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ARTIKEL/656: Borderline-Trialog in Bad Bramstedt - "Entdecke den Borderliner in dir" (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 5/2017

Symposium
"Entdecke den Borderliner in dir"

von Anne Lütke Schelhowe


Seit zehn Jahren gibt es den Borderline-Trialog in Bad Bramstedt. Ärzte, Betroffene und Angehörige nutzen ihn "auf Augenhöhe".


Starke Stimmungsschwankungen, Wutausbrüche oder selbstschädigendes Verhalten - Menschen mit der Diagnose Borderline galten lange Zeit als nicht therapierbar: "Als ich vor 27 Jahren mit Borderline-Patienten angefangen habe, wusste man nicht, was man mit den Patienten machen soll", eröffnete Dr. Michael Armbrust, Chefarzt der Schön Klinik Bad Bramstedt, Ende März das gut besuchte Fachsymposium zum zehnjährigen Jubiläum des Borderline-Trialogs in seiner Klinik.

Seitdem hat sich viel geändert: Heute finden alle sechs Wochen Trialog-Treffen mit Betroffenen, Angehörigen und professionellen Helfern in Bad Bramstedt statt, in denen sich die Gruppen anonym mit einer Vielzahl von Themen beschäftigen und so jedes Mal viel voneinander lernen. Mitinitiatorin Anja Link, Dipl.-Sozialpädagogin und selbst von der Krankheit Betroffene, schilderte den Beginn des Borderline-Trialogs in Deutschland: Vor 13 Jahren lud sie gemeinsam mit Heiner Dehner, Psychiatriekoordinator der Stadt Nürnberg, und Dipl.-Pädagogin Christiane Tilly zum ersten bundesweiten Borderline-Trialog in Ansbach ein. "Wir hatten auf 50 Leute gehofft, gekommen sind 300", erzählt Link. Da sich schnell herausstellte, dass man bei dieser Menge an Menschen schwierig ins Gespräch kommt, bildete sich eine Vielzahl von Regionalgruppen, die schnell auf andere Bundesländer überschwappten und 2007 schließlich auch in Bad Bramstedt verfingen, wo sich bis zu 80 Teilnehmer pro Termin einfinden. Inzwischen haben sich zusätzlich eigenständige Trialoge in Hamburg, Lübeck und Kropp etabliert. Jedes Jahr findet außerdem ein bundesweiter Trialog statt.

"Ich kann hier Dinge ansprechen, die ich in der Therapie nicht zur Sprache gebracht habe. Alle Themen werden angenommen, das hat mir sehr geholfen", so eine Borderline-Patientin, die seit 2011 regelmäßig an den Trialog-Veranstaltungen teilnimmt. Auch ihre Familie habe sie schon zu den Sitzungen mitgebracht, was das Verhältnis deutlich verbessert habe: "Danach war mehr Verständnis für meine Situation vorhanden."

Gerade auch für die Angehörigen kann der Austausch hilfreich sein: "Als Angehöriger habe ich nicht das Handwerkszeug, den Patienten zu heilen. Aber ich habe gelernt, Andersartigkeit zuzulassen und dass ich nicht allein mit meinen Problemen bin. Außerdem habe ich viele interessante Menschen kennenlernen dürfen und ich fühle mich auch als Angehöriger im Trialog sehr ernst genommen", so ein Teilnehmer bei der Jubiläumsveranstaltung. "Der Trialog lohnt sich", resümiert er. Auch Link hat die Erfahrung gemacht, dass Angehörige im Trialog ein besseres Verständnis für die Betroffenen entwickeln. Sie erhalten authentische Antworten und finden Hoffnung und Ermutigung in den Treffen. Sie wünscht sich allerdings, dass mehr professionelle Helfer den Weg in diese besondere Veranstaltungsform finden, da sie interessante Einblicke auf dem Niveau einer guten Fortbildung erhalten würden. Dies kann auch Nicole Thielemeyer, Fachärztin für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie aus Elmshorn, bestätigen. Sie nimmt als Profi regelmäßig an den Treffen teil und wünscht sich ebenfalls, dass mehr ihrer Kollegen diese Chance wahrnehmen: "Wir haben hier eine Begegnung auf Augenhöhe - das ist eine unheimliche Bereicherung für meinen Beruf, aber auch für mich persönlich." In der ambulanten 1:1-Therapie sei es schwieriger, sich auf Augenhöhe zu begegnen. Im Trialog dagegen könne sie sich ganz anders auf die Situation einlassen, in sich hineinspüren und "auch den kleinen Borderliner in mir entdecken".

Für Link, die in der Borderline-Trialog Kontakt- und Informationsstelle tätig ist und gern auch beim Aufbau neuer Trialoge Unterstützung leistet, liegen die Vorteile auf der Hand: Betroffene wachsen durch den Trialog an ihren Aufgaben, die Angehörigen werden gestärkt, das Bild von Borderline ändert sich langsam in den Köpfen, Freundschaften entstehen und er kann zu Ermutigung und Aussöhnung beitragen.

Der Trialog in Bad Bramstedt findet alle sechs Wochen statt. Termine und Themen werden auf der Homepage angekündigt.


Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 5/2017 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2017/201705/h17054a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt
70. Jahrgang, Mai 2017, Seite 18
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der Kassenärztlichen Vereinigung
Schleswig-Holstein
Redaktion: Dirk Schnack (Ltg.)
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Juni 2017

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