai 2018. Mehr als jeder vierte Deutsche (27 Prozent) befürchtet, aufgrund fehlender Informationen nicht den richtigen Arzt zu finden. Über die Hälfte der Bürger wünscht sich mehr wichtige und neutrale Informationen. Das wäre auch möglich, denn die Daten sind zum größten Teil vorhanden. Doch der deutschen Gesundheitspolitik fehlt ein Gesamtkonzept für mehr Transparenz über die Leistungen und die Ausstattungen von Arztpraxen. Das ist das Ergebnis einer Studie der Weissen Liste und der Bertelsmann Stiftung auf Grundlage einer bevölkerungsrepräsentativen Umfrage von Kantar Emnid, einer Ländervergleichsstudie des IGES-Instituts sowie eines ergänzenden Rechtsgutachtens.

"Die bisherige Arztwahl in Deutschland basiert im weitesten Sinne auf dem Prinzip 'Trial and Error'. Die Mehrheit der Patienten weiß nicht, welche Expertise, Erfahrung und Ausstattung sie hinter der Praxistür erwartet", so Brigitte Mohn, Vorstand der Bertelsmann Stiftung. "Dabei liegen viele dieser Informationen bereits vor. Andere Länder zeigen, wie sie zum Nutzen der Patienten öffentlich präsentiert werden können. Deutschland bleibt hier deutlich hinter seinen Möglichkeiten zurück", so Mohn weiter.

Bürger möchten mehr werbefreie Informationen über ihren Haus- und Facharzt

Mehr als die Hälfte der Bürger wünscht sich mehr Informationen vor dem Besuch beim Haus- oder Facharzt. Wichtig sind den Befragten Informationen über:

Fachkenntnis und Erfahrungen mit der Behandlung der eigenen Krankheit (94 Prozent)

  • Hygiene in der Praxis (90 Prozent)
  • Zusatz-Leistungen - zum Beispiel Hautscreenings und Vorsorgeuntersuchungen (84 Prozent)
  • Behandlungsergebnisse des Arztes bei bestimmten Erkrankungen (80 Prozent)
  • Zufriedenheit anderer Patienten (75 Prozent)
  • Ausstattung der Praxis - zum Beispiel Röntgen- und Ultraschallgeräte (74 Prozent)

In allen Belangen jedoch fühlen sich die Befragten nicht ausreichend informiert. Am größten ist die Diskrepanz im Bereich der Praxis-Hygiene. Am wenigsten informiert fühlen sie sich Patienten über die apparative Ausstattung ihres Arztes.

Ginge es nach den Befragten, dann wäre das Internet ein passender Ort, diesen Informationsmissstand zu beheben. Allerdings sollten Arztsuchportale neutral und werbefrei sein (86 Prozent).

Die Daten sind da, aber die Transparenz fehlt in Deutschland

Patienten haben eine sehr genaue Vorstellung davon, welche Informationen ihnen fehlen, um mehr Sicherheit bei der Arztwahl zu erhalten. Aber in Deutschland werden ihnen diese bisher vorenthalten", sagte Roland Rischer, Geschäftsführer der Weissen Liste.

Die Länderanalyse zeigt: In Deutschland werden Daten über die Ausstattung, das Leistungsspektrum und die Erfahrungen der Ärzte von den Kassenärztlichen Vereinigungen erhoben. Die deutsche Gesundheitspolitik sieht jedoch bisher nicht vor, diese öffentlich zu machen. Andere Industrieländer, allen voran England und die USA, gehen wesentlich offener mit ihren Daten um. Patienten können sich dort ohne Zugangsbeschränkungen darüber informieren, welche Leistungen ein Arzt wie oft und in welcher Qualität anbietet. Dazu werden Abrechnungsdaten von einer staatlichen Institution ausgewertet. Außerdem werden Patienten regelmäßig seriös zu ihren Erfahrungen mit dem Arzt oder der Praxis befragt.

Schutz persönlicher Daten steht der Informationsfreiheit nicht im Weg Gegen mehr Offenheit beim Umgang mit Versorgungsdaten wird häufig der Datenschutz ins Feld geführt. Die Bertelsmann Stiftung hat ein Rechtsgutachten in Auftrag gegeben, um der Frage nachzugehen, ob der Datenschutz einer transparenteren Patienteninformation oder der Nutzung der Daten in der Versorgungsforschung im Wege steht. Das Ergebnis zeigt auf, dass die Privatsphäre der Patienten keineswegs gefährdet wäre, wenn Daten anonymisiert genutzt würden. Mit Blick auf die Ärzte müsse das Informationsinteresse der Öffentlichkeit jedoch gleichrangig mit deren Schutzbedürfnissen gewürdigt werden. Kommen zusätzliche Belange wie der Gesundheitsschutz und das Patientenwohl hinzu, kann die Offenlegung der Daten sogar geboten sein.

Ein Gesamtkonzept für besser informierte Patienten

"Die Studienergebnisse zeigen, dass Deutschland im internationalen Vergleich zurückbleibt. Unsere Gesundheitspolitiker sind nun gefordert. Sie sollten den gesetzlichen Rahmen so verändern, dass Patienten in Deutschland alle benötigten Informationen haben, um den richtigen Arzt zu finden. Nach dem Vorbild anderer Länder sollten sie eine neutrale Datenannahmestelle errichten und die Kassenärztlichen Vereinigungen dazu verpflichten, ihre Daten bereitzustellen", so Rischer. "Darüber hinaus sollten Patientenerfahrungen, die Arztpraxen erheben, veröffentlicht werden. Dann hätten Arztsuchportale eine gute Basis, um dem ausgeprägten Wunsch der Patienten nach mehr Informationen über Qualität und Ausstattung von Ärzten nachzukommen", schlussfolgert Rischer.

Zusatzinformationen

Die Studie ist in Zusammenarbeit der Bertelsmann Stiftung mit der Weissen Liste entstanden. Erkenntnisinteresse war es, herauszufinden wie transparent in Deutschland im Vergleich zu anderen europäischen Ländern mit Informationen über ambulante Ärzte umgegangen wird und welche Informationen den Bürgern überhaupt wichtig sind, wenn sie nach einem Arzt suchen. Dazu wurden Patienten befragt, welche Informationen Patienten als besonders relevant empfinden. In einem zweiten Schritt wurde dann das IGES-Institut beauftragt, zu untersuchen, wie diesen Informationsbedürfnissen in anderen Ländern durch Public Reporting Rechnung getragen wird. Dabei erwiesen sich insbesondere die angelsächsischen Länder als vorbildlich. Die wesentlichen Schlussfolgerungen aus beiden Analysen sind dann in die repräsentative Befragung der Weissen Liste eingeflossen (n=1007, befragt ab 14 Jahre, Befragungszeitraum: 23.03.2018-27.03.2018). Ergänzt wird dieser Studienaufbau durch eine juristische Expertise zum Thema Datenschutz.In Planung ist, dass die Weisse Liste Mitte des Jahres anhand eines Prototypen aufzeigen wird, wie eine ideale Arztsuche auf Basis der Studienerkenntnisse aussehen könnte.

Weitere Informationen finden Sie unter
http://www.bertelsmann-stiftung.de
http://www.bertelsmann-stiftung.de/de/unsere-projekte/weisse-liste/

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter:
http://idw-online.de/de/institution605

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Bertelsmann Stiftung, Kristine Erdmeier, 07.05.2018
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Mai 2018

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