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MELDUNG/073: Adipositas - Die App "Nupp" setzt auf Verhaltensänderung statt auf Diäten und Sport (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 6/2017

ADIPOSITAS
Anders verhalten ersetzt die Diät

von Dirk Schnack


Die in Lübeck entwickelte App "Nupp" ist seit Mai auf dem Markt. Statt auf Diäten und Sport setzt sie auf Verhaltensänderung.

Immer mehr Menschen weltweit und auch in Deutschland leiden an Übergewicht. Zugleich unternehmen immer mehr Menschen den Versuch, ihr Gewicht über eine Diät zu verringern - in aller Regel vergeblich und über den Jo-Jo-Effekt mit der fatalen Wirkung, dass sie einige Zeit nach der Diät mehr wiegen als vorher. "Das bringt nichts", steht für Prof. Kerstin Oltmanns aus Lübeck fest. Denn Übergewicht ist für sie in erster Linie ein psychologisches Problem - und an dieser Stelle setzen Diäten gerade nicht an.

Auf der Homepage www.nupp.de lässt sich die Lübecker Medizinerin mit dem Satz zitieren: "Es ist nicht wichtig, was Du isst, sondern wie und warum." Darunter wird versprochen: "Keine Diäten oder Kalorienrechner. Kein Sportprogramm und Schrittzähler. Keine Vorbereitung. Keine Entbehrungen." Im Umkehrschluss: Abnehmen ohne Anstrengen? So einfach macht es sich Oltmanns nicht. Sie erklärt: "Wir essen schon längst nicht mehr, um satt zu werden. Heute wird gegessen, um Emotionen zu regulieren." Viele Menschen nehmen zu, weil sie mit Essen Frust abbauen. Andere, weil sie sich belohnen. In beiden Fällen geht es um Gefühle. Deshalb sagt Oltmanns: "Wir müssen lernen, Gefühle von Essen zu unterscheiden." Mit anderen Worten: Dickmachendes Verhalten wird identifiziert und abgestellt. Neu sind ihre Erkenntnisse nicht. Aber Oltmanns hat gemeinsam mit ihrem Mann Axel Schulz überlegt, wie sich die aus der Verhaltenstherapie bekannten Erkenntnisse nutzen lassen, um Menschen zu helfen, ihr Gewicht zu reduzieren. Sie haben aus den Erkenntnissen Empfehlungen abgeleitet, die Programmierer für sie in eine App integriert haben. Das fertige Produkt "Nupp" ist seit Mai in den großen App-Stores weltweit in deutscher und englischer Sprache erhältlich. Auf der Homepage wird auch aufgelistet, was nach Ansicht der "Nupp"- Gründer gegen andere Maßnahmen spricht:

Diäten: "Schreiben vor, was Du essen sollst, ob Du die Lebensmittel magst oder nicht. Außerdem drosseln sie Deinen Energieverbrauch. Nach der Diät hast Du Heißhunger auf Deine gewohnten Lebensmittel, isst wieder normal und wiegst bald mehr als vorher."

Sportprogramme: "Machen den meisten Übergewichtigen keinen Spaß und gaukeln vor, dass Du mehr essen kannst, weil Du ja Sport gemacht hast. Es gibt aber keine einzige wissenschaftliche Studie, die gezeigt hat, dass Sport ohne gleichzeitige Diät zum Abnehmen führt, weil Du damit nämlich viel weniger Kalorien verbrauchst als Du denkst."

Medikamente: "Lassen Dich kein Gewicht abnehmen, wenn Du nicht gleichzeitig bestimmte Ernährungsvorschriften einhältst. Dann kannst Du auch gleich eine Diät machen - ohne Nebenwirkungen von Medikamenten."

Operationen: "Haben viele Risiken und bewirken bei vielen, dass sie nach der Operation zwar abnehmen, aber ihre Stimmung sich bis hin zu einer Depression verändert, die dann behandelt werden muss."

"Noch eine App also" - Oltmanns kennt diese Reaktion. Denn zum Thema Ernährung und Bewegung ist der Markt überschwemmt mit Angeboten. Aber dabei handelt es sich meist um Bewegungsmotivatoren oder Diäten - und davon hebt sich "Nupp" ab. Sie begleitet den Probanden über einen Zeitraum von zwölf Wochen. In jeder Woche gibt es eine neue Verhaltensregel, die befolgt werden muss - beginnend mit der Regel, stets drei Mahlzeiten am Tag zu sich nehmen. Klingt einfach, ist es für viele aber nicht. Gerade das unregelmäßige Essen ist bei vielen Menschen ein Grund, weshalb sie am Ende des Tages zu viele Kalorien zu sich genommen haben und zum Beispiel Heißhunger-Attacken unterliegen. Jede Woche kommt für den Nutzer eine Regel hinzu, nach drei Monaten sollten die ersten schon wie selbstverständlich befolgt werden. Häufiger als die Verhaltensregeln kommen die sogenannten "Daily Nupp", die den Nutzer täglich mit Informationen und Ratschlägen rund um das Thema Ernährung begleiten. "Die Daily Nupp sind informativ und unterhaltend zugleich", sagt Oltmanns. Hier soll u.a. auch mit gängigen Vorurteilen und Legenden aufgeräumt werden, die zum Thema Ernährung zahlreich im Umlauf sind. Drittes Modul der App sind die "Nupp Emotions", die den Nutzern aufschlussreiche Informationen zum eigenen Verhalten und ihrer Ernährung liefern sollen. Dabei wird der Nutzer durch mehrere Fragen geführt, für seine Antworten erhält er Punkte zur Belohnung.

Oltmanns forscht im Center of Brain, Behavior and Metabolism an der Uni Lübeck, und dort wird sie auch nach der Markteinführung von "Nupp" bleiben. Vertrieben wird die App über eine Firma, an der sie und ihr Mann die Anteile halten. Um alles Geschäftliche kümmert sich ihr Mann, ein Vertriebs- und Marketingexperte. Ob ihr Produkt überhaupt die fünfstelligen Anfangsinvestitionen einspielen wird, ist nach ihrer Einschätzung stark vom Marketing abhängig. "Nupp" kostet den Nutzer pro Monat 99 Cent, also für den vollen Verlauf rund drei Euro. "Wir werden eine Weile brauchen, bis sich unsere Investitionen amortisieren" steht für Oltmanns fest. Klar ist aber auch, dass sie an den Erfolg glaubt, sonst hätte das Ehepaar die App nicht auf den Markt gebracht und würde nicht schon an einer Fortsetzung feilen.


Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 6/2017 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2017/201706/h17064a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Prof. Kerstin Oltmanns ist gebürtige Lübeckerin, hat dort Medizin studiert, promoviert und sich im Fach Physiologie habilitiert. Von 2009 bis 2014 war sie Heisenberg-Professorin der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Seit 2014 ist sie W3-Professorin und Leiterin der Sektion für Psychoneurobiologie.

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt
70. Jahrgang, Juni 2017, Seite 19
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der Kassenärztlichen Vereinigung
Schleswig-Holstein
Redaktion: Dirk Schnack (Ltg.)
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 1. August 2017

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