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INITIATIVE/108: Medibüro - Jede Hilfe ist willkommen (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 4/2017

Medibüro
Jede Hilfe ist willkommen


Das Kieler Medibüro vermittelt seit 2009 Unterstützung durch Ärzte - fast 1.400 Menschen konnte seitdem geholfen werden.


Für die Pädiaterin Dr. Manuela Schroeter steht fest: "Der Aufenthaltsstatus darf nicht über eine Krankenversorgung entscheiden." Als das Kieler Medibüro sie vor sieben Jahren fragte, ob sie Menschen ohne Papiere in ihrer Kieler Praxis behandeln würde, sagte sie ohne Zögern zu. Seitdem bekommt sie ein bis zwei Anfragen monatlich vom Medibüro und behandelt die kranken Kinder und Jugendlichen unentgeltlich.

Ihren Praxisablauf sieht die Kinderärztin durch diese zusätzlichen Patienten nicht beeinträchtigt. "Die Verständigung klappt meistens gut, da häufig Personen für Übersetzungen mitgebracht werden. Sollten medizinische Probleme auftreten, die ich nicht gleich in meiner Praxis lösen kann, kümmert sich das Medibüro um eine Weitervermittlung der Betroffenen", berichtet sie. Schroeter wird auch weiterhin für die Hilfesuchenden da sein und dem Medibüro Unterstützung in Form kostenloser Hilfe anbieten, obwohl sie einen kostenlosen Zugang von Menschen ohne Papiere begrüßen würde, also eine politische Lösung dafür präferiert.

Schroeter ist keine Ausnahme. So wie die Pädiaterin arbeiten derzeit 68 Ärzte unterschiedlicher Fachrichtungen, Psychologen, Hebammen und Sprachmittler unentgeltlich für das Kieler Medibüro. In den vergangenen sieben Jahren haben sie 1.381 Menschen helfen können, die ohne Papiere in Deutschland leben. Rund die Hälfte von ihnen kommt aus Osteuropa, jeweils 20 Prozent stammt aus dem arabischen Raum und aus Afrika. Die anfallenden Kosten für Medikamente, Laboruntersuchungen oder bildgebende Verfahren werden meist über Spendengelder finanziert. Bei schweren und chronischen Erkrankungen oder Schwangerschaften, bei denen ein Krankenhausaufenthalt erforderlich ist, suchen die Mitarbeiter des Büros nach einer individuellen Lösung.

Auf mindestens eine halbe Million Menschen schätzen Wohlfahrtsverbände die Zahl der Menschen ohne geregelten Aufenthaltsstatus in Deutschland. Genaue Zahlen für Schleswig-Holstein liegen nicht vor, eine Studie der Diakonie nennt 10.000 Betroffene. "Menschen ohne Papiere sind ein Teil unserer Gesellschaft und leben in ständiger Angst, entdeckt zu werden. Ihre Migrationsgeschichten, insbesondere die Gründe, die zu einem Leben in der Illegalität führten, sind sehr unterschiedlich", weiß auch Dr. Peter Reibisch, der ebenfalls seit Jahren im Kieler Medibüro tätig ist. Der frühere Hausarzt hat über die ehrenamtliche Hilfe Menschen kennengelernt, die ihre Heimat wegen Krieg, autoritärer Gesellschaftssysteme, wirtschaftlicher Ausbeutung, sozialer Ungerechtigkeit oder der Auswirkungen des Klimawandels verlassen haben. Er kritisiert, dass es diesen Menschen durch restriktive Regelungen des Asyl- und Aufenthaltsrechtes erschwert wird, einen sicheren Aufenthalt in der sprichwörtlichen Festung Europa zu bekommen. "Wenn Menschen auf der Flucht krank werden, sollte staatlich organisierte ärztliche Hilfe selbstverständlich sein - so, wie es die Bundesärztekammer auch fordert", sagt Reibisch im Gespräch mit dem Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatt.

So unterschiedlich die Schicksale und Hintergründe der Menschen sind, denen Reibisch und seine Kollegen helfen - eines eint sie: Sie sind von den deutschen Sozialleistungen ausgeschlossen, damit nicht krankenversichert und eine medizinische Versorgung nicht finanziert. Auf diese Zustände machen die Medibüros öffentlich aufmerksam und suchen zugleich nach praktischer Hilfe für die Betroffenen. Das Kieler Medibüro hatte 2013 erfolgreich mit der Kampagne "Fairer Start ins Leben" sichere Geburten und Kinderimpfungen gefordert - mit Erfolg. Die Stadt Kiel richtete eine kostenlose Impfsprechstunde für nicht krankenversicherte Kinder und ihre Eltern ein. Aktuell ist das Medibüro mit verschiedenen Politikern über weitere praktische und konzeptionelle Unterstützung im Gespräch. Dafür werden weitere Ärzte benötigt, insbesondere Chirurgen, Gynäkologen, Augenärzte, HNO-Ärzte und Orthopäden (Kontakt: info@medibuero-kiel.de). Weitere Informationen unter www.medibuerokiel.de. (PM/Red)


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Judith Suerbaum und Thomas Schroeter im Medibüro in der Kieler Innenstadt. Menschen ohne Papiere können sich an das Büro wenden, wenn sie medizinische Hilfe benötigen. Von dort aus wird nach Ärzten gesucht, die ehrenamtlich helfen können. Insbesondere Chirurgen, Gynäkologen, Augenärzte, HNO-Ärzte und Orthopäden werden benötigt.


Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 4/2017 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2017/201704/h17044a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt
70. Jahrgang, April 2017, Seite 21
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der
Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein
Redaktion: Dirk Schnack (Ltg.)
Bismarckallee 8-12, 23795 Bad Segeberg
Telefon: 04551/803-272, -273, -274,
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Juni 2017

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