Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 6/2016
Arzneimittel
Ärzte fordern Preisbremse
Von Dirk Schnack
Schwerer Stand für Pharmalobbyistin Birgit Fischer auf dem Ärztetag. Ärzte zweifeln an der Glaubwürdigkeit der Branche.
Die Kosten für Arzneimittel steigen jährlich um vier bis fünf
Prozent - trotz des vor fünf Jahren verabschiedeten
Arzneimittelmarktneuordnungsgesetzes (AMNOG), das nach Meinung vieler
Ärzte nicht zu den erhofften Einsparungen geführt hat. Der Deutsche
Ärztetag warnte in diesem Zusammenhang vor einer finanziellen
Überforderung des Gesundheitssystems und forderte den Gesetzgeber zu
Nachbesserungen auf. Die von den Krankenkassen übernommenen Kosten für
neue Arzneimittel müssten sich am nachgewiesenen Nutzen orientieren.
Die derzeit freie, ausschließlich am Markt orientierte Preisfestlegung
für Arzneimittel im ersten Jahr nach der Markteinführung sollte aus
Sicht des Ärztetages abgeschafft werden. Außerdem sollten die
Ergebnisse der Nutzenbewertung Ärzten schnell und in geeigneter Form
zur Verfügung gestellt werden: "Nur dadurch kann sichergestellt
werden, dass der berechtigte Anspruch der Patienten auf eine dem Stand
der aktuellen medizinischen Erkenntnisse entsprechende medikamentöse
Versorgung adäquat berücksichtigt wird", hieß es. Diese Forderung
hatte u. a. Dr. Svante Gehring aus dem Vorstand der Ärztekammer
Schleswig-Holstein in der Diskussion gestellt.
Vorausgegangen waren zwei Vorträge von Experten mit unterschiedlichen Perspektiven auf das Thema. Prof. Wolf-Dieter Ludwig, Vorsitzender der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft, und Birgit Fischer, Hauptgeschäftsführerin des Verbandes forschender Arzneimittelhersteller (vfa), kamen darin erwartungsgemäß zu konträren Schlussfolgerungen. Ludwig hatte zunächst die Dimensionen deutlich gemacht, die die Ausgaben für Arzneimittel in Deutschland inzwischen erreicht haben. Sie liegen mit 17,3 Prozent der Gesamtausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) genauso hoch wie die für ärztliche Behandlung. Kein Zweifel besteht für Ludwig daran, dass viele neue Arzneimittel nur einen sehr begrenzten Zusatznutzen aufweisen. Der Begriff Innovation wird nach seiner Auflassung in diesem Zusammenhang inzwischen zu leichtfertig verwendet. Er empfahl deshalb, von Fortschritt zu sprechen - und diesen erkennt er bei vielen neu zugelassenen Arzneimitteln nicht. Ludwig sprach u. a. die neuen Medikamente in der Onkologie an. Hier herrscht nach seiner Beobachtung ein "hoher moralischer Druck", Medikamente mit Zusatznutzen für die Therapie auch zur Verfügung zu stellen. Nicht selten führt dies aber zu Therapiekosten von 100.000 Euro pro Jahr. Dabei ist der Zusatznutzen dieser teuren Therapien oft sehr begrenzt. Ludwig machte auch deutlich, dass mit den sich abzeichnenden Blockbustern ohne Gegensteuerung eine neue Kostenwelle auf das Gesundheitssystem zukommt.
Fischer hält es zwar für gerechtfertigt, die Kostenfrage zu stellen, nicht aber, von vornherein eine Kostenexplosion zu unterstellen. Sie verwahrte sich gegen eine "Legendenbildung", in der von "Mondpreisen" gesprochen wird. Nach ihrer Darstellung ist Deutschland kein hochpreisiger Markt mehr, sondern befindet sich auf europäischem Durchschnittsniveau. 73 Prozent der Preise im deutschen Arzneimittelmarkt liegen nach ihren Angaben sogar unter dem europäischen Durchschnitt. Die Diskussion über die Arzneimittelpreise in Deutschland verläuft nach ihrer Wahrnehmung oft, "als habe es das AMNOG nicht gegeben". Tatsächlich habe das Gesetz aber zu Einsparungen in Milliardenhöhe geführt. Ihrer Schlussfolgerung - "von Kostentreiberei kann keine Rede sein" - konnten die Delegierten allerdings nicht folgen. Die anschließende Diskussion geriet zu einer Generalabrechnung mit der Pharmaindustrie - da half Fischer auch nicht der Hinweis auf die enorme volkswirtschaftliche Bedeutung der Branche.
Aus den Reihen der Delegierten war in der Debatte von "abzockender Preisgestaltung" sowie von "Raffgier und Raffinesse" die Rede; einzelne Redner forderten gar, "alle Verbindungen zur Pharmaindustrie zu sprengen". Ein Delegierter befand: "Die Pharmaindustrie hat sich um ihre Glaubwürdigkeit gebracht." Fischer wurde auch vorgeworfen, in ihrem Beitrag nur Phrasen gebracht zu haben und nicht auf die Argumente Ludwigs eingegangen zu sein. Die kritisierte Verbandschefin, früher Gesundheitsministerin in Nordrhein-Westfalen und anschließend Vorstand der Barmer Ersatzkasse, appellierte dennoch an die Ärzte, "nach vorn zu schauen" und mögliche Verfehlungen der Vergangenheit nicht weiter zu diskutieren. Sie wünschte sich, dass Ärzte und Pharmaindustrie weiterhin im Dialog bleiben: "Man kann gemeinsam etwas erreichen."
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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt
69. Jahrgang, Juni 2016, Seite 11
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.
veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Juli 2016
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