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ARTIKEL/448: Placebo-Forschung - Belohnungszentrum im Gehirn (Securvital)


Securvital 1/2012 - Januar-März
Das Magazin für Alternativen im Versicherungs- und Gesundheitswesen

Placebo-Forschung
Belohnungszentrum im Gehirn

Von Peter Kuchenbuch


Die Erforschung der Biologie von Placebo-Effekten zeigt: Die Wurzeln des Phänomens liegen in urzeitlichen Verhaltensmustern.


Das Zusammenwirken von Geist und Körper ist ein zentrales Thema der Medizin. Die Wirkung eines einfühlsamen Arztgesprächs auf den Behandlungserfolg von Erkrankungen ist unbestritten. Unbestritten ist auch die entgegensetzte Interaktion, die Wirkung von Impulsen des Körpers auf die Psyche. Jeder kennt den positiven Einfluss eines sportlichen Erfolgs oder eines schönen Spaziergangs auf das Bewusstsein.

Hierbei spielen die Sinne, Hormone, das Immunsystem, Muskeln, Sehnen, Knochen und Nervenbahnen die zentrale Rolle. Dreh- und Angelpunkt dieser Prozesse sind die inneren Organe und das Gehirn. Die Schaltzentrale in unserem Kopf empfindet Schmerz, Lust und Angst, sie sieht Bedrohungen kommen, löst Abwehrreaktionen und Flucht aus oder belohnt uns. Belohnungen sind der Motivationsmotor Nummer eins im Reich der Tiere und der Menschen. Die körpereigenen Botenstoffe für den Applaus heißen Opiate und Dopamin. Der Mensch ist ganz verrückt nach Belohnungen und lernt dazu, um möglichst oft ein gutes und opiatgeschwängertes Erfolgsgefühl zu haben.


Fundamentale Muster

Zum Wohlsein gehören Essen, Trinken, Schlaf, Sex, Freude und Freunde. Auch der Placebo-Effekt gehört in diese elementaren Sphären der Psyche, er ist Teil der bewussten und unbewussten Interaktionen, inmitten des Gehirns und dessen Drüsen und Nervenbahnen. Neurophysiologisch ist der Gang eines Patienten zum Arzt mit anderen fundamentalen Verhaltensmustern des Lebens vergleichbar, etwa mit der Nahrungssuche bei Hunger und Durst. Das Verhaltensmuster ist durch vier Phasen gekennzeichnet: 1. Der Patient fühlt sich krank. 2. Der Patient sucht nach Linderung. 3. Er geht zum Arzt. 4. Ihm wird geholfen.

Der Neurophysiologe Fabrizio Benedetti sagt, dass der Placebo-Effekt in erster Linie von der Erwartungshaltung des Patienten getragen sei. "Es geht dem Patienten darum, dass er seine Angst verliert und der Schmerz nachlässt." Die verordnete Pille sei dazu da, um die Erwartung zu erfüllen, woraufhin das Belohnungszentrum im Gehirn aktiviert werde. Dieses Gehirnareal heißt Nucleus accumbens und dort wird Dopamin ausgeschüttet, sobald sich die Erwartung erfüllt. Dieser Dopamin-Effekt lässt sich übrigens auch mit Sex oder Schokolade erzielen. Und mit Geld. Und je beeindruckender die Verpackung, desto größer der Effekt.


Aktiver Vorgang im Gehirn

Forscher haben auch gezeigt, dass Placebo-Effekte erlernbar sind. Bester Beleg sind die Untersuchungen von Henry Beecher, dem bei der Schmerzbehandlung von schwerverletzten Soldaten im Zweiten Weltkrieg das Morphium ausgegangen war. Mehrere Tage lang spritze er ihnen aus Not - und ohne das Wissen seiner Patienten - Salzwasser statt Medizin. Die Schmerzen blieben den Soldaten auf wundersame Weise trotzdem über einige Tage erspart. "Der Placebo-Effekt ist ein psychobiologisches Phänomen, ihm liegt ein aktiver Vorgang im Gehirn zugrunde", sagt Benedetti. Er ist dem Phänomen bis in die Tiefen des Nucleus accumbens gefolgt und hat mit Messelektroden kleinste Dopamin-empfindliche Nervenzellen aufgespürt. Und konnte die Placebowirkung bei Parkinson-Patienten in dieser Hirnregion nachweisen.

Placebo-Effekte findet man grob gesagt in zwei Ebenen des Gehirns - in der bewussten und in der unbewussten. Schmerz ist eine bewusste Empfindung in der Großhirnrinde und für Placebo-Effekte besonders gut zugänglich. Hier entfaltet das Einfühlungsvermögen des Arztes seine größte Wirkung. Und die von ihm verabreichte Spritze gegen den Schmerz ist Teil des Belohnungsritus mit anschließendem Dopaminschub. Diese Wirkung wird durch Erfahrung verstärkt und die Erwartung verfestigt sich - wie beim Morphium-Beispiel.

Andererseits können wohl auch unbewusste physiologische Prozesse erfolgreich von Placebos beeinflusst werden, etwa im Immun- und Herz-Kreislauf-System oder dem Hormonhaushalt, wie ein Beispiel zeigt: In einem klinischen Versuch haben Patienten an zwei Tagen hintereinander Spritzen zur Stimulierung ihres körpereigenen Wachstumshormons verabreicht bekommen. Das Medikament wurde am dritten Tag durch ein Placebo ersetzt. Der Körper hat trotzdem vorübergehend den erhöhten Pegel des körpereigenen Wachstumshormons im Blut aufrechterhalten.

Der biologische Mechanismus dieses Placebo-Effektes ist vergleichbar mit dem Reflex des Pawlowschen Hundes, dessen Speichel immer dann floss, wenn er einen Klingeltöne hörte, weil sein Unterbewusstsein gelernt hatte, dass immer wenn es klingelt, auch Futter kommt. Benedetti ist überzeugt, dass Placebo-Effekte über ein subjektives, psychisches Phänomen im Kopf des Patienten hinausgehen. Placebos können in viel tieferen und elementaren Bereichen unseres Körpers wirken.


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Historisch: Der Hund des Forschers Iwan Pawlow zeigte antrainierte Reflexe.

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Quelle:
Securvital 1/2012 - Januar-März, Seite 12 - 13
Das Magazin für Alternativen im Versicherungs- und Gesundheitswesen
Herausgeber: SECURVITA GmbH - Gesellschaft zur Entwicklung alternativer Versicherungskonzepte
Redaktion: Norbert Schnorbach (V.i.S.d.P.)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Februar 2012

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