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BEITRAG/003: Die Entsorgungsgesellschaft - pflegeleicht und lebensschwer ... (SB)


Eine dem Menschen gerecht werdende, seine Würde und Wünsche berücksichtigende Pflege im Alter ist ein Ideal, das aufgrund von Gebrechlichkeiten, Schmerzen und Krankheiten sowie fehlender gesellschaftlicher Voraussetzungen und Bereitschaften noch nicht einmal als Utopie in Betracht kommt. Keine noch so tolle Pflege wäre imstande, den Zenit ihres Anspruchs vollständig zu erreichen in Anbetracht dessen, daß der Tod unter keinen Umständen für irgendjemanden, der lebt oder lebendig ist, jemals akzeptabel sein könnte.



Ölgemälde 'Der Arzt am Krankenbett' von Egbert van Heemskerk (etwa 1676-1744) - Foto: Kunsthaus Lempertz - gemeinfrei

"Der Arzt am Krankenbett" von Egbert van Heemskerk (etwa 1676-1744) - Öl auf Leinwand
Foto: Kunsthaus Lempertz - gemeinfrei

Die Bemühungen um einen angemessenen Umgang mit alten und kranken Menschen gehören dementsprechend zu den ungeliebten großen Aufgaben, die der Staat schon seit vielen Jahren mit dem Slogan "ambulant vor stationär" in den Bereich der pflegenden Angehörigen abzuschieben versucht.

Es ist absehbar, daß der in den kommenden Jahren noch enorm steigende Anteil multimorbider älterer und damit pflegebedürftiger Menschen ein gesellschaftliches Problem darstellt, das mit den zur Zeit in der Politik angedachten Maßnahmen und dem für die Umsetzung vorgesehenen Zeitrahmen sicher nicht annähernd bewältigt werden kann. Schon heute spiegeln Gewalt in der Pflege, vernachlässigte, zum Teil hungernde und verwahrloste Bewohner in privaten wie staatlichen Pflegeheimen, überforderte Angehörige und Pflegekräfte nur einen kleinen Teil des sozialen Alltags und der Grausamkeiten, denen viele alte und kranke Menschen ausgesetzt sind.

In diesem Zusammenhang erscheint es geboten, nicht allein nur auf das laute Getöse beispielsweise um Fallpauschalen, mehr Personal in der Pflege, Pflegeversicherung, Pflegefinanzierung, Pflegesätze, Pflegekräfte aus dem Ausland, Entlastung pflegender Angehöriger etc. im Deutschen Bundestag zu achten. Vielmehr gilt es gerade auch solche Entwicklungen im Blick zu behalten, die im Umfeld und, mit Blick auf die EU, insbesondere auch im europäischen Ausland nicht annähernd so viel mediale Aufmerksamkeit finden.

Den sozioökonomischen Höhepunkt erreicht die letzte Gesetzesinitiative des Großherzogtums Luxemburg, einem Land, in dem Euthanasie, also die "Tötung auf Verlangen" seit der Einführung des "Gesetzes über die Sterbehilfe und die Beihilfe zur Selbsttötung" im März 2009 erlaubt ist. Dieses Gesetz definiert Euthanasie "als medizinische Maßnahme, mit der ein Arzt dem Leben einer anderen Person auf deren ausdrückliche und freiwillige Bitte hin absichtlich ein Ende setzt."

Am 11. Juli 2019 verabschiedete der Regierungsrat Luxemburgs nun einen Gesetzentwurf, der vorsieht, daß die "Tötung auf Verlangen" und der "assistierte Suizid" (Selbstmord) rechtlich als "natürliche Tode" anerkannt werden. Der stellvertretende Premierminister und Gesundheitsminister Étienne Schneider, der federführend an diesem Gesetzentwurf beteiligt war, begründet die vorgesehene Änderung folgendermaßen:

"Der Gesetzentwurf sieht vor, den Tod einer Person durch Euthanasie oder assistierten Suizid dem natürlichen Tod gleichzustellen. Damit werden dann - in erster Linie bezogen auf die Todesumstände - die aus dem Tod resultierenden Folgerungen geklärt, insbesondere in Zusammenhang mit einer Lebensversicherung, die der verstorbene Patient unter Umständen abgeschlossen hat." (*) 

Mit der Gesetzesänderung will die Regierung Luxemburgs, wie in Medienberichten immer wieder betont wird, also die Hinterbliebenen entlasten, indem beispielsweise Ansprüche auf eine vom Euthanasie-Patienten abgeschlossene Lebensversicherung dann einfacher geltend gemacht werden können.


Europakarte, auf der die Länder, die den ärztlich assistierten Tod oder aktive Sterbehilfe erlauben, farbig markiert sind - Grafik: 'Euthanasie und ärztlich assistierter Tod in Europa': 2019 by Schattenblick, Europakarte by Wikimedia Commons, Datenquelle: Euronews - Wo in Europa ist Sterbehilfe legal? 5/2018

Sterbehilfe in Europa:
In Belgien, den Niederlanden und Luxemburg sind sowohl assistierter Selbstmord als auch aktive Sterbehilfe gesetzlich erlaubt, wobei die beiden erstgenannten nach genauester Prüfung auch Anträgen von Minderjährigen stattgeben.
Der ärztlich assistierte Tod ist unter bestimmten Voraussetzungen in Deutschland, der Schweiz, Österreich und Finnland erlaubt, passive Sterbehilfe zudem unter strengen Bedingungen in Spanien, Schweden, England, Italien, Ungarn und Norwegen.
Grafik: "Euthanasie und ärztlich assistierter Tod in Europa": 2019 by Schattenblick
Europakarte by Wikimedia Commons, Datenquelle: Euronews - Wo in Europa ist Sterbehilfe legal? 5/2018

Noch ist das neue Gesetz nicht in Kraft getreten, denn der Gesetzentwurf muß erst den Instanzenweg passieren. Deutlich wird jedoch jetzt schon, daß mit der Umdefinierung und neuen Zuordnung der "Euthanasie" als "natürlicher Tod" in utilitaristischer Manier peu à peu ein gesellschaftliches Tabu aufgebrochen wird.

Nutzenerwägungen und wirtschaftliche Botmäßigkeit werden, was die Pflege- und Sterbekultur alter und kranker Menschen angeht, ganz sicher zur Einführung weiterer Veränderungen führen. Zudem hat Luxemburg mit diesem Gesetzentwurf bereits eine prägende Matrix für derartige Regelwerke im europäischen Raum geschaffen.

Diese Entwicklung wird gewiß ihren angestrebten Arbeitstitel und ihren sprachlichen und justiziablen Abgleich darin finden, daß sich für jede Art von suizidaler Beihilfe und Euthanasie die versicherungsrelevante Definition des "natürlichen Todes" durchsetzt.


(*)Quelle: "Le décès suite à un acte d'euthanasie ou d'assistance au suicide sera considéré à l'avenir comme une mort de cause naturelle"
Pressemitteilung des Luxemburgischen Regierungsrats vom 11.07.2019
Übersetzung aus dem Französischen: Redaktion Schattenblick

2. Oktober 2019


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